Berlin Mitte OT Gesundbrunnen: an der Bellermannstraße / Grüntaler Straße verhindern Poller Schleichwege und Durchfahrten und sorgen für Verkehrsberuhigung. (Quelle: IMAGO/Jürgen Ritter)

Berlin Gescheitertes Sondervermögen: Bleibt das Klima in Berlin bei Schwarz-Rot auf der Strecke?

Stand: 31.07.2024 18:15 Uhr

Mit bis zu zehn Milliarden Euro wollte der Berliner Senat beim Klimaschutz den Turbo einlegen. Doch seit das Sondervermögen wegen der Schuldenbremse einkassiert wurde, passiert nichts. Dabei liegen alternative Konzepte für mehr Klimaschutz auf dem Tisch. Von Jan Menzel

  • Senat findet keinen Ersatz für gekipptes Sondervermögen Klimaschutz
  • Koalition streitet über weiteres Vorgehen
  • Begrünte Kiezblocks könnten Einsparungen zum Opfer fallen
  • CDU-Politiker Freymark: Klima-Thema hat keine Top-Priorität

In der Bellermannstraße in Berlin-Gesundbrunnen lässt sich gut besichtigen, wie sehr der Klimawandel zuschlägt, aber auch was sich dagegen tun lässt. Die Mittagssonne brezelt unerbittlich auf die breite gepflasterte Straße. Doch Kerstin Walter lässt sich von der Hitze nicht abhalten. Walter wohnt und arbeitet gleich um die Ecke. Jetzt steht sie mit einer grünen Gießkanne zwischen den Hochbeeten, die mitten auf die Kreuzung gestellt wurden, als Teil eines verkehrsberuhigten Kiezblocks.

"Das war eine Rennstrecke", sagt die Frau im leuchtend gelben Kleid. Früher seien die Autos einfach durchgebrettert, erinnert sie sich und blickt auf die Sonnenblumen und Zucchinis, die gerade blühen. Brombeeren ranken über die Holzbretter. Ein kleiner Baum muss gewässert werden und Walter freut sich über das viele Grün. "Wir haben hier Heuschrecken. Wir haben Bienen und Insekten und versuchen auch die Pflanzen darauf auszurichten."

Archivbild: Kohle-Heizkraftwerk Reuter in Berlin. (Quelle: dpa/blickwinkel)
Berliner Klima-Sondervermögen in jetziger Form nicht realisierbar

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Kiezblock mit Klimaeffekt

Dabei sei ihr schon klar, dass die zwölf Hochbeete nicht das Klima von Berlin retten könnten, aber ein Beitrag nach dem Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein" sei das schon. Auch Mathias Krümmel vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) betont, dass der kleine Kiezblock einen doppelten Effekt habe. "In Punkto Klimaanpassung hat es eine Wirkung, weil wir mit kühleren Temperaturen unterwegs sein werden, wenn die Pflanzen richtig gepflegt werden. Und die Verkehrsminderung, die hier stattfindet, hat Klimaschutzwirkung par excellence."

Doch Projekte wie das in der Bellermannstraße stehen auf der Kippe, seit das vom Senat mit Pauken und Trompeten angekündigte Sondervermögen futsch ist. Und nicht nur sie: Groß geplant hat der Senat auch die energetische Gebäudesanierung, den Umbau der Wärmeversorgung weg von fossilen hin zu erneuerbaren Brennstoffen und die CO2-neutrale Umstellung der Wirtschaft. Wie das nun alles finanziert werden soll, ist auch Monate nach dem Aus für das Sondervermögen völlig offen.
 
Die Finanzverwaltung will sich auf rbb-Anfrage nur schriftlich äußern: Man prüfe intensiv "eine Reihe anderer Finanzierungsmodelle" und stehe in "intensivem Ausstauch" mit den Verkehrsbetrieben, der Stadtreinigung und den Wohnungsbaugesellschaften, um Wege zu finden, wie der klimaneutrale Umbau der Stadt bewerkstelligt werden könne, teilte eine Sprecherin mit.

Archivbild:Eine Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhaus am 21.03.2024.(Quelle:dpa/B.v.Jutrczenka)
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Für den energiepolitischen Sprecher der Grünen Stefan Taschner sind diese Sätze nach Monaten des Wartens ein Unding: "Von den alternativen Finanzierungsmodellen, von denen der Finanzsenator bisher gesprochen hat, ist nichts zu hören und nichts zu sehen. Und die Klimaschutzsenatorin Frau Bonde geht komplett auf Tauchstation. Für den Klimaschutz ist dieser Senat eine einzige Katastrophe."

Milliardenloch im Landeshaushalt

Tatsächlich wird schon seit Monaten in der Koalition darüber diskutiert, wie das gescheiterte Sondervermögen zumindest teilweise und konform mit der Schuldenbremse ersetzt werden könnte. Ein vielversprechender Weg wäre, Landesunternehmen stärker mit Eigenkapital auszustatten, damit diese auf dem Kapitalmarkt Kredite aufnehmen können. So könnten milliardenschwere Investitionen angeschoben werden. Eine Blaupause dafür gibt es auch schon: Um das landeseigene Stromnetz fit für die Energiewende zu bekommen, machte der Senat Anfang des Jahres 300 Millionen Euro locker.
 
Doch auch die CDU-geführte Umwelt- und Klimaschutzverwaltung ist auf rbb-Anfrage nicht in der Lage, konkret zu benennen, wo und wie der Klimaschutz ohne das Sondervermögen vorangebracht werden soll. Beim Koalitionspartner SPD wächst daher die Ungeduld. Spätestens nach der Sommerpause müsse ein Konzept vorliegen, verlangt die umweltpolitische Sprecherin Linda Vierecke. "Jeder Mensch, der die Klimakrise ernst nimmt, muss einfach sagen: Wir sind viel, viel zu spät dran. Das hat nicht allein dieser Senat zu verschulden, aber jetzt muss halt Dampf in den Kessel – ganz klar."

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Klima hat hohe, aber keine übergeordnete Bedeutung

Doch mit dem Dampf dürfte das in der schwarz-roten Koalition so eine Sache werden. Die einst geplanten fünf bis zehn Milliarden Euro werde man nicht mehr aufbringen können, dämpft der umweltpolitische Sprecher der CDU, Danny Freymark, die Erwartungen. "Das Geld ist nicht in dem Umfang da wie gewünscht", bilanziert Freymark und verweist auf das Milliardenloch im Landeshaushalt.
 
Aber Freymark macht auch deutlich, dass die Prioritäten für seine Fraktion woanders liegen. Es gebe für die CDU andere wichtige Bereiche wie die innere Sicherheit oder die Sanierung der Infrastruktur, die allesamt kostspielig seien. "Das Klima-Thema hat eine hohe Bedeutung, aber es ist nicht übergeordnet. Das kann man ärgerlich finden, aber es ist faktisch richtig, damit die Grundbedürfnisse der Berlinerinnen und Berliner erfüllt werden."

Für Kerstin Walter in Berlin-Gesundbrunnen ist die Mittagspause am Hochbeet fast vorbei. Die Pflanzen in den Hochbeeten vor ihrer Haustür in der Bellermannstraße hat sie gut versorgt. Doch sie hat die Befürchtung, dass der Klimaschutz in ganz Berlin auf der Strecke bleiben könnte. "Es würde mich fast traurig machen." Gar nicht mal so sehr für sie selbst, sondern für ihre Kinder und Enkel, sagt Walter. "Weil ich glaube, dass ist das falsche Pferd, auf das wir da setzen."

Sendung: rbb24 Inforadio, 31.07.2024, 07:45 Uhr

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