Symbolbild: Kühe und Ziegen auf einem Bauernhof. (Quelle: dpa/Blume)

Berlin Brandenburg Klimakiller Kuhmilch? Foodwatch-Studie prangert "Milchmärchen"-Marketing der Industrie an

Stand: 23.10.2024 06:16 Uhr

Die Milchindustrie täusche Verbraucherinnen und Verbraucher mit Werbekampagnen zu umweltfreundlicher Milch - das prangert eine von Foodwatch und dem Thinktank Faba Konzepte veröffentlichte Studie an. Von Simon Wenzel

Den Anstoß zum über 50-seitigen Report mit dem Titel "Milchmärchen: Wie die Milchlobby die Klimakrise befeuert, Kühe leiden lässt und Verbraucher:innen täuscht" gab eine Social-Media-Offensive der deutschen Milchindustrie: Auf Instagram, Tiktok und Youtube erscheinen Videos, die Milch als grünes Produkt und Nährstoff-Bombe inszenieren.

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"Hallemujah" auf Dr. Alban-Beat

Einige Clips sind wie Videos von Influencern produziert, andere wie journalistische Erklärvideos - oder ganz offensichtlich als Werbung, wie bei einem Musikvideo mit dem Titel "Hallemujah" [youtube.com] (eine Umdichtung von Dr. Albans "Sing Hallelujah"). Die Botschaft: Milch ist viel klimafreundlicher als ihr Ruf, den Kühen geht es gut und der weiße Drink gibt richtig Protein-Power.
 
Hinter dem Clip und einem Tiktok- und Instagram-Kanal mit ähnlichen Inhalten steht die eigens zu diesem Zweck gegründete Marketing und PR-Firma "Initiative Milch GmbH", die laut Handelsregister zu je einem Drittel dem Deutschen Bauernverband, dem Milchindustrie-Verband und dem Deutschen Raiffeisenverband gehört.
 
Die Werbung machen aber nicht nur solche Marketingfirmen. Ganz vorne dabei ist auch der Lebensmittel-Riese Nestle. In einem Werbevideo der Marke wird die "Mission Klimamilch" ausgerufen. Zu sehen: glückliche Kühe auf der Wiese und im Stall beim Futtern von "Spezialfutter". Aus was das genau besteht ist nicht ganz klar, denn Nestle stellt vor allem vage Zukunftsideen vor. Mögliche Lösungen könnten Futtermittel auf Basis von Algen sein oder ein hoher Anteil von sogenanntem "Kraftfutter", mit dem eine höhere Milchleistung produziert werden könne.

Milchkühe ruhen am 16.03.2016 im Stall in Berge (Brandenburg). (Quelle: dpa/Bernd Settnik)

Stall statt Wiese: Für viele Kühe in Deutschland der Alltag.

"Da ist nicht viel dran, was dem Klima helfen kann"

Diese und andere Methoden der Futteroptimierung stünden allerdings selten im Einklang mit einem höheren Tierwohl, schreiben die Autoren der Foodwatch-Studie [foodwatch.org]. "Der Titel "Milchmärchen" ist genau unser Vorwurf: Die Branche erklärt Märchen, sie rechnet sich Zahlen schön", sagt Annemarie Botzki von Foodwatch. Es werde viel Geld in Werbung investiert, bei der dann "Greenwashing" betrieben würde.
 
Die Milchindustrie rechne beispielsweise mit 35,5 Millionen Tonnen Emissionen, die durch die Tierhaltung jährlich verursacht würden. Diese Zahl lasse allerdings wichtige Faktoren außen vor, sagt Botzki. Rechne man die "indirekten Emissionen" hinzu, die beispielsweise durch den Futteranbau entstehen, liege alleine die Emission der Milchproduktion (nicht der Tierhaltung) bei 45,6 Millionen Tonnen - die Vergleichsgröße Tierhaltung wäre hier schon bei über 100 Millionen Tonnen. Wer noch einen Schritt weiter gehen möchte, kann die Opportunitätskosten einberechnen - dabei geht man davon aus, dass ohne die Milchwirtschaft anstelle der Weideflächen Wälder und Moore lägen. Damit kommt Foodwatch auf bis zu 103,3 Millionen Tonnen Emissionen alleine durch die Milchproduktion in Deutschland. Ein vielfaches der Zahlen, die die Milchindustrie kommuniziert.
 
