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Bilderstrecke Vor 40 Jahren: Als die BVG das West-Berliner S-Bahnnetz übernahm

Stand: 09.01.2024 06:10 Uhr
Fahrgäste aus Westberlin sitzen am 09.01.1984 im Bahnhof Wannsee in einer S-Bahn. (Quelle: dpa)

Bis Mitte der 1940er Jahre nutzten jährlich mehrere hundert Millionen Berliner die S-Bahn. Das einst beliebte Nahverkehrsmittel erlebte nach Kriegsende im Westteil Berlins jedoch einen massiven Einbruch. Kontiniuerlich sanken die Fahrgastzahlen und die Strecken verkamen bis viele Strecken Anfang der 80er Jahre stillgelegt werden. Erst als die BVG am 9. Januar 1984 die Strecken in West-Berlin von der Reichsbahn der DDR übernimmt, geht es wieder bergauf. Doch zunächst ein Rückblick, wie es zu dieser Situation kommen konnte.

Original-Bildunterschrift: Völlig verwahrloste Rolltreppe auf dem S-Bahnhof Westkreuz der östlich verwalteten Stadtbahn. Berlin, Deutschland um 1955. (Quelle: dpa/United Archives/Kindermann)

Knapp 40 Jahre vorher: Nach Kriegsende 1945 überträgt die sowjetische Militäradministration der Deutschen Reichsbahn (DR) den Eisenbahnverkehr in der Sowjetischen Besatzungszone und Berlin. Dass die Reichsbahn der DDR auch in West-Berlin zuständig ist, wird von den Alliierten gebilligt. Im Bild müssen Fahrgäste die Treppe nehmen, da die Rolltreppe am Bahnhof Westkreuz völlig verwahrlost ist.

26. Juni 1953: Fahrgäste der S-Bahn werden in Spandau an der Grenze zur DDR mit Schildern informiert. (Quelle: dpa/Keystone Pictures USA)

Nach 1948 fahren trotz der Teilung in Ost- und West-Berlin die Züge weiterhin über die Sektorengrenzen. Fahrgäste sollten aber besser nicht einschlafen, wie dieses Schild im Jahr 1953 informiert.

Französische und ostzonale Polizisten am 25. Mai 1949 auf dem Bahnhof Gesundbrunnen, dessen Räumung von den drei westlichen Militärgouverneuren gefordert wurde. Am 21. Mai 1949 traten die unter der Verwaltung der sowjetzonalen Reichsbahn stehenden westberliner Eisenbahner in den Streik, um die Auszahlung der Löhne und Gehälter in Westmark zu erreichen. (Quelle: dpa)

1949 gibt es Ärger mit den 13.000 West-Berliner Reichsbahnern. Nach Entlassungen streiken sie, wie hier am Bahnhof Gesundbrunnen, vom 21. Mai bis zum 28. Juni 1949. Da Ost-Berliner Reichsbahner die Dienste übernehmen wollen, kippt die Stimmung. Französische und sowjetische Militärpolizei steht am Bahnhof Gesundbrunnen bereit. Die Streikenden fordern unter anderem die Auszahlung ihres Lohns in West-Mark. Mit ihren in Ost-Mark ausgezahlten Gehältern können sie die West-Mieten nicht bezahlen.

Volkspolizisten der DDR errichten am 09.11.1961 am Bahndamm am Bahnhof Gesundbrunnen in Berlin Befestigungen aus Stacheldraht. (Quelle: dpa)

Der Mauerbau am 13. August 1961 ist ein Schock und reisst auch schlagartig den ÖPNV der beiden Stadtteile entzwei. Im Bild errichten Volkspolizisten im November 1961 Stacheldraht am Bahndamm am Bahnhof Gesundbrunnen. Die S-Bahn wird weiterhin in beiden Teilen Berlins von der Deutschen Reichsbahn betrieben.

