Symbolbild: Zwei Frauen sitzen am 17.05.2018 eng zusammen im Berliner Tiergarten. (Quelle: Picture Alliance/Paul Zinken)

Berlin Literaturfestival "Coming Out, Inviting In": "Man muss nicht queer sein, um von Geschichten queerer Figuren berührt zu werden"

Stand: 08.08.2024 07:01 Uhr

Für queere Menschen kann ein Coming-out ein Befreiungsschlag sein. Oft ist es aber auch mit Angst besetzt. Wegen dieser Ambivalenz ist es immer wieder Stoff in der Literatur. Das Literarische Colloquium Berlin widmet dem Coming-out ein dreitägiges Festival.

Als Coming-out bezeichnet man den Prozess, in dem eine Person ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität offenbart. Dieser Prozess kann befreiend und aufregend sein. Er kann aber auch beängstigend, schmerzhaft und manchmal sogar gefährlich sein. Auch weil es so viele Gefühle auslösen kann, ist das Coming-out oftmals Gegenstand queerer Kunst.
 
Das Festival "Coming Out, Inviting In" des Literarischen Colloquium Berlin (LCB), das vom 8. bis zum 10. August stattfindet, will herausfinden, wie sich die Literatur dem Thema nähert. Dabei sollen unterschiedlichste Fragen rund um das Coming-out behandelt werden. Zum Beispiel, ob es eine Zukunft geben kann, in der es gar kein Coming-out mehr geben muss.
 
Thorsten Dönges ist Teil des Kurator:innen-Teams des Festivals. Im Interview spricht er über die Highlights der Veranstaltung, Gegenkonzepte zum Coming-out sowie die Rolle der Literatur im Verständnis queerer Lebenswirklichkeiten.

Die Kamera ist unter Wasser und man sieht eine Hand, die sich in Richtung der Kamera streckt. Dahinter ist ein Körper, doch man sieht den Kopf nicht, da er aus dem Wasser ragt.(Quelle:rbb)
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rbb|24: Herr Dönges, was erwartet die Besucher:innen auf dem Festival "Coming Out, Inviting In" des Literarischen Colloquium Berlin?
 
Thorsten Dönges: Im Zentrum des Festivals stehen die Panels, also Diskussionsrunden, die auf der Bühne stattfinden. Dort wird sich dem Konzept des Coming-outs aus verschiedenen Perspektiven angenähert. Wie wird das Thema literarisch verhandelt? Wie im Film? Hat sich historisch etwas gewandelt? Wie sieht es außerhalb des deutschsprachigen Raums aus? Diese und weitere Fragen werden von unterschiedlichen Autor:innen besprochen. Und weil wir ein Festival und keine Tagung sind, wird das Ganze von Performances, Lesungen und Partys flankiert.

Und von einem Picknick. Was hat es damit auf sich?
 
Das Picknick soll die Möglichkeit bieten, sich im Freien auf der Wiese des LCB zu entspannen, etwas zu essen und sich zu unterhalten. Es soll eine Gelegenheit sein, sich zwischen den Veranstaltungen zu erholen und auszutauschen.

Thorsten Dönges (Quelle: Tobias Bohm)

Thorsten Dönges ist Teil des Kurator:innen-Teams des Festivals

Vom Coming-out haben die meisten wahrscheinlich schon mal gehört. Was hat es mit dem Inviting-In auf sich?
 
Das erste Panel der Veranstaltung beschäftigt sich mit den Begrifflichkeiten und der Geschichte des Coming-outs. Dabei geht es vor allem darum, woher dieses Konzept stammt, wie die Benennung entstanden ist und wann es das erste Mal aufgetaucht ist. In den letzten Jahren hat sich zudem das Konzept des 'Inviting In' aus der postkolonialen Theorie heraus entwickelt.
 
Im Gegensatz zum öffentlichen Bekenntnis steht dabei im Vordergrund, dass eine Person selbst entscheidet, wem sie intime Details über ihr Leben anvertraut. Das Festival untersucht, wie diese Konzepte die Schreibpraxis oder den Umgang mit queeren Themen in der Literatur beeinflussen.

Muss man selbst queer sein, um etwas aus dem Festival mitzunehmen?
 
Man muss nicht selbst queer sein, um sich in queere Figuren hineinzuversetzen oder von ihren Geschichten berührt zu werden. Ich bin schwul und ich kann mich noch sehr genau erinnern, dass ich aus "Romeo und Julia" sehr viel mitgenommen habe, als ich dieses Drama gelesen habe. Das ist das Wunder der Literatur: dass mir plötzlich Dinge einleuchten, mit denen ich im eigenen Leben gar nichts zu tun habe. Dass ich überhaupt erstmal begreife, wie es anderen Menschen geht und wie sie fühlen. Dadurch kann man viel über das eigene Verhalten innerhalb der Gesellschaft lernen.

Inwiefern?
 
Bezogen auf queere Lebenswirklichkeiten versuche ich das immer ganz simpel zu erklären: Ist es für dich selbstverständlich, mit der Person, die du liebst, Hand in Hand eine Straße entlangzugehen? Oder denkst du in diesem Moment darüber nach, wer dir entgegenkommt und in welcher Gegend du dich gerade befindest? Solche Alltagsmomente sind oftmals Bestandteil queerer Literatur. Sich mit ihr auseinanderzusetzen, bietet die Chance, die Lebensrealität von queeren Menschen besser zu verstehen.

Wie stellen Sie sicher, dass verschiedene Perspektiven und Sichtweisen beim Festival vertreten sind?
 
Wir haben bewusst darauf geachtet, eine diverse Gruppe von Menschen einzuladen. Es gibt Beiträge von verschiedenen Generationen, Hautfarben und Weltregionen. Wir hoffen, dass diese Vielfalt zu anregenden Diskussionen führt.

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Innerqueere Debatten werden gerne mal kontrovers geführt. Auch auf Ihren Bühnen?
 
Das ist gut möglich, da es um persönliche Geschichten und gesellschaftliche Themen geht. Wir legen aber Wert darauf, dass respektvoll miteinander umgegangen wird und dass unterschiedliche Positionen Gehör finden. Es geht nicht darum, eine Sichtweise als die einzig richtige darzustellen, sondern um den Austausch von Ideen und Erfahrungen.

Gibt es ein persönliches Highlight, auf das Sie sich besonders freuen?
 
Der Samstag ist besonders reich an Programmpunkten, darunter Panels, Lesungen und Performances. Auch die Videoinstallationen von lynn t musiol und Raphael Koranda sind hervorzuheben.

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview mit Thorsten Dönges führte Christopher Ferner, rbb|24.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.08.2024, 16:55 Uhr