Illustration Am Späti:Eine Tasse mit Untertasse und Löffel.(Quelle:rbb)

Berlin Am Späti in Buch: "Ich tu' doch keiner Sau was!"

Stand: 25.08.2024 16:27 Uhr

Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: Ein Frührenter, der wegen zweier Gewalttaten nicht mehr arbeiten kann.

rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.

Wer: Frührentner aus Pankow
Alter: 55 Jahre
Uhrzeit: 16:01 Uhr
Gekauft: ein großer Cappuccino
Geld: Bar
Woher: vom Besuch bei seiner Mutter
Wohin: nach Hause
Späti: ein Lotto-Toto-Laden in der Nähe des S-Bahnhofs Buch

Er kommt langsam und etwas behäbig aus dem Lotto-Toto-Shop heraus und
setzt sich auf einen der freien Stühle vor dem Laden. Vor ihm steht ein riesiger
Cappuccino. Dem Gespräch willigt er recht gleichgültig ein.

Wie das Jahr bisher war?
 
Er schweigt lange und überlegt.
 
Naja, die letzten Jahre wird alles teurer. Ansonsten ist nichts weiter los. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Es geht so. Ich habe eine relativ gute Rente. Aber wenn man Andere sieht, die kaum Rente haben, ist das schon traurig. Vor der Rente habe ich mehrere Sachen gemacht. Maler habe ich gemacht. Gelernt bin ich Kaufmann.
 
Dann bin ich halt Opfer geworden von Gewalttaten und kriege jetzt Opferrente. Ich wurde zwei Mal zusammengeschlagen. Das erste Mal war heftig – da ist der Blödmann mir direkt auf dem Kopf rumgetrampelt. Fünf Minuten später wäre ich tot gewesen. Hatte einen kompletten Filmriss.
 
Früher hat man sich als Kind mal rumgeprügelt. Wenn einer am Boden lag, dann war der Kampf vorbei. Also auf einen weiter rumtreten, so etwas kannte ich noch nicht. Zumal das ein Hüne gewesen sein soll. Ich bin ja - bis auf den Bauch - bis heute ein Spargeltarzan. Das war kein fairer Kampf. Aber wie gesagt, vielleicht ist es auch besser, dass ich ein Blackout hatte.
 
Ich war dann erst eineinhalb Jahre krank, dann ging es komischerweise wieder. Dann habe ich eine Umschulung angefangen, aber dann wurde ich das zweite Mal zusammengeschlagen. Das war bloß eine Platzwunde am Ohr, aber psychisch habe ich einen Nervenzusammenbruch bekommen.
 
Bisher hat er eher monoton gesprochen. Nun wird er emotionaler.
 
Was denn? Ich schon wieder? Was wollen die alle von mir? Ich tu doch keiner Sau was!

Er schüttelt den Kopf.
 
Was ich mir wünsche?
 
Er macht wieder eine längere Pause und überlegt.
 
Naja. Mal naiv ausgedrückt: dass sich eigentlich alle mal vertragen – so ungefähr. Ukraine, Israel und so weiter. Seit vier Jahren gucke ich vielleicht ein, zwei Mal die Woche Nachrichten. Früher täglich, aber Corona ging mir dann so auf den Sack, deshalb gucke ich nur noch ab und zu.
 
Die Wahl habe ich verfolgt, habe auch gewählt. Ich gebe zu, ich mag die AfD nicht unbedingt, aber ich meine, verständlich ist es auf der anderen Seite auch wieder. Das nimmt ja Überhand mit den Ausländern. Auf eine Art kann ich es verstehen. Aber das ist für mich eine falsche Herangehensweise, gleich wieder das Dritte Reich haben zu wollen. Da bin ich Preuße eher.
 
Er lacht zum ersten Mal sehr laut und ausgelassen.
 
Jeder nach seiner Façon, aber wer nicht spurt, fliegt raus!

Ich habe die Wagenknecht gewählt. Aber auch mehr aus Protest. Die Anderen kann ich nicht mehr für voll nehmen. Früher waren wir familiär eher so SPD, aber die kann man auch nicht mehr für Voll nehmen.
 
Auf die Frage, worüber in seiner Gegend unbedingt mal mehr berichtet werden müsste, kann er schnell antworten.
 
Das betrifft die Behinderten. Die Betreuung von Behinderten – mich betrifft das zum Glück nicht ganz so – ich komme ja noch alleine klar, aber Freundinnen und Freunde. Die Betreuung hat nachgelassen für Behinderte. Das ist 'ne Sauerei!
 
Für allen Scheiß geben sie Geld aus, aber seit ca. zehn Jahren nimmt das immer wieder ab. Die werden ja nun von unseren Steuergeldern bezahlt, diese Betreuer, und es werden eigentlich immer weniger. Da müsste mal einer mit dem Hammer auf den Tisch hauen. Und auch ein bisschen besser kontrollieren, was der Staat für Gelder rausschmeißt. "Faule Eier", auf Deutsch gesagt, wo der Staat mal mehr kontrollieren müsste – das ist mir alles zu lax. Die schmeißen Geld raus – Schulden, Schulden, Schulden. Ich bin im Osten groß geworden. Riesensummen Schulden! Kann ich nicht ab, so einen Mist. Unmöglich!
 
Es muss mehr Geld in die Bildung und in die Gesundheit. Das deutsche Volk verblödet. Wenn ich mir das Fernsehen schon angucke. Die "Privaten", nenne ich sie mal, zum größten Teil nur Verblödung.
 
Ich bin erst in Bernau groß geworden und dann mit 13 hier nach Buch. Meine Mutter wohnt noch hier, die besuche ich heute. Buch ist hässlicher geworden.
 
Er macht wieder eine lange Pause.
 
Wie soll ich das ausdrücken? Diese ganze Einkaufsmeile – hässlich, einfach hässlich. Ich sage es mal so: Es sind eine Menge niveaulose Leute hierhergezogen. Früher gab es hier mehr Handwerksmeister, Medizinier und so. Heute sind es – auf Deutsch gesagt – Proleten. Zu viele Proleten hier. Das hat sich verändert. Sagen wir mal so: hier direkt bin ich gerne, bei meiner Mama auch. Aber dieses "Ghetto", nenne ich es mal, da will ich nicht mehr hin.
 
Er schweigt wieder und macht deutlich, dass er das Gespräch jetzt beenden möchte.

Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24