Illustration Am Späti:Eine Hand mit Ring hält eine Zigarette.(Quelle:rbb)

Berlin Am Späti in Berlin-Waidmannslust: "Ich fühle mich hier heimisch, aber nicht mehr willkommen"

Stand: 27.08.2024 17:08 Uhr

Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein 30-jähriger Ex-Polizist mit türkischen Wurzeln, der sich eine strengere Migrationspolitik wünscht.

rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.

Ich habe gerade mein Fachabitur absolviert. Gestern habe ich mein Zeugnis bekommen - leider nur ein 2,2 Notendurchschnitt. Ich hatte ein bisschen Stress. Ich habe meinen Sohn bekommen. Gleichzeitig bin ich bei der Polizei raus. Meiner Frau ging‘s nicht gut nach der Geburt. Ich habe dann eine fünf geschrieben und dann die zweite. Zum Glück ist es bei den zweien geblieben. Dann konnte ich im nächsten Semester wieder alles ausbessern und jetzt habe ich ein ganz gutes Zeugnis.
 
Er trägt schwarzes Shirt und eine umgedrehte Cap auf dem Kopf.
 
Ich war sechs Jahre lang bei der Wachpolizei. An sich hat es mir Spaß gemacht, bei der Polizei zu arbeiten. Ist halt ein sicherer Job. Man bekommt sein Geld pünktlich. Man hat den Status. Man ist in der Familie irgendwo eine Vorbildsperson. Uniform, klar. Alles cool. Aber man ist halt aus naiven Gründen reingegangen. Man will halt Held sein.
 
Für jede seiner Antworten nimmt er sich Zeit. Er wählt jedes Wort mit Bedacht, spricht sehr langsam und deutlich.
 
Aber im Endeffekt merkt man - okay, dann hätte ich lieber Feuerwehrmann werden oder vielleicht studieren sollen - als Arzt arbeiten - Medizin studieren. Das wäre dann doch eher ein Heldenberuf, glaube ich. Polizei hat sich nicht so heldenhaft angefühlt. Es sind halt eher Aufräumarbeiten.
 
Für alles brauchst du eine Genehmigung. Man hat Auflagen, Gesetze, an die man sich halten muss. Man kann nicht aus freien Stücken agieren. Da ist zum Beispiel ein Dealer, den man haben will, dann muss man das genehmigen. Eine Auflage, dass ich ihn aufnehmen darf, dass ich ihn verfolgen darf - das dauert Monate, auch über die Gerichte, bis es irgendwie genehmigt wird. Und wenn man ihn dann hat, dann sagen die Richter: "Schwere Vergangenheit, schlechte Kindheit. 48 Stunden, fertig." Lohnt sich also nicht, an die großen Fische kommt man nicht ran.

Klar trifft man Personen, die einem nett, freundlich und respektvoll entgegenkommen. Aber man hat ja auch die ganz andere Seite, die einen anspucken, beleidigen oder versuchen, handgreiflich zu werden. Oder dich mit irgendwelchen Sachen beschmeißen. Als Polizist in Berlin ist es schwierig.
 
Er macht eine längere Pause.
 
Ich bin froh, da raus zu sein. Das hat auch einen anderen Grund. Ich bin ja sichtlich nicht deutsch. Na ja, nur äußerlich nicht. Da hat man noch einige Altköppe, die einem nicht so freundlich gesinnt sind. Darüber möchte ich aber lieber nicht noch mehr sprechen. Nicht, dass ich mir irgendwie mein eigenes Grab schaufele.
 
Er lacht laut. Auf die Frage, ob er sich als Deutscher fühlt, wird er kurz still.
 
Oh, das ist eine sehr gute Frage. Vor 2015 würde ich sogar noch sagen: Ja. Dann hatten wir halt viele Einreisen, viele Fachkräfte, die uns besucht haben.
 
Das Wort "Fachkräfte" betont er ironisch.
 
Überschuss. Übermaß. Die Politik hat auch irgendwo Mitschuld. Man holt sich Menschen aus dem Fernen Osten, beispielsweise aus Afghanistan hierher, ohne ihre Personalien zu untersuchen. Zu hinterfragen, wer das überhaupt ist.
 
