Symbolbild: Hausgewalt gegen Frauen. (Quelle: dpa/Sebastien Desarmaux)

Berlin Brandenburg Gewalt gegen Frauen: "Männer, holt euch Hilfe"

Stand: 09.09.2024 06:17 Uhr

Ende August wurden binnen weniger Tage zwei Frauen in Berlin mutmaßlich von ihren Ex-Partnern getötet. Um Gewaltopfer besser zu schützen, sind nun schärfere Gesetze und verpflichtende Besuche von Anti-Gewalt-Kursen im Gespräch. Von Sylvia Tiegs

Tom, der in Wahrheit anders heißt, hatte privat das große Glück gefunden: Ehe mit der geliebten Frau, ein gemeinsames Wunschkind. Doch dann kamen finanzielle Probleme, wie der Spandauer im Interview mit rbb|24 erzählt. Er habe darüber nicht mit seiner Frau reden können, sagt er. "Ich fand keine Worte, meine Frau ließ nicht locker. Am Ende habe ich sie in den Schwitzkasten genommen. Das war der erste Gewaltausbruch", sagt Tom. Er habe sich geschämt.
 
Seine Frau riet ihm daraufhin zu einem Anti-Gewalt-Training. "Ich dachte, ich brauche das nicht", sagt Tom rückblickend. Doch vor einem Jahr hat er den Kurs doch gemacht - freiwillig, nach weiteren Gewaltausbrüchen und dem Scheitern der Ehe. Er spreche darüber, damit nicht andere Männer auch "ihren geliebten Partner, ihr Kind verlieren, wegen unüberlegter Gewalt." Bei seiner Ex-Frau und seinem Sohn habe er sich in aller Form entschuldigt für das, was er ihnen angetan habe. Das Verhältnis zu beiden sei wieder harmonisch. Schuldgefühle aber plagten ihn bis heute, sagt Tom.

Es wird immer gefragt, was kann die Frau tun. Der Mann mit seiner Verantwortung wird da sehr wenig in den Blick genommen. Durch die Täterarbeit in den Anti-Gewalt-Programmen geschieht das.

Anti-Gewalt-Training mit ungewissen Erfolgen

Tom hat das "Trainingsangebot in Fällen häuslicher Gewalt" des Berliner Zentrums für Gewaltprävention wahrgenommen [bzfg.de] absolviert. Dessen erklärtes Ziel: "Konflikte in der Partnerschaft gewaltfrei zu lösen". Das Zentrum betreibt Gruppenangebote in der Hauptstadt und in Brandenburg. Schaut man sich die Fallzahlen an, ist der Bedarf an solchen Kursen riesig. In Brandenburg ist die Zahl der gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt 2023 um sieben Prozent gestiegen, auf 6.000 Taten. In Berlin beträgt der Anstieg - im Vergleich zum Vorjahr - fast neun Prozent, auf 18.000 Fälle. Neuere Zahlen gibt es derzeit nicht.
 
Johanna Wiest, Referentin für häusliche Gewalt beim Verein Terre des Femmes, hält Anti-Gewalt-Programme für "wichtig und gut", wie sie sagt. Der Verein stellt laut Wiest immer wieder fest: Bei Gewalt in der Partnerschaft müsse meist die Frau handeln. Aus der Wohnung flüchten, eine neue Kita oder Schule für die Kinder finden, bei Nachstellungen durch den Ex-Partner womöglich sogar den Arbeitsplatz wechseln und vor Gericht Annäherungsverbote durchsetzen.
 
Anti-Gewaltprogramme, ob freiwillig oder als Auflage absolviert, würden die Täter in die Verantwortung nehmen, sagt Wiest. Allein aber könnten diese Kurse das enorme Gewaltproblem nicht lösen – oft bräuchte es weitere Maßnahmen, sei ihre Erfahrung. Und: Wie diese Kurse langfristig wirkten, werde kaum untersucht.

Politikerinnen und Experten machen Druck

Berlins Sozialsenatorin Kiziltepe (SPD) setzt jetzt dennoch verstärkt auch auf Anti-Gewalt-Kurse. Ende vergangener Woche hat Kiziltepe ein Maßnahmen-Paket vorgelegt, unter dem Eindruck der beiden mutmaßlichen Femizide binnen weniger Tage Ende August. Zwei Frauen waren in Zehlendorf beziehungsweise in Lichtenberg erstochen worden, mutmaßlich von ihren Ex-Partnern. In dem Papier fordert die Senatorin nun unter anderem, verurteilte Straftäter künftig zum Besuch von Täterkursen zu verpflichten.
 
Kiziltepe schließt sich auch einer Forderung an, die die Justizsenatorin Badenberg (CDU) nach den Frauentötungen Ende August erhoben hatte: elektronische Fußfesseln für notorische Gewalttäter. Die Justizverwaltung prüft derzeit, ob ein stärkerer Einsatz von Fußfesseln bei häuslicher Gewalt möglich ist. Brandenburg ermöglicht die elektronische Überwachung seit einer Gesetzesverschärfung im Februar, allerdings nur für sogenannte "Hochrisikofälle". Das sind Fälle häuslicher Gewalt, bei denen Frauen und ihre Kinder Gefahr laufen, getötet zu werden, bereits mit Waffen bedroht oder schwer verletzt wurden.
 
Johanna Wiest vom Verein Terre des Femmes äußert ihre Zustimmung für die Fußfessel: "Dann muss der Mann dafür sorgen, dass er der Frau nicht zu nahe kommt, und sie muss nicht vor ihm weglaufen", sagt Wiest. Spanien habe damit gute Erfahrungen gemacht.

Kampf gegen immer höhere Fallzahlen

Doch die Fußfessel bleibt in der aktuellen Debatte so umstritten wie die Anti-Gewalt-Kurse. Roland Weber, Berlins Opferbeauftragter und Rechtsanwalt, sagt zur Fußfessel: "Rechtlich und technisch schwer umzusetzen". Ähnlich äußert sich die Gewerkschaft der Polizei.
 
Weber fände wichtiger, dass die Täter schneller vor Gericht landen, sagt er. Er plädiert für eine Stärkung der personell unterbesetzten Amtsgerichte, damit schwere häusliche Gewalt schneller bestraft werden kann. Außerdem müssten die Frauenhäuser "wirklich dringend besser ausgestattet werden", fordert der Opferbeauftragte.
 
Der scheinbar ungebremste Anstieg der Fallzahlen treibt ihn um, wie er deutlich macht. 2013 gab es laut Berliner Polizeistatistik 14.000 gemeldete Fälle häuslicher Gewalt, inzwischen sind 4.000 Fälle hinzugekommen. "Das darf nicht sein, wir müssen gegensteuern", sagt Roland Weber.

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"Ich wollte so nicht mehr sein"

Der getrennt lebende Vater Tom hat im Privaten versucht, aus seiner persönlichen Gewaltspirale herauszufinden - und glaubt seinen Worten zufolge, es geschafft zu haben. Tom sagt, er sei unendlich froh, den Anti-Gewalt-Kurs besucht zu haben: "Ich wollte so nicht mehr sein."
 
Er könne anderen Männern nur dringend raten, das gleiche zu tun. "Männer, lasst euch beraten, holt euch Hilfe", lautet sein Appell. Man müsse über seinen Schatten springen - aber das sei es wert.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.09.2024, 6 Uhr