Auch die schönen Bilder von den Weiden entsprechen laut Foodwatch nicht der Realität. Nur knapp 31 Prozent der Kühe in der Milchwirtschaft würden überhaupt in den Sommermonaten auf die Weide kommen, Tendenz sinkend. Dabei bezieht sich die Studie auf Zahlen des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft. "Dass Kühe auf Weiden stehen und ein glückliches Leben führen oder Spezialfutter wie Algen helfen, den Klimafußabdruck zu reduzieren. All diese Märchen haben wir uns angeguckt und festgestellt, da ist nicht viel dran, was dem Klima helfen kann", sagt Annemarie Botzki.

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Landwirte wären die Leidtragenden - "versuchen, alles zu tun"

Die Leidtragenden könnten am Ende auch die regionalen Landwirte sein. Leute wie Timo Wessels, der einen großen landwirtschaftlichen Betrieb in Damsdorf, Trechwitz und Götz - südwestlich von Potsdam führt. Auf die Vorwürfe von Foodwatch reagiert er gelassen. "Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was wir jetzt haben und brauchen: Wir haben eine Nachfrage nach Milch in Deutschland, wir produzieren Milch und wir Landwirte versuchen das so klimafreundlich wie irgend möglich zu machen", sagt Wessels. Er findet: Die Landwirte seien bei weitem nicht die einzigen Verursacher von Emissionen.
 
Er selbst unternimmt allerdings auch schon viel, was in die richtige Richtung geht. Wessels hat eine Biogasanlage. Die Gülle und Mist aus Tierhaltung würden dort verwertet, um Strom zu erzeugen, die Abwärme werde außerdem im Ort zum Heizen genutzt, so Wessels. Außerdem bringe er seine Milch zu regionalen Molkereien, um die Transportwege kurz zu halten. "Wenn man unterstellt, es ist klimaschädlich, versuchen wir auf diese Art alles zu tun, dass es so minimal klimaschädlich ist, wie es geht", sagt er.
 
Foodwatch allerdings fordert in seiner Studie radikaleres: Die Kühe und mit ihnen die Milch(produkte) sollen weniger werden. Wie viel, das hängt vom Rechenmodell ab, mindestens allerdings sollte der Milchkonsum um 55 Prozent verringert werden. Das orientiert sich an einer Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Bei der sogenannten "Planetary Health Diet" von der internationalen "EAT Lancet Kommission" wird sogar eine Reduktion um 70 Prozent empfohlen. Im Papier von Foodwatch heißt es: Es könnte auch noch mehr sein, mindestens aber diese 55 bis 70 Prozent.

Der Milchkonsum ist auf einem historischen Tief. Verbraucherinnen entscheiden sich jeden Tag weniger für Milchprodukte und wählen pflanzliche Alternativen.

Politik ist gefordert

Timo Wessels sagt erstmal, dass er als "Milchbauer natürlich davon nicht viel halten" könne. Aber auch pragmatisch: "Wir als Landwirte sind anpassungsfähig. Wenn das der Wunsch der Gesellschaft ist, kann ich auch Hafer und Soja anbauen, dann kann daraus Milch gemacht werden und wenn die Leute das dann kaufen und trinken, warum nicht?"
 
Die Verbraucherinnen und Verbraucher senden bereits Signale. "Der Milchkonsum ist auf einem historischen Tief. Verbraucherinnen entscheiden sich jeden Tag weniger für Milchprodukte und wählen pflanzliche Alternativen", sagt Botzki. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Milch in Deutschland ist in der Tat in den letzten Jahren deutlich gesunken. Er liegt aber immer noch um ein Vielfaches über dem von pflanzlichen Ersatzprodukten - obwohl hier die Nachfrage stetig steigt.
 
Timo Wessels kann sich deshalb "nicht vorstellen", dass ein kompletter Milchverzicht innerhalb der nächsten zehn oder fünfzehn Jahre geschehen wird. Solange das so bleibt, hält er wenig davon, komplett auf Milch aus deutscher Landwirtschaft zu verzichten. Denn wenn am Ende Milchprodukte aus anderen Ländern importiert würden, sei fürs Klima nun auch nicht die Lösung, findet er. Die Forderungen von Foodwatch richten sich ohnehin nicht direkt an Landwirte wie ihn, sondern an die Politik. Die sollte einen Plan entwickeln und Landwirten Möglichkeiten aufzeigen, ihre Betriebe umzustrukturieren. Auch eine gesellschaftliche Debatte sei notwendig, sagt Annemarie Botzki. Auch dafür war die Studie sicherlich gedacht.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.10.2024, 06:00 Uhr