Agnieszka Wierzcholska, Co-Leiterin des Projektes Deutsch-polnishes Haus. (Quelle: Agnieszka Hreczuk)

Berlin Deutsch-Polnisches Haus geplant: "Polen hatte sehr viel mit deutscher Geschichte zu tun"

Stand: 29.08.2024 15:16 Uhr

Mit Hilters Überfall auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Nach wie vor gibt es keinen Erinnerungsort für die polnischen Opfer. Ein neues Projekt in Berlin soll das ändern, hofft Co-Leiterin Agnieszka Wierzcholska.

rbb|24: Frau Wierzcholska, seit Jahren fordert Polen einen Erinnerungsort für seine Opfer des Zweiten Weltkriegs. Das Deutsch-Polnische Haus ist eine Antwort auf die Forderungen. Warum ist es wichtig?

Agnieszka Wierzcholska: In Deutschland wird viel über den Zweiten Weltkrieg gesprochen, aber das Ausmaß der Verbrechen in Polen ist immer noch wenig bekannt. Einer der Gründe ist sicherlich, dass Haupttäter, die für die Verbrechen verantwortlich waren, nie in Deutschland vor Gericht standen. Heinz Reinefarth zum Beispiel, der "Henker von Warschau", war maßgeblich an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands beteiligt. Es ist wichtig, noch mal daran zu erinnern, was konkret passiert ist und inwiefern Polen, aber auch Ukrainer und Belarussen unter dem deutschen Terror gelitten haben. Der Antislawismus war im Nationalsozialismus sehr verbreitet.

Im Juni hat das Bundeskabinett den Realisierungsentwurf für das Deutsch-Polnische Haus beschlossen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat ihn vorgelegt. Wie gehts weiter?
 
Mit dem Realisierungsentwurf soll sich im Herbst der Bundestag weiter befassen. Für uns ist es wichtig, dass das Projekt mit einem Budget hinterlegt wird, und es einen Standort für das Deutsch-Polnische Haus gibt. Dann können wir einen Zeitplan festlegen.

Wie soll die Projektidee konkret umgesetzt werden?
 
Das Haus soll auf drei Säulen basieren. Die erste Säule ist das Gedenken, also ein Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung Polens. Die zweite Säule ist eine Dauerausstellung zum Thema. Die dritte Säule soll ein Bildungsprogramm sein. Ich glaube, in diesem Dreiklang, "gedenken", "verstehen" und "begegnen", wird erst ein zukunftsgewandter Gedenkkomplex und auch ein gemeinsames Gedenken möglich sein. Es wird ein Ort des Austauschs, der Diskussion und der Auseinandersetzung sein. Innovativ finde ich daran, dass wir von der Geschichte der gemeinsamen Nachbarschaft ausgehen: Dieser Nachbarschaft, die so viele Tiefpunkte hatte, die von asymmetrischen Machtverhältnissen geprägt ist und mit einer unglaublichen Gewalt verbunden ist, die von der deutschen Seite ausging.

In Polen halten viele an einem konventionellen Denkmal fest, an dem man Kränze niederlegen könnte. Vor allem konservative Politiker möchten einen solchen Erinnerungsort in Berlin haben, ein Begegnungsort ist ihnen zu wenig sichtbar.
 
In Polen ist das Wissen darüber, was während deutscher Besatzung passiert ist, sehr präsent. Es ist im Familiengedächtnis, im Film, in der Literatur, im Schulprogramm verankert. Aber es geht um ein Denkmal in Berlin, das sich an das deutsche Publikum richtet. Das Gedenken ohne Wissen kann wenig Empathie für die Opfer bewirken, weil man eben nicht weiß, wer die Opfer waren und was eigentlich passiert ist. Deswegen ist das Haus so wichtig. Sonst bleibt ein Denkmal eben nur ein Ort ohne eine emotionale Bedeutung.

Worüber soll die Dauerausstellung im Haus erzählen?
 
Ganz praktisch geht es um die deutsche Besatzung Polens. Zum einen um die Opfer selbst, zum anderen um die polnische Kultur, also darum, was zerstört wurde. Es sollte auch einem deutschen Besucher helfen, konkret zu verstehen, was seine Vorfahren womöglich im Osten erlebt haben. Die meisten wissen, dass zum Beispiel der Opa während des Krieges irgendwo im Osten war. Aber selten wissen sie, wo er denn genau war. Was hat er konkret gemacht? Wer hat an diesem Ort gelebt? Wie sah das Leben dort vor dem Krieg aus? Diese konkrete Beschreibung ist, glaube ich, sehr wichtig. Damit dieser Osten nicht so abstrakt wirkt.

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Bei der Ausstellung soll es auch um die jahrhundertelange deutsch-polnische Nachbarschaft gehen.
 
Ja, das ist sehr wichtig. Wir müssen uns vorstellen, dass im 19. Jahrhundert, nach den Teilungen Polens, circa 50 Prozent des preußischen Territoriums polnisch war und die Bevölkerung Preußens zu 40 Prozent polnischsprachig war. Polen hatte sehr viel mit deutscher Geschichte zu tun. Preußen wurde überhaupt erst nach den Teilungen Polens zu einem europäischen Player. In der Zeit haben sich die Beziehungen zwischen Preußen und Russland gefestigt. Und wenn wir wiederum heute darüber sprechen, wer der relevante Andere für die deutsche Nationswerdung ist, dann ist es natürlich immer Frankreich. Aber Polen ist mindestens genauso wichtig für die deutsche Geschichte.

Was bedeutet das deutsch-polnische Haus für Sie persönlich?
 
Ich komme aus Polen, meine Eltern und Großeltern haben den Krieg in Warschau erlebt. Diesen Blick in die breitere Öffentlichkeit zu bringen und einen ganz ehrlichen, einen schwierigen Dialog anzufangen, sehe ich auch als Pflicht. Ich bin dankbar, dass ich meinen Teil für die Brücke zwischen der deutschen und der polnischen Gesellschaft leisten kann. Das ist ein ganz wunderbares Gefühl, einen Ziegelstein mitzugeben, damit diese Brücke stabiler ist. Wir haben mal bei uns einen Mitarbeiter gehabt, der seiner ukrainischen Freundin vom Deutsch-Polnischen Haus erzählt hat, und darüber, was hier gemacht wird. Sie habe dann gesagt: "Ich hoffe, dass das eines Tages vielleicht nicht für meine Kinder, aber für meine Enkelkinder möglich sein wird, zwischen Ukrainern und Russen, sich so mit der Geschichte des Krieges auseinanderzusetzen".

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Mit Agnieszka Wierzcholska sprach Agnieszka Hreczuk, Team Kowalski, für rbb|24

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