Er wählt seine Worte nun noch bedachter als zuvor, lässt sich noch mehr Zeit zum Antworten.
 
Dann gibt man ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung. Abschiebungen werden sowieso nie durchgeführt. 40 % davon werden nicht durchgeführt, weil am gegebenen Termin die Person nicht aufzufinden ist. Umso weiter aus dem Osten, umso schwieriger. Das ist meine Erfahrung. Die haben ja auch viel Negatives fabriziert hier, für Unruhen gesorgt und dieses Nationalismus-Gefühl der Deutschen aufkeimen lassen – verständlicherweise - durch ihre Taten. Jetzt zum Beispiel, wo Rouven L. [Anm. d. Red.: in Mannheim erstochener Politzist] umgebracht wurde.

Das baut sich immer mehr auf und ist wirklich die Schuld der Politik. Keine Kontrollen, die Sicherheitsmaßnahmen gehen rapide runter. Integration ist ein Fremdwort. Ausländer werden in Gruppen in ein Lager gesteckt und sich selbst überlassen. Da ist klar, dass sich kriminelle Energie aufbaut. Diese Leute dürfen nicht arbeiten. Sie werden beobachtet, meiner Meinung nach trotzdem zu wenig. Sie haben ihre Ausgangsstunden, müssen abends zu Hause sein. Alles schön und gut, aber das ist zu wenig. Viel zu wenig.
 
Da können diese Männer dann anstellen, was sie wollen in diesem Zeitraum. Wenn denen die Sprache nicht beigebracht wird, wenn denen die Kultur nicht gezeigt wird, wenn denen die Gesetze nicht förmlich in den Kopf eingehämmert werden, dann verhalten die sich hier so, wie sie es auch dort taten. Bei denen ist jede Frau, die ab 18:00 draußen ist, vogelfrei. Vergewaltigungsraten sind gestiegen, und und und. Es läuft hier wirklich viel falsch.
 
Leute wie mich trifft es dann auch. Ich spüre schon mehr Anfeindungen. In Berlin ist es noch gut. Dennoch ist sie da, die Anfeindungen. Außerhalb will ich es mir gar nicht vorstellen. Sachsen, Dresden, Thüringen. Da würde ich nicht leben. Nicht mehr. Davor hat man sich darüber nie Gedanken gemacht. Ich war hier…
 
Er zögert.
 
… zu Hause. Ich bin’s ja immer noch. Ich fühle mich hier heimisch, aber halt nicht mehr willkommen.

Vielleicht ist es auch eine verzerrte Sicht, die ich mir selbst aufgebaut habe durch Social Media. Wenn ich da rumscrolle und immer negative Sachen sehe und entsprechende Kommentare lese – "wer schlau ist, wählt blau" und "Ausländer raus" und "Wir werden uns wehren" - dann fühlt man sich schon unsicher. Das ist einfach das Versagen unserer Politik. Leute, die sich hier etwas aufgebaut haben, die ehrlich gearbeitet haben, über Generationen hinweg, müssen jetzt überlegen, ob sie nicht irgendwann doch auswandern. Wohin, ist dann die Frage.
 
Ich bin ursprünglich Türke. Meine Eltern kommen aus der Türkei. Ich bin der türkischen Sprache mächtig, aber nicht so wie der Deutschen. Deutsch ist meine Muttersprache. In der Türkei ist man dann zwar rein äußerlich nicht mehr auffällig. Allerdings ist es wiederum eine ganz andere Welt. Sei es die Wirtschaft, sei es die Kultur, die man hier teils natürlich auch auslebt.
 
Dass man all diese Freiheiten in Deutschland hat. Das ist doch schon mal ein absolut megageiles Ding. Ich hab‘ hier Religionsfreiheit, kulturelle Freiheit - ich habe hier alles, was ich will, um ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft zu garantieren. Das BGB ist schon fast heilig, meiner Meinung nach. Und das wird mit Füßen getreten.
 
