Eine Person wird im Selfie-Museum von einer anderen fotografiert. (Quelle: rbb/Marie Kaiser)

Berlin Hauptsache instagrammable? Wie sich Privat-Museen in Berlin auf Jugendliche spezialisieren

Stand: 21.07.2024 08:16 Uhr

Selfie-Museum, Illuseum oder Paradox-Museum - in Berlin gibt es immer mehr kleine Privatmuseen, die Spaß und Unterhaltung bieten. Aber: Sind sie nur perfekte Kulissen für Instagram-Fotos oder echte Museen? Von Marie Kaiser

Drei Teenager-Jungs springen in ein pinkes Bällebad. Sie toben ausgelassen wie Kinder, werfen die bonbonfarbenen Bälle in die Luft - vergessen aber auch nicht, sich in Szene zu setzen und zu fotografieren. Diese kleine Reminiszenz an die Kindheit gleich am Eingang ist kein Zufall, erklärt Torsten Künstler, der Kreativdirektor von "The Wow Gallery - Selfie Museum". "Wir nennen es "Social Media Playground", denn es ist ein kreativer Spielplatz, an dem sich jeder ausprobieren kann. Unsere Zielgruppe sind vor allem Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 28 Jahren."
 
In einer Schminkecke können Haare und Make-up nachgebessert werden und dann geht es ab in eines der Sets, die von Bühnen- und Szenenbildnern aufgebaut wurden, die normalerweise für Filmproduktionen arbeiten: ein riesiger goldener Sichelmond mit Wolke, ein Spiegelkabinett oder ein 70er-Jahre-Friseur-Salon mit Trockenhauben. Sehr beliebt ist die Fotokulisse über der in Leuchtschrift "Späti" steht. Eine Art Pop-Art-Späti mit Regalen voller knallroter Kartons. An der Wand hängt ein rotes Wählscheiben-Telefon.

Die zwölfjährige Maja hat sich in den riesigen roten Einkaufswagen gesetzt und posiert mit Herzchenkissen und Telefonhörer am Ohr. Ihre Mutter Petra fotografiert die Tochter ausgiebig. Beide sind aus dem Elsass und für ein paar Tage auf Berlin-Urlaub. Die vergleichsweise hohen Eintrittspreise, immerhin 19 Euro pro Person für 90 Minuten, konnten sie nicht abschrecken. "Es war ein Herzenswunsch meiner Tochter und deswegen war ich gerne bereit, das zu zahlen." Die staatlichen Museen zu Berlin, in denen Maja sogar freien Eintritt hätte, lassen sie bei diesem Berlinbesuch links liegen.

Weniger gucken, mehr machen

"Ich war auch schon mal in traditionellen Museen wie dem Louvre in Paris, was mir auch gefallen hat. Aber hier kann man mehr machen, und in den anderen Museen guckt man eher was an und liest. Das ist auf Dauer langweilig", findet Maja. Ihre Mutter Petra ergänzt: "In traditionellen Museen gibt es oft zu viel Information. Wenn da so ein bisschen mehr Interaktion dabei wäre, wäre das wesentlich besser für die Kinder. Ich glaube, dann würden sie sich auch viel besser merken, was sie da in dem Museum gesehen haben."

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Den eigenen Kopf auf einem Teller servieren
 
Auf Interaktion setzt auch das Illuseum, das es seit sechs Jahren in Berlin gibt. Das Museum für optische Täuschungen und Illusionen soll als Erlebnis für die ganze Familie funktionieren, erklärt die kaufmännische Museumsleiterin, Sedef Seven. Auch hier müssen die Besucherinnen und Besucher ein bisschen mehr ausgeben: Ein Familienticket für zwei Erwachsene mit maximal zwei Kindern kostet 48 Euro.

Anders als in vielen anderen Museen darf das meiste angefasst und überall fotografiert werden. Sehr beliebt ist die Station "Head on Plate", bei der der eigene Kopf dank einer optischen Täuschung wie abgehackt auf einem Teller serviert werden kann. Es gibt auch Räume, in denen Kinder plötzlich riesig erscheinen, während ihre Eltern geschrumpft in der Ecke stehen.

Das Foto als Gimmick, nicht als Hauptanliegen
 
All diese Stationen bieten sich hervorragend an, um Fotos für die eigenen Social-Media-Kanäle zu machen. Im Unterschied zum Selfie-Museum versteht sich das Illuseum aber ganz klar als Wissensvermittler, betont Sedef Seven. "Das Foto ist ein Gimmick, weil: Dann kann ich mir etwas mitnehmen. Aber das Foto ist nicht das Hauptanliegen. Uns ist es nicht nur wichtig, dass die Leute hier staunen, witzige Fotos machen und Spaß haben. Es geht auch darum, zu verstehen: Wie kommt es zu diesen Illusionen? Wir legen sehr viel Wert auf Führungen und Workshops." In einem "Tape Art Workshop" können sich die Besucherinnen und Besucher direkt ausprobieren und selbst mit bunten Tapes Kunstwerke erschaffen und anschließend mit nach Hause nehmen. "Ich glaube, dass sich unser Angebot mit dem der staatlichen Museen sehr gut ergänzt, sagt Sedef Seven vom Illuseum, das zwischen Alexanderplatz und Hackeschem Markt liegt. "Wir haben oft Besucher, die bei uns vorbeikommen, weil sie gerade auf dem Weg zu den staatlichen Museen auf der Museumsinsel waren und sich dann spontan entscheiden: Hier schaue ich auch mal rein."
 
