Symbolbild: Rund um die Heidestraße entsteht zwischen Spandauer Schifffahrtskanal und Invalidenstraße / Lehrter Straße / Fennstraße das Wohnquartier EUROPACITY in Berlin Moabit - der Golda-Meir-Steg verbindet das Wohnquartier mit Berlin Mitte. (Quelle: imago images/Ritter)

Berlin Keine Sozialwohnungen in Europacity - Senat wusste längst Bescheid über Änderungen bei Großbauprojekt

Stand: 19.07.2024 15:29 Uhr

Statt 215 Sozialwohnungen werden beim Großbauprojekt in der Europacity an der Heidestraße in Berlin-Moabit nur teure möblierte Appartements angeboten. Jetzt kommt raus: Der Senat war bereits seit letzten Herbst darüber informiert. Von Boris Hermel

In der Lisa-Fittko-Straße Ecke Heidestraße quetschen zwei Möbelpacker eine Unmenge von leeren Möbelkartons in einen Umzugs-LKW - ein untrügliches Zeichen dafür, dass es hier im fertiggestellten Neubau mit seinen 258 Apartments um teures möbliertes Wohnen geht, nicht um geförderte Sozialwohnungen. Und das, obwohl der Senat mit dem damaligen Eigentümer 2016 einen städtebaulichen Vertrag abgeschlossen hatte, der ausdrücklich die Vermietung von 215 geförderten Sozialwohnungen in diesem Neubau vorsah.
 
Seit Ende Juni ist öffentlich bekannt, dass der aktuelle Eigentümer sich daran nicht gebunden sieht. Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler, SPD, hat im Parlament schon rechtliche Schritte angekündigt. Der Eigentümer aber erklärt nun gegenüber dem rbb, er habe den Senat nicht erst vor drei Wochen, sondern schon vor einem Dreivierteljahr über seine Position informiert. Der Berliner Senat war schon im vergangenen Herbst darüber informiert, dass die versprochenen Sozialwohnungen in der Europacity nicht kommen. Das bestätigte ein Sprecher dem rbb.

Archivbild:Kräne und Rohbauten sind am Abend des 21.06.2021 bei Sonnenuntergang auf der Baustelle des Quartier Heidestraße in Berlin zu sehen.(Quelle:picture alliance/dpa/L.Ferstl)
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Information an den Senat schon im Oktober

Nach mehreren Rechtsgutachten sei man zu dem Schluss gekommen, "dass nach aktueller Lage kein bindender Vertrag mit der Stadt Berlin mit der heutigen Eigentümerin existiert und - aufgrund nicht geleisteter öffentlicher Förderung - keine Verpflichtung zur Vermietung mietpreisgebundener Sozialwohnungen besteht", schreibt der Vertreter des Eigentümers QH Development 2 GmbH &Co KG, Olaf Claessen. Darüber habe er die Leiterin der Wohnungsbauleitstelle in der Stadtentwicklungsverwaltung bereits am 11. Oktober letzten Jahres informiert. "Wir haben Gespräche dazu angeboten. Davon wurde kein Gebrauch gemacht, was wir mit Blick auf die aktuelle öffentliche Diskussion und auch die Lage am Wohnungsmarkt bedauern", so Claessen gegenüber dem rbb.
 
Ein Sprecher der Senatsverwaltung erklärte, die E-Mail des Eigentümers sei im Oktober zwar angekommen, aber nicht an die zuständige Abteilung weitergeleitet worden.

Kritik von Opposition und Anwohnenden

Die Opposition hält es für unglaubwürdig, dass die E-Mail in der Senatsverwaltung "untergangen" sein könnte. Die Leiterin der Wohnungsbauleitstelle sei doch unter anderem auch für Sozialwohnungen zuständig, sagt Julian Schwarze, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen. Es lasse sich kaum erklären, dass der Senat seit einem Dreivierteljahr informiert sei, aber nicht das Gespräch gesucht habe. "Selbst wenn der städtebauliche Vertrag fehlerhaft war, muss es doch das Ziel sein, in Verhandlungen noch etwas für bezahlbaren sozialen Wohnungsbau rauszuholen," so Schwarze. Auch Tobias Schulze, Fraktionschef der Linken, will vom Senat wissen, warum er nicht schon im vergangenen Herbst reagiert habe. "Der Senat muss jetzt sofort rechtliche Schritte einleiten und Sanktionen gegen den aktuellen Eigentümer prüfen."
 
