Berlin Ausstellung: Geschichte(n) Tansanias: Das koloniale Archiv hat zum Vergessen beigetragen
Eine neue Ausstellung zeigt die Kulturgeschichte Tansanias unter neuen Gesichtspunkten, die weit über das durch die Kolonialzeit geprägte Bild hinausgehen. Es geht auch um ein neues Verständnis einer viel älteren Kultur und dem respektvollen Umgang damit.
Im Ethnologischen Museum in Berlin befinden sich mehr als 10.000 Cultural Belongings* aus dem heutigen Tansania, früher ein Teil der Kolonie "Deutsch-Ostafrika". Die Ausstellung "Geschichte(n) Tansanias" [humboldtforum.org] setzt sich kritisch mit der Geschichte dieser Sammlung auseinander. Entstanden ist die Ausstellung mit Fachleuten aus Daressalam, Songea und Berlin sowie Repräsentant:innen von Communities in Tansania.
rbb: Frau Schimanowski, was ist der Hintergrund dieser Ausstellung?
Maike Schimanowski: Das deutsche Wissen über Tansania beginnt im Grunde mit der Idee, dass es eine deutsche Kolonie war. Das versuchen wir zu dekonstruieren. Vor der Kolonialherrschaft gab es über 5.000 Jahre lang einen wahnsinnig intensiven Austausch über den indischen Ozean. Handelsbeziehungen, aber auch Austausch von Wissen und Informationen, von ästhetischen Ideen.
Wer hat entschieden, was in der Ausstellung gezeigt wird?
Die Vorauswahl wurde von sieben Kurator:innen getroffen: drei Kurator:innen des National Museums of Tanzania, zwei von den Staatlichen Museen zu Berlin und zwei von der Stiftung Humboldt Forum. Zusammen haben wir in einer Konferenz in Daressalam in Tansania im Dezember 2023 drei Tage lang intensiv diskutiert mit Community Representatives und Nachfahr:innen der Vorbesitzer:innen oder Nutzer:innen dieser Culture Belongings.
Wie kamen die Cultural Belongings, die Sie hier ausstellen, nach Deutschland?
Da kommen wir eigentlich zu dem Punkt: Wer hat alles gesammelt, wer wurde auch animiert dazu? Es gab damals ein Heft, eine Publikation, die im Grunde jeden, der mit der deutschen Kolonialarmee nach Ostafrika geschickt wurde, dazu animiert hat: "Bitte sammelt ein". Man sollte auch aufschreiben, wo und wann man was gesammelt hat. Aber die wenigsten haben aufgeschrieben, wo sie die Objekte eingesammelt haben. So kamen immer mehr von den Cultural Belongings in Privatbesitz und dann über Nachlass zum Beispiel in das Ethnologische Museum Berlin.
Stellen Sie hier nur Objekte aus, bei denen die Provenienz, also die Herkunft, eindeutig geklärt ist?
Zusammen mit meiner Kollegin Kristin Weber-Sinn vom Zentralarchiv der Staatlichen Museen in Berlin haben wir für mehrere der Cultural Belongings Provenienzketten recherchieren können. Aber es gibt jede Menge, die noch weiter bearbeitet werden müssen. Wir haben lange überlegt, ob wir die Objekte, für die wir keine direkten Nachfahren oder Repräsentant:innen der Communities ausfindig machen konnten, ausstellen können. Mit unseren Kolleg:innen vom National Museum of Tanzania haben wir über die einzelnen Cultural Belongings gesprochen und so ein Einverständnis vom Museum erhalten. Zum Beispiel für eine Repräsentation.
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Wie kann man sich so eine Repräsentation von einem Cultural Belonging vorstellen?
Wir haben für ein großes Cultural Belonging nicht die Erlaubnis erhalten, das Original in diesem Gebäude zu zeigen. Von den Kontaktpersonen der Communities haben wir dann aber die Erlaubnis bekommen, über dieses Cultural Belonging zu sprechen und ein Künstler hat eine Repräsentation angefertigt. Das ist eine in echten Proportionen angefertigte Zeichnung, die schemenhaft diese Skulptur darstellt.
Frauen in Machtpositionen in Ostafrika zu dieser Zeit sind anscheinend aus der Perspektive der kolonialen Akteure nicht denkbar.
Können Sie mir etwas über ein konkretes Cultural Belongings erzählen, das Sie ausstellen?
Wir stellen zum Beispiel den Stuhl der weiblichen Würdenträgerin von Urugu aus, der 1897 gewaltvoll von Gideon von Grawert in Urugu angeeignet wurde. Dieses Cultural Belonging zeigt, wie das koloniale Archiv zu einem Vergessen beigetragen hat. Denn im ersten Eintrag des historischen Hauptkatalogs schreiben sie "Sultanin". Diese weibliche Form des Titels, der auch von den Deutschen einfach übergestülpt wurde, verschwindet über die Zeit. Später ist es der "Herrscherstuhl" oder noch schlimmere Titel. Also eine männliche Zuordnung. Frauen in Machtpositionen in Ostafrika zu dieser Zeit sind anscheinend aus der Perspektive der kolonialen Akteure nicht denkbar.
Das ist insofern also auch eine Sichtbarmachung von weiblicher Geschichte?
Das ist die Hoffnung. Wir sehen hier auch die Geschichte der Aneignungspraxis dieser kolonialen Akteure, die genau nach solchen Machtsymbolen suchen und die in diesem Sinne aneignen.
Sie sind keine Ethnologin, sondern Kunsthistorikerin. Aus der Sicht einer Kunsthistorikerin, gehören die ausgestellten Cultural Belongings in deutsche Museen?
Es setzt voraus, dass wir Museen als Orte der Präsentation von Kunst begreifen. Wir könnten also fragen: "Wie kann sich die Repräsentation verändern in einem Museum wie diesem, das sich ethnologisches Museum nennt?" Viele andere ähnliche Museen haben ihre Namen in den letzten Jahren verändert. Da müssen wir als europäische Museen noch dazulernen.
Deswegen haben wir diesen Moment der Kollaboration für uns ganz klar als Bedingung gesehen. Aber auch die Idee des Einverständnisses, des Einbeziehens und der Partizipation war uns wichtig. Das ist ein erstes Gespräch, um darüber aufzuklären, dass es diese Cultural Belongings gibt. Wie können wir sie präsentieren? Sollen wir sie präsentieren? Welche Art ist respektvoll? Was sollen wir noch dazu erzählen? All das waren Fragen, die wir uns und den Community Representatives gestellt haben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Luis Babst für rbbKultur.
Cultural Belongings* sind nicht nur Ausstellungsstücke oder Objekte. Vielmehr stehen sie für kulturelle Identität. Sie vermitteln Beziehungen zwischen Menschen, Orten- sowie kulturellen und künstlerischen Praktiken. Cultural Belongings binden Aspekte wie Sprache, Religion, Sitten oder Wertvorstellungen mit ein.
Sendung: rbbKultur, 23.11.2024, 18:30 Uhr