Auf den Markt der privaten Museen, die vor allem auf Interaktion setzen, ist seit Juni nun noch ein neuer großer Player hinzugekommen. Im Bikini Berlin hat das Paradox-Museum eröffnet, das so erfolgreich ist, dass es mittlerweile Ableger in Barcelona, Paris, Oslo, Tokio, Madrid, Athen und London hat. Das Museum funktioniert wie eine begehbare Zaubershow mit vielen Gelegenheiten zum Fotografieren. Das Staunen steht hier eindeutig im Vordergrund. Wer auch verstehen will, auf welchen physikalischen Grundlagen, die paradoxen Erlebnisse beruhen, kann QR-Codes scannen und bekommt dann Erklärungen geliefert. Doch für die meisten Besucher:innen steht der Spaß und das lustige Foto im Vordergrund.

Das Museum als Gegenwelt zur Tristesse des Alltags?
 
Es gibt etwa 170 Museen in Berlin - man sollte meinen, mehr als genug: Warum braucht Berlin jetzt noch ein Paradox-Museum? Auf diese Frage antwortet Managerin Marysia Pawlik, dass das Paradox-Museum so gut funktioniere, weil es eine Gegenwelt zum Alltag bietet: "Es ist ein Ort, an den die Leute einfach kommen, um Spaß zu haben, zu lachen und etwas zu erleben, das sie von der Tristesse des Alltags ablenkt. Ich glaube, das ist im Leben eines jeden Menschen wichtig. Und ich spreche nicht nur von Kindern. Auch Erwachsene und ältere Menschen entdecken hier manchmal ihr inneres Kind wieder. Wir wollen aber auch ganz gezielt die Generation Alpha und die Generation Z ansprechen, also die digitalen Content Creator."

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Schwerelosigkeit erleben
 
Wie das Illuseum, hat auch das Paradox-Museum ein Spiegel-Labyrinth. Und auch hier kann der eigene Kopf auf einem Teller fotografiert werden. Einzigartig in Europa sei allerdings der Raum, in dem sich Schwerelosigkeit simulieren lässt, erklärt Marysia Pawlik. Wer die Schuhe auszieht, kann in eine Art Raumschiff einsteigen, das sich wie die Trommel einer Waschmaschine im Kreis dreht. Das Smartphone wird in eine Halterung gesteckt, die sich gleichzeitig mit dreht, so dass es im Video aussieht, als würden die Menschen hier wie Spiderman von der Decke hängen oder die Wände hochlaufen. Mit 19 Euro Eintritt pro Person, 52 Euro für ein Familienticket gehört das Paradox-Museum aber eindeutig zu den kostspieligen Museen in Berlin. Es wird sich zeigen, ob das auf Dauer funktioniert.

Selfie-Museum noch nicht ertragreich
 
Das Illuseum hat sich mittlerweile in Berlin gut etabliert, monatlich kommen im Schnitt etwa 15.000 Besucher:innen. Das sind Zahlen, von denen das Selfie-Museum in der East Side Gallery, das erst vor einem Jahr eröffnet hat, nur träumen kann. "Wir sind noch nicht happy. Wir kämpfen noch", sagt Torsten Künstler von "The Wow Gallery". "Bis jetzt verkaufen sich monatlich etwa 2.500 Eintrittskarten. Es ist noch kein ertragreiches Geschäft. Wir sind immer noch in der Anfangsphase und arbeiten mit viel Idealismus."
 
Dass auch die klassischen Museen vorsichtig überlegen, was sie der jüngeren Generation bieten können, für die das Erlebnis des Museumsbesuch mindestens genauso wichtig ist, wie das gelungene Selfie für den eigenen Social-Media-Auftritt, zeigt sich bei der gerade eröffneten Frans-Hals-Ausstellung in der Gemäldegalerie. Am Eingang liegen Postkarten aus, auf der die untere Gesichtshälfte eines Porträts aus dem 17. Jahrhundert abgebildet ist. Die Idee ist, sich die Karte vors Gesicht zu halten und dann ein Selfie zu machen. Doch so richtig scheint diese Idee nicht zu zünden, noch finden sich keine Postkarten-Selfies auf Instagram. Vielleicht könnten die klassischen Museen in Zukunft ja sogar mit den neuen Berliner Privatmuseen zusammenarbeiten, um für mehr Interaktion in den Ausstellungen zu sorgen und damit ein jüngeres Publikum anzusprechen. Einen Versuch wäre es bestimmt wert.

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