Susanne Torka vom Betroffenenrat Lehrter Straße hatte bei einem Nachbarschaftsfest in der Heidestraße Ende Mai erstmals davon erfahren, dass der aktuelle Eigentümer die vereinbarten Sozialwohnungen nicht anbieten will – und daraufhin die Politik alarmiert. Dass die Stadtentwicklungsverwaltung schon sieben Monate früher darüber informiert war und nichts unternommen habe, findet sie "absolut unglaublich". Jetzt seien die Wohnungen als teure möblierte Apartments schon in der Vermarktung.

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Viele Eigentümerwechsel

Bemerkenswert sind die vielen Eigentümerwechsel des Quartiers mit dem Namen "Heidestraße Spring". Wer beim städtebaulichen Vertrag 2016 eigentlicher Geldgeber war, ist bis heute rätselhaft. Nach rbb-Informationen galt das selbst in Senatskreisen beim Abschluss des städtebaulichen Vertrags als großes Geheimnis. 2020/21 übernahm dann der Aggregate-Konzern des österreichischen Investors Cevdet Caner das Grundstück.
 
Im Herbst 2022 wollte er es im Paket mit dem benachbarten Baufeld "Heidestraße Core" für 456 Millionen Euro an die Vivion-Gruppe des israelischen Investors Amir Dayan verkaufen. Nach eingehender Prüfung übernahm Vivion nur das Quartier "Core", trat aber vom Kauf der "Heidestraße Spring" zurück. Ob das mit der Verpflichtung zum Bau der Sozialwohnungen zu tun hatte, ist unklar. Fragen des rbb dazu ließ der Vivion-Konzern bislang unbeantwortet. Inzwischen steht ein Joint Venture unter Leitung des tschechischen Finanzinvestors J and T Finance Group hinter den Eigentümern.

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Senat will dennoch klagen

Genau bei diesen Weiterverkäufen sieht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung jetzt eine Chance, rechtliche Schritte gegen den aktuellen Eigentümer einzuleiten. "Von zentraler Bedeutung ist, dass im Jahr 2021 das Eigentum an dem Grundstück entgegen den vertraglichen Vereinbarungen ohne Zustimmung des Landes Berlin übertragen wurde," so ein Sprecher der Senatsverwaltung. Derzeit werde eine Klage gegen die aktuelle Grundstückseigentümerin sowie gegen die Vertragspartnerin von 2016 vorbereitet.
 
Die Erfolgsaussichten einer solchen Klage hängen von den genauen Festlegungen im städtebaulichen Vertrag ab. Den aber hält der Senat bislang unter Verschluss. Bekannt ist nur, dass es der erste Vertrag im Rahmen der sogenannten kooperativen Baulandentwicklung war, den der damals rot-schwarze Senat überhaupt abgeschlossen hatte. Stadtentwicklungssenator Gaebler hatte im Parlament bereits angedeutet, dass dieser erste Vertrag noch nicht die juristischen Sicherheiten besaß, die mit einem neuen Regelungsstandard erst 2018 für solche Verträge eingeführt wurden.
 
Entscheidend dürfte unter anderem die Frage sein, ob die Verpflichtung zum Bau der Sozialwohnungen im Grundbuch abgesichert wurde. Grüne und Linke fordern inzwischen die Offenlegung des städtebaulichen Vertrags von 2016. Darüberhinaus müssten alle anderen städtebaulichen Verträge darauf überprüft werden, ob die Verpflichtung zum Bau von Sozialwohnungen juristisch wasserdicht sei.

Sendung: rbb24 Abendschau, 18.07.2024, 19:30 Uhr