Berlin Mutter mit an Diabetes Typ 1-Schulkind: "Stimmen die Werte nicht, kann mein Kind ins diabetische Koma fallen"
Während der Corona-Pandemie wurde bei Sandras kleinem Sohn Diabetes Typ 1 diagnostiziert. Seither müssen die Werte des Kindes 24/7 überwacht werden. Ist er über- oder unterzuckert, droht Lebensgefahr. Nun ist der Junge eingeschult worden.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Sandra Wiesthal (39) lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Nord-Neukölln. Ihr ältestes Kind lebt seit viereinhalb Jahren mit der Diagnose Diabetes Typ 1 und muss rund um die Uhr überwacht werden. Der Junge ist gerade eingeschult worden und in der Schule muss jetzt auch jederzeit auf seine Zuckerwerte geachtet werden. Unter- oder Überzuckerungen können lebensgefährlich sein.
Lärm, Menschenmengen und Barrieren: Für blinde Menschen kann der Alltag in einer Großstadt zum Hürdenlauf werden. Marie Lampe war daher lange auf die Unterstützung anderer angewiesen. Inzwischen helfen ihr ein Smartphone und die richtigen Apps.mehr
Fünf Tage nach der Geburt meines zweiten Kindes hat mein großer Sohn mit zweieinhalb Jahren – mitten im Corona Lockdown - die Diagnose Diabetes Typ 1 erhalten. Das war eine schwierige Zeit. Ein Baby, eine Krankheit wie Diabetes und das während der Pandemie. Inzwischen haben wir uns eingegroovt. Ich witzele allerdings manchmal, dass man mit einer solchen Diagnose ein halbes Medizinstudium inklusive Ernährungswissenschaften absolviert. Und dennoch überrascht uns die Krankheit immer wieder. Der Diabetes hält uns 24 Stunden täglich auf Trab – und muss immer die oberste Priorität haben.
Kleine Kinder mit Diabetes tragen meist eine Pumpe, die rund um die Uhr Insulin abgibt. Gleichzeitig tragen sie einen Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung. Man kann und muss den Blutzucker-Wert des Kindes die ganze Zeit darauf überprüfen, ob er zu hoch oder zu niedrig ist. Der Wert muss im sogenannten Zielbereich sein. Zu jeder Mahlzeit, Zwischenmahlzeit und jederzeit – auch nachts, wenn die Wachstumshormone wirken – muss man das Kind mit einer Pumpe oder einem Pen dann dementsprechend mit Insulin versorgen. Der Blutzucker wird gerade bei kleinen Kindern von sehr vielen Dingen beeinflusst, die einem gar nicht bewusst sind. Das kann auch einfach nur eine Emotion sein.
Mein Sohn hat eine Pumpe, die er 24 Stunden am Tag an einem Gürtel bei sich trägt. Sie hat ein Sichtfenster, über die man sie bedienen kann. Um Insulin abzugeben, muss man immer an das Kind ran und es in seiner körperlichen Freiheit einschränken. Mein Sohn trägt also konstant einen Katheter mit einer Nadel in seinem Körper, die den Schlauch mit der Pumpe verbindet. Zusätzlich trägt er den Glukose-Sensor am Arm, der die ganze Zeit den Gewebezucker misst. Es gibt ein kleines Empfängergerät, worüber zu jedem Zeitpunkt seine Daten zu Blut- und Gewebezucker zu sehen sind. Und darauf reagiert man – aber die Werte sind nicht immer genau. Deshalb muss man immer wieder blutig nachmessen und kontrollieren, wie die Werte wirklich sind, bevor man Entscheidungen trifft bezüglich des Blutzuckers.
Mein Kind ist sehr schmerzsensibel und hat sich von Anfang an sehr stark gewehrt gegen das ganze Prozedere, die Nadeln und die Spritzen. Ich war und bin also neben seiner Krankenschwester auch die, die ihm Schmerzen zufügt. Das spürt man in unserer Beziehung zueinander. Es gibt eine gewisse Abhängigkeit und auch eine gewisse Frustration.
