U19-Spieler von Union Berlin und Hertha BSC im Zweikampf. (Foto: IMAGO / Matthias Koch)

Berlin Junioren-Fußball: So funktioniert die neue U17- und U19-Nachwuchsliga – und so stehen die Vereine dazu

Stand: 24.07.2024 17:26 Uhr

Der DFB hat die Fußball-Nachwuchsligen der U17 und U19 grundlegend reformiert. Die Vereine zeigen sich offen, doch der abgeschaffte Abstieg für Teams mit Leistungszentrum und die veränderte Einbindung von Amateurklubs bringt Zweifel auf. Von Marc Schwitzky

Der deutsche Fußball hat ein Problem. Ein Problem, über das auch die halbwegs erfolgreiche Heim-EM des DFB-Teams nicht hinwegtäuschen kann: Zu wenig deutsche Spieler erreichen noch das Topniveau.
 
Die fetten Jahre sind schon länger vorbei. Seit 2016 nahm Deutschland an keinem Halbfinale eines großen Turnieres mehr Teil. Der DFB und die DFL wollten die Problematik in Zahlen gießen und haben deshalb die kürzlich erschienene Studie "Jugendfußball in Deutschland im internationalen Vergleich" in Auftrag gegeben.

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Die Studie hat unter anderem ergeben, dass Deutschland im Vergleich der zwölf untersuchten Länder mit 0,95 auf eine Million Einwohner die wenigsten Profispieler hervorbringt. Spitzenreiter dieses Rankings ist Portugal mit 5,93 Spielern. Nachbarland Frankreich liegt bei 2,30. Zwar gibt es noch Juwele wie Florian Wirtz und Jamal Musiala, doch die Qualität in der absoluten Spitze fällt immer weiter ab.
 
Obwohl der DFB mit 7,1 Millionen Mitgliedern immer noch der größte Sportverband der Welt ist, sind die anderen sechs großen Fußball-Länder (Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, England, Niederlande) in Europa im Schnitt viermal so effektiv, was die Entwicklung von Topspielern angeht. Mit einer zur neuen Saison greifenden Reform der U17- und U19-Bundesliga will der DFB nun Abhilfe schaffen.

So funktioniert die neue U17- und U19-Bundesliga

Ab der Saison 2024/25 sind die U17- und U19-Bundesliga Geschichte – sie werden durch die sogenannte DFB-Nachwuchsliga ersetzt. Sie ist Teil des "Projekt Zukunft" vom DFB mit den vier Handlungsfeldern "Trainerentwicklung", "Wettbewerbe", "Förderstrukturen" und "Fußballentwicklung". Bislang waren die A- und B-Junioren-Bundesliga jeweils in drei regionale Staffeln eingeteilt – jenes System wird nun aufgelöst.
 
Künftig ist die Saison in der DFB-Nachwuchsliga in zwei Phasen aufgeteilt. In der Vorrunde werden die teilnehmenden Mannschaften in regionale Gruppen aufgeteilt, wobei jede Gruppe maximal acht Teams umfassen wird, die in Hin- und Rückspiel aufeinandertreffen. Vorgesehen sind 14 Spieltage.
 
In der zweiten Saisonhälfte teilt sich das Feld in Liga A für die jeweils beiden Gruppenbesten und die besten Gruppendritten und Liga B für die weiteren Teams auf. Diese jeweils 24 Klubs werden erneut auf vier Gruppen mit jeweils sechs Teams verteilt. Nach weiteren zehn Spieltagen ziehen in Liga A die vier besten Mannschaften jeder Gruppe ins Achtelfinale um die Deutsche Meisterschaft ein. Dort geht es in den K.o.-Modus.

Zukünftig sieben Wechsel pro Spiel

Die Klubs, die in der Vorrunde den Sprung in Liga A verpassen, absolvieren die zweite Saisonhälfte in Liga B. Die besten Mannschaften aus den zweithöchsten Spielklassen unter der DFB-Nachwuchsliga stoßen hinzu. Für Vereine ohne Leistungszentrum gilt: Wer sich für Liga A qualifiziert oder in Liga B auf einem der ersten vier Plätze in seiner Gruppe landet, hat seinen Startplatz für die Folgesaison in der DFB-Nachwuchsliga sicher. Darüber hinaus werden bei der U19 in Liga B weitere 18 Startplätze für den DFB-Pokal vergeben.
 
