Berlin Interview | "Tanzforum Berlin": Was die geplante Kürzung des Kultur-Etats für die Tanzszene bedeuten könnte
Seit 2008 präsentiert sich die Tanzszene auf der Webseite "Tanzforum Berlin". Trailer, Portraits, Interviews bilden ein stetig wachsendes Onlinearchiv: Das Projekt wurde in weiten Teilen vom Senat finanziert - bisher. Was ein Wegfall des Geldes bedeuten könnte, erklärt Leiterin Doris Kolde.
rbb: Frau Kolde, seit 2008 dokumentieren Sie Tanz in Berlin in all Facetten. Seit 2011 wird die Website senatsseitig gefördert. Seit ein paar Jahren beläuft sich die Fördersumme auf 78.000 Euro pro Jahr. Was passiert, wenn dieses Geld wegfällt?
Doris Kolde: Das "Tanzforum Berlin" bildet ein Schaufenster für den zeitgenössischen Tanz aus Berlin ab. Wir filmen seit vielen Jahren über 120 Tanz-Performances pro Jahr. Aus diesen Aufnahmen werden Videodokumentationen produziert, die den jeweiligen Künstler:innen online zur Verfügung gestellt werden. Diese sind aber auch für internationale Veranstalter:innen, Kurator:innen, sowie für die Online-Recherche, Forschung und Lehre zugänglich.
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Wir richten uns damit auch direkt an das Publikum. Wir möchten Menschen zum Theaterbesuch anregen und gleichzeitig generieren wir zusätzliche Sichtbarkeit für die Künstlerinnen und Künstler und unterstützen sie damit bei der Promotion und Distribution ihrer Werke, sowie der Gastspielakquise.
Online gibt es kein vergleichbares Projekt, das in dieser gebündelten Form Videomaterial dieser speziellen Kunstsparte präsentiert. Wenn die Mittel wegfallen, dann fällt auch dieses Schaufenster weg.
Die Förderung soll nun zum Jahreswechsel eingestellt werden. Der Vertrag geht auch nur bis zum 31.12.2024. Sie haben, bevor Ihre Arbeit gefördert wurde, diese Webseite drei Jahre lang ohne Förderung der öffentlichen Hand gestemmt. Ist es denkbar, dass das wieder so funktioniert?
Das ist jetzt eigentlich nicht mehr denkbar. Nach so vielen Jahren, in denen wir das erfolgreich realisiert haben, denke ich nicht, dass wir persönliche Gelder da jetzt wieder reinstecken, um das Projekt fortzuführen.
Noch dazu gehört die Webseite in der Zwischenzeit dem Berliner Senat. Also wir können gar nicht darüber bestimmen, was dann tatsächlich damit passiert.
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Müssen sich die Kompanien vielleicht künftig selbst um das Promomaterial kümmern?
Natürlich kümmern sich Künstler auch selbst um Promotionsmaterial. Das, was der Unterschied ist, ist die Bündelung dieses Materials. Auf "Tanzforum Berlin" finden sie eben diese große Zahl an Videos und das sind Künstlerinnen wie Florentina Holzinger, die Compagnie Pula Linneos oder Christoph Winkler. Ganz etablierte Künstler stehen dort neben Newcomern und das ermöglicht eine Bündelung der Sichtbarkeit, die auf alle gleichzeitig positiv wirkt.
Das fällt natürlich weg, wenn jeder Künstler individuell seine Werke bewirbt. Das ist ein großer Unterschied, ob sie etwas bündeln und dadurch Interesse generieren oder ob sie individuell einfach versuchen, Zielgruppen zu erreichen. Das ist einfach ein sehr gebündeltes Angebot, das es in dieser Form in keiner anderen Metropole gibt. Das ist tatsächlich einzigartig.
Die Förderleistungen für Berliner Kultureinrichtungen sollen im Jahr 2025 um 10 Prozent gekürzt werden. Insgesamt sprechen wir von 120 Millionen Euro in der Kulturförderung für 2025. Natürlich machen die 78.000 Euro für das Tanzforum Berlin davon nur einen Bruchteil aus. Wo würden Sie sparen?
Bei der Tanzszene definitiv gar nicht.
Aber die Theaterszene sagt zum Beispiel auch: bei mir bitte auch nicht.
Ich bin jetzt nicht so firm in den Zahlen, die es da gibt. Aber was ich grob an Überblick kenne, sind alle anderen Kunstsparten wesentlich besser gefördert als der zeitgenössische Tanz. Es wird an Einsparmaßnahmen sicher auch den zeitgenössischen Tanz treffen. Und es wäre zum Beispiel auch möglich, das "Tanzforum Berlin"-Projekt zu skalieren und etwas geringer zu fördern. Also das wäre machbar. Es ist nur völlig unbegreiflich, warum ein derart erfolgreiches digitales Projekt komplett eingespart werden soll. Das ist uns bis jetzt zumindest ein Rätsel. Den Grund dafür kann ich Ihnen nicht sagen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Doris Kolde führte Katja Weber, radio3. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: radio3, 15.10.2024, 8:20 Uhr