Wenn Sie mich jetzt auf der Straße sehen würden, könnten Sie mich nicht unterscheiden vom Migranten oder vom hier geborenen Ausländer, der mehr deutsch ist als Türkisch. Wir fangen an, sehr oberflächlich die Sachen zu sehen. "Schwarze Haare, dunkle Augenbrauen, dunkle Augen, dunkle Haut - der ist mir nicht geheuer – von dem halte ich mich fern."

Ich bin im Wedding groß geworden und vor ca. fünf Jahren nach Wittenau gezogen.
 
Er zündet sich eine Zigarette an, nachdem er eine angeboten hat.
 
Ich habe eine sehr - ich sage mal - negative Haltung zur Zukunft. Ich sehe da nichts Schönes. Ich habe das Gefühl, dass vor allem die schlauen Köpfe im Land - was umso enttäuschender ist - die AfD wählen, also in Richtung rechts rutschen. Was auch verständlich ist, weil für das deutsche Volk vor allem nichts getan wird. Sei es für die Alten, für die Rentner. Sei es für die Sicherheit im Land durch die Einwanderungspolitik.
 
Wir sind in einer Spirale, sagt man. 2050, wenn‘s so weitergeht, wird es die Deutschen so kaum noch geben, weil sie keine Kinder zeugen. Dann macht es doch attraktiver! Dann macht es mir doch als Deutschen attraktiver, dass ich Kinder zeuge. Mit mehr Geld beispielsweise. Anstatt, dass ihr euch eure Diäten auffüllt, aber den Rentnern nichts gebt für 45 Jahre, 60 Jahre harte Arbeit. So kommen wir ganz bestimmt nicht voran. Meiner Meinung nach wird zu viel geheuchelt. Zu viel Doppelmoral in der Politik und zu wenig Taten für unser Volk. Die Ampel hat komplett – darf ich vulgär werden - komplett verkackt.

Ich habe in meiner Fachabitur-Arbeit in Wirtschaft eine fünf geschrieben, weil die letzte Frage war: "Warum sehen Sie ein wirtschaftliches Aus für Deutschland und keine Konkurrenzfähigkeit im großen Markt?" Dann habe ich als Beispiele Habeck und Scholz gegeben. Natürlich war das nicht die Antwort, die man geben sollte. Diese zwei Pfeifen, die könnten ein ganzes Meer haben und sie würden einfach das komplette Wasser entleeren. Der eine ist dement, der andere hat keine Ahnung von Wirtschaft. Komplette Idioten. Das Land der Dichter und Denker? Nein, lange nicht mehr.
 
Auf die Frage, was genau ihn an der Wirtschaftspolitik stört, antwortet er schnell.
 
Ich würde Russland als Beispiel nehmen. Wir setzen die Russen komplett unter Druck. Wir greifen es theoretisch an! Das ist gesteuert durch Amerika, meiner Meinung nach. Dass wir als Sündenbock gegen die Russen den Krieg für Amerika führen. Die Ukraine ist das Schlachtfeld. Russland hat doch gesagt, umso näher ihr meinen Grenzen kommt als NATO, umso bissiger werde ich. Das hat er 2012 gesagt. Die Ukraine jetzt in die NATO einzuladen und nach Europa - das ist eine Provokation. Klar sollte man irgendwo helfen, aber diplomatisch. Jetzt haben wir Nordstream weggesprengt bekommen. Wer war es? Es ist meiner Meinung nach offensichtlich - ich denke die USA.
 
Der Russe hat oft gesagt: "Ich bin offen für Friedensverhandlungen. Aber ich will was dafür". Der Russe hat gesagt, er würde uns immer noch billiges Gas liefern. Da sagen sie auch Nein! Dafür sollen wir allerdings den Krieg bezahlen. Unsere Steuern werden angehoben. Wir haben Inflation. Andere Lände kaufen es sich schön billig vom Russen und verkaufen es teuer in Europa. Hauptsache wir kaufen es nicht direkt vom Russen. Die, die da oben sind, fahren uns komplett gegen die Wand.