Pro Partie können künftig sechs Feldspieler plus der Torwart ausgewechselt werden, um mehr Spielern Praxis zu ermöglichen. Der DFB-Pokal der Junioren wird künftig auf 64 Teams aufgestockt. Alle Vereine mit einem Leistungszentrum sind sportlich dauerhaft für die DFB-Nachwuchsliga qualifiziert. Union Berlin, Hertha BSC und Energie Cottbus sind zukünftig also unabsteigbar. Die Anzahl der teilnehmenden Teams ist allerdings nicht gedeckelt und kann pro Saison variieren.

Das erhofft sich der DFB von der Reform

"Ziel ist die verbesserte Förderung von Nachwuchsspielern hin zu mehr Kreativität, Spielfreude und Leistungsstärke. Das neue Modell betont das natürliche Streben nach Erfolg und Siegen", hieß es in einer DFB-Mitteilung: "Die reine Misserfolgsvermeidung, die in der Vergangenheit im Spitzennachwuchsbereich oft dominierte, soll dagegen in den Hintergrund rücken, da diese die Entwicklung von Spielern bremst statt fördert."
 
Der abgeschaffte Abstieg von NLZ-Mannschaften soll eine befreitere und dadurch mutigere Spielweise fördern. Team müssen sich zukünftig nicht mehr zum Klassenerhalt mauern. Es soll vielmehr die individuelle Förderung der Spieler als der gesamtmannschaftliche Erfolg im Fokus stehen. Die Trainer sollen sich zudem mehr auf die eigenen Spieler als auf den Gegner konzentrieren, um die eigene Spielphilosophie voranzubringen.
 
Außerdem wird es für die NLZ-Teams zu mehr Partien auf hohem Niveau kommen, da sie weniger gegen regionale Amateurmannschaften antreten werden. "Mit diesen innovativen, von Fachleuten gestützten Maßnahmen wollen wir den Fußball in Deutschland zukunftsfest machen. Wir werden diesen Prozess weiter begleiten, überprüfen und bei Bedarf anpassen", sagte Hermann Winkler, zuständiger DFB-Vizepräsident für den Nachwuchs.

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Wie finden die Vereine die Neuerungen?

Die Vereine reagieren ergebnisoffen auf die Neuerungen. "Ich bin erstmal neugierig, besonders, was die vermehrten Duelle gegen Mannschaften, gegen die wir sonst nicht gespielt haben, angeht. Es ist spannend und einen Versuch wert", sagt Marco Grote, U19-Coach von Union Berlin, gegenüber rbb|24. Julian Eckert, Trainer der U19 des Berliner AK, äußert sich ähnlich: "Grundsätzlich finde ich es spannend, dass reformiert wird, um die Ausbildung voranzutreiben. So will man den NLZ-Vereinen den Ergebnisdruck nehmen, was vor allem den kleinen NLZ-Klubs helfen kann, die eigene Spielphilosophie zu entwickeln."
 
Herthas U19-Trainer Michael Hartmann mahnt zur Geduld. Er will der Reform Zeit geben. Für ihn ist ein entscheidendes Argument für den neuen Wettbewerb: "Du willst am liebsten Woche für Woche auf einem sehr hohen Niveau spielen. In der neuen Liga gibt es viele Spitzenmannschaften mit guten Akademien, sodass eine gute Weiterentwicklung der Spieler gegeben ist."
 
Es gibt aber auch Zweifel am neuen Modus. Claus-Dieter Wollitz ist skeptisch, ob der abgeschaffte Abstieg positive Auswirkungen haben wird. "Für die Vereine mit NLZ, die nicht absteigen, ist das natürlich gut. Ich bin allerdings ein Wettkampftyp und sage: Der Sport ist nur interessant, wenn es auch Verlierer gibt. Ohne Verlierer keine Sieger", so der Trainer von Energie Cottbus.

Wird der abgeschaffte Abstieg zum Problem?