Jetzt ist mein Sohn eingeschult worden und alles klappt zu meiner großen Erleichterung sehr gut. Wir haben eine Schule in der unmittelbaren Nähe ausgesucht, die schon Erfahrung mit der Betreuung von Diabetes-Kindern hat. Außerdem ist, auf unser Engagement hin, ein weiteres Diabetes-Kind mit unserem Sohn in der gleichen Klasse. Weil eine der Lehrerinnen auch Diabetes Typ 1 hat, ist man dort sensibilisiert. Und die Klassenlehrerin meines Sohnes hatte vor einigen Jahren auch schon einmal ein Diabetes-Kind in ihrer Klasse.
Das Empfängergerät, über das man die Werte meines Kindes sieht, hat jetzt also die Schulhelferin, auf die man in Berlin mit Diabetes Typ 1 einen Anspruch hat. Mein Kind hat Anspruch auf fünf Stunden Betreuung in der Woche. Die Schulzeit geht allerdings deutlich länger. Üblicherweise legt man da die Zeiten aller Kinder, auch die der Integrationskinder, die Schulhelfer haben, zusammen. Der Schulhelfer betreut da, wo er oder sie am meisten gebraucht wird. Die Schulhelferin an der Schule meines Sohnes kann sich derzeit gut um die drei Diabetes-Kinder an dieser Grundschule kümmern.
Der Diabetes hält uns 24 Stunden täglich auf Trab – und muss immer die oberste Priorität haben
Das ist ja auch lebenswichtig. Stimmen die Werte nicht, kann mein Kind ohnmächtig werden und eine Art Anfall - ein diabetisches Koma oder einen hypoglykämischen Schock - bekommen. Unterzuckert es zu stark, bekommt das Gehirn keinen Zucker mehr und schaltet ab. Das kann bis hin zum Tod führen. Eine Überzuckerung kann ebenfalls zu diabetischem Koma führen, das ist eine lebensgefährliche Stoffwechselentgleisung. Da müsste das Kind aber über einen längeren Zeitraum stark überzuckert sein. Doch bei einer Unterzuckerung kann das wirklich schnell gehen.
Laura Schreiner hilft ihren Eltern bei der Pflege ihrer Schwester. Diese ist drei Jahre jünger als sie, kann aber nichts alleine machen. Laura half schon als Kind. Manchmal sei das schwer gewesen, sagt sie. Geholfen habe oft: "Augen zu und durch."mehr
Die Schulhelfer sind allerdings in der Hort-Zeit nicht vorgesehen. Wir haben jetzt das Glück, dass der Horterzieher über eine medizinische Grundausbildung verfügt und sich bereit erklärt hat, auch im Hort Sorge zu tragen für die Diabetes-Kinder. Es hat sich für den Ferien-Hort sogar noch jemand gemeldet, der mit in die Verantwortung geht.
Obwohl ich das für mein Kind alles organisieren konnte, fühle ich mich nicht sehr privilegiert. Denn bei uns bewältige vor allem ich diese Rund-um-die-Uhr-Betreuung ja neben dem Rest, der noch anfällt und meiner Arbeit. Ich bin selbstständig und wenn ich nicht arbeite, fehlt uns das Geld. Das ist keine einfache Situation. Aber in der Kita gab es eine Familie mit einem Diabetes-Kind, deren Eltern noch kaum Deutsch sprachen – für diese Familie war alles noch viel schwerer.
Außerdem haben wir, mein Mann und ich, natürlich immer die Sorge, auch unsere anderen Kinder könnten Diabetes bekommen. Geschwisterkinder haben ein erhöhtes Risiko, auch zu erkranken. Obwohl wir keine genetische Disposition in der Familie dafür haben. Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung und entsteht meist im Rahmen eines Infekts – so war das auch bei meinem Sohn.
Was für mich ein Lichtblick ist, ist dass wir eine neue Pumpe für meinen Sohn bekommen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeitet. So sind wir nicht mehr auf das eine mobile Empfängergerät angewiesen, sondern ich kann von überall über mein Handy kontrollieren, welche Blutzuckerwerte mein Sohn hat. Wenn ich nicht bei ihm bin, kann ich zwar auch nichts unternehmen, aber ich kann es im Zweifelsfall in die Wege leiten.
Gesprächsprotokoll: Sabine Priess, rbb|24