Wagenknecht finde ich an sich sehr respektabel, sehr intelligent. Die AfD finde ich auch schlau. Alice Weidel. Wenn ich hier zuhöre, dann denke ich mir auch "Wow, was für eine Energie, was für eine klare Sicht." Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Dann hat man aber wiederum Parteimitglieder der AfD, die zu rechts sind, schon faschistisch und die die ganze Partei wieder runterziehen.
 
Wenn die AfD ein paar Idioten dort rausnehmen würde, dann würde auch ein neutraler Deutscher sagen, der weder links noch rechts steht: die AfD macht Politik für unsere Gesellschaft, für das deutsche Volk, für die Innenpolitik. Nicht nur außen, außen, außen. Sondern auch für‘s Land.
 
Es ist ja nicht schlimm, rechts zu sein. Es ist schlimm, faschistisch zu sein. Es ist schlimm, seine eigene Ethnie über die eines anderen zu stellen. Allerdings leben wir in Deutschland. Da kann keine Gruppierung kommen von Muslimen und sagen: "Hey, wir wollen das Kalifat." Das geht nicht. Dann bist du hier auf dem falschen Boden. Es gibt es ein Sprichwort: Ich reiche dir die Hand, du nimmst den ganzen Arm. Da muss auch von der Politik aus, vom Gesetz, viel härter durchgegriffen werden. Sei es bei Abschiebungspolitik oder der Sicherheit.

Als nächstes steht bei mir an, dass ich Fahrlehrer werden will. Warum Fahrlehrer? Gut bezahlt. Das Fahren an sich macht mir Spaß, das Beibringen. Eigentlich will ich ja Lehrer werden - Geschichtslehrer und Deutschlehrer. Aber mein Deutsch müsste ich so stark verbessern. Mein Fachgebiet reicht dafür nicht, wenn ich in Berlin studieren will. Deswegen habe ich mich für Fahrlehrer entschieden. Nicht nur, weil ich etwas beibringe, sondern weil ich der Meinung bin, ich habe soziale Stärken. Ich kann gut erklären. Ich bin geduldig. Ich bin sehr schwer aus der Fassung zu bringen.
 
Ich hatte mal einen Traum, mich irgendwie sozial zu engagieren. Ich hatte viele Wünsche, Träume, viele Ziele, die ich dann irgendwie nur halb durchgezogen habe oder gar nicht erst angefangen hab. Ich wollte mal Sozialpädagoge werden für schwer erziehbare Jugendliche. Ich sehe als Fahrlehrer darin sogar eine Nebentätigkeit. Da habe ich auch mit Jugendlichen zu tun. Ich glaube, ich habe auch soziale Kompetenzen, die ich denen mitgeben kann.

Ich will hier bleiben, es ist schön grün. Man hat hier Junge und Alte. Klar, man hat hier eine starke Kulturvielfalt - ein bisschen zu viel kulturelle Vielfalt, meiner Meinung nach. Zu viele, die kein Deutsch können. Zu viele Jugendliche, die ein bisschen zu viel Scheiße im Kopf haben. Da engagiere ich mich so ein bisschen privat, wenn ich hier so ein paar aufgreife oder ein paar Gruppierungen sehe, die kennen mich hier alle.
 
Das hat schon Früchte getragen. Wir hatten hier ein Problemkind. Den habe ich mir zur Brust genommen, mit ihm Zeit verbracht, mit ihm geredet. Der ist als Flüchtling hierhergekommen, hat Krieg erlebt, tote Menschen gesehen. Sein Vater hat ein Bein verloren - der ist auch hier. Er selbst ist in die aggressive Richtung gegangen, hat sich von niemandem was sagen lassen. Aber ich wusste, wie ich mich ihm nähern kann. Das habe ich auch getan. Das ist jetzt ein super Typ.
 
Ich will meiner Familie finanzielle Unabhängigkeit verschaffen als Fahrlehrer. Hoffentlich. Ich habe vor, meinem Sohn ein Geschwisterchen zu schenken, vielleicht nach drei, vier Jahren. Wie es halt kommt. Was wünsche ich mir? Eigentlich nur Frieden und Gesundheit. Mehr brauche ich nicht - eine schöne Wohnung vielleicht.
 
Er lacht laut.

Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24