"Die Frage ist, wie es sein wird, mit 17 Jahren immer ohne Nachteil verlieren zu können und dann in eine Seniorenmannschaft zu kommen, wo Verlieren quasi verboten ist, damit die Ziele nicht verpasst werden", führt Wollitz weiter aus. "Ich bin eher skeptisch, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren, denn sie haben sich bei der Reform ja etwas gedacht."
 
Unions Grote nimmt hierbei eine andere Perspektive ein. Er erklärt: "Ergebnisdruck haben wir ja weiterhin, es geht immer noch um viel. Es ist nur die Frage, wie es jeder einzelne lebt. Wir wollen schon weiter Spiele gewinnen, das gehört nach wie vor zur Ausbildung dazu. Es gibt auch immer noch Ziele, wie unter die ersten Drei der Gruppe zu kommen, um sich für die Endrunde zu qualifizieren und um den Titel mitzuspielen. Es gibt also weiterhin Wettbewerb." Eckert vom BAK argumentiert: "Ich glaube, ein Fußballspiel ist auch ohne Tabellendruck darauf ausgerichtet, dass man es gewinnen will. Den Drang gibt es bei den Spielern immer."
 
Aber auch Grote hat Zweifel. Er glaube erst einmal nicht daran, dass Mannschaft spielerisch anders auftreten, weil sie nicht mehr absteigen können. "Ich glaube, dass man trotzdem das beste Ergebnis erreichen will und dementsprechend seine Herangehensweise ausrichtet. Ich kann ehrlicherweise aber auch noch nicht abschätzen, wie es sich entwickelt und will es daher einfach mal abwarten", so der 51-Jährige.
 
Herthas Hartmann entgegnet, dass in der Nachwuchsarbeit immer der einzelne Spieler und weniger die Mannschaftstaktik im Fokus stehen sollte. Worin sich beide Trainer einig sind, ist, dass es dahingehend wohl weiterhin auf die persönliche Ausrichtung des jeweiligen Übungsleiters ankommen wird und es weniger an der Reform hängt.

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Die Kluft zwischen Amateur- und NLZ-Teams könnte größer werden

Der Umgang mit Vereinen ohne Nachwuchsleistungszentrum ist ein weiterer Aspekt, dessen Entwicklung abgewartet werden muss. Der DFB erklärt dazu: "Jedes Jahr nehmen garantiert mehr Amateurvereine am höchsten Wettbewerb teil als bisher, nämlich bis zu elf ab 2024/2025 statt durchschnittlich 5,5 wie in den Spielzeiten 2014/2015 bis 2019/2020."
 
"Für uns geht es weiterhin darum, Ergebnisse einzufahren, um uns letztendlich mit den NLZ’s messen zu dürfen. Aus der Sicht ist es für Amateurvereine langfristig schwerer, regelmäßig gegen die NLZ-Vereine antreten zu dürfen", erklärt BAK-Jugendtrainer Beckert, dessen U19 zumindest für die kommende Saison für den neuen Wettbewerb qualifiziert ist. "In der letztjährigen Regionalliga hatten wir sechs oder sieben NLZ-Vereine dabei, zukünftig keine mehr. Dadurch sinkt das Niveau für Amateurvereine."
 
Eckert räumt jedoch ein, dass durch die Regelung, elf Amateurvereine garantiert an der NLZ-Liga teilnehmen zu lassen, der Anreiz gegeben ist, die DFB-Nachwuchsliga trotzdem erreichen zu können. "Und durch die höheren Entschädigungen, wenn Jugendspieler in ein NLZ wechseln, wird der Amateurbereich wiederum gestärkt. So profitieren Amateurvereine deutlich mehr davon, wenn ihre Jugendspieler den nächsten Schritt machen", erklärt der 23-Jährige. "Vielleicht bringt die Reform auch den Anreiz für Jugendspieler im Amateurbereich mit sich, sich so gut entwickeln zu wollen, dass sie an der Liga partizipieren können."
 
Die Folgen der Ligareform werden wohl erst in vielen Jahren erkennbar sein.

Sendung: rbb24 inforadio, 24.07.2024, 19 Uhr