Ein Stellwerk der von den Ostberliner Behörden verwalteten S-Bahn im Norden Berlins an der Grenze zum französischen Sektor wurde zum Bunker für die Vopo umgebaut. Die Grenze nach Westberlin bildet hier der Bahndamm. Aufnahme vom 22.03.1963. (Quelle: dpa/Günter Bratke)

Zahlreiche Verbindungen werden gekappt, Bahnhöfe zugemauert. Im Bild ist ein Nord-Berliner Stellwerk zu sehen, das in einen Bunker mit Schießscharten umgebaut worden ist. Der Blick geht von West nach Ost. Während die Berliner Mauer im Osten als "antifaschistischer Schutzwall" bezeichnet wird, spricht der West-Berliner Senat von "Schandmauer".
Die Ringbahn wird an zwei Stellen unterbrochen: Die Bahnhöfe Gesundbrunnen - Schönhauser Allee und Sonnenallee - Treptower Park sind nun nicht mehr verbunden. Auch die Friedhofsbahn (Berlin-Wannsee – Stahnsdorf Friedhof) wird eingestellt.

Blick in die Anlagen des U-Bahnhofs am Potsdamer Platz in Berlin, aufgenommen am 09.03.1990. (Quelle: dpa/Peter Kneffel)

Nur der Nord-Süd-Tunnel wird weiterbetrieben, mit ausschließlichem Halt Friedrichstraße. Der Begriff "Geisterbahnhöfe" macht die Runde. Im Bild der Bahnhof Potsdamer Platz im Jahr 1990, der 30 Jahre geschlossen bleiben wird.

Willy Brandt und der DGB rufen am 17. August 1961 zum S-Bahn-Boykott auf.  (Quelle: AP)

Vier Tage nach Mauerbau rufen Willy Brandt und der DGB am 17. August 1961 zum S-Bahn-Boykott auf. Die Nutzung der S-Bahn wird ab nun politisch. Man will der DDR durch den Kauf von Fahrscheinen keine Devisen mehr zukommen lassen.

Foto der Philharmonie in West-Berlin im Jahr 1965. (Quelle: akg-images / Gert Schütz)

Die BVG bricht aufgrund zehntausender zusätzlicher Fahrgäste im U- und Bus-Verkehr fast zusammen. Buslinien werden parallel zu den S-Bahn-Strecken eingesetzt. Die S-Bahn Fahrgastzahlen sinken dramatisch. Leere Züge, heruntergekommene Bahnsteige und ein maroder Fuhrpark sind die Folge.

Blick auf die Bahnstation Eichkamp im Westteil Berlins am 18.12.1980. Die Station in Berlin-Charlottenburg wird von der DDR-Reichsbahn betrieben, die aber das Streckennetz in Westberlin immer mehr verkommen lässt. (Quelle: dpa/Chris Hoffmann)

Die West-Berliner S-Bahn wird für die Deutsche Reichsbahn zum millionenschweren Verlustgeschäft. 1980 liegt das jährliche Defizit bei 120-140 Millionen Mark. Im Januar kündigt die Deutsche Reichsbahn knapp 80 West-Mitarbeitern. Die Reichsbahn hat über die Jahre das Streckennetz im Westen verkommen lassen und stellt 1980 einen Fahrplan vor, der zum folgenreichen zweiten Streik der Reichsbahner führt.

Archivbild: Die Strecke der stillgelegten Berliner Friedhofsbahn im Jahr 1990. (Quelle

Sie besetzen am 17. September 1980 Stellwerke unter anderem am Bahnhof Zoo und fordern eine Übernahme der West-Berliner S-Bahn in westliche Hände. Der gesamte S-Bahnverkehr und Transitverkehr stehen still. Folge ist, dass Hunderte Streikende gekündigt werden, wenn sie nicht schon selbst gekündigt hatten.

,Übersichtsplan der S-Bahn Berlin 1974, S-Bahn (Stadtbahn). (Quelle: akg-images)

Und etwa die Hälfte aller West-Berliner Strecken werden von der Reichsbahn im September 1980 stillgelegt. Davon ist beispielsweise die Strecke Wannsee – Schöneberg – Anhalter Bahnhof betroffen. Im Bild ein S-Bahnplan von 1974.

Der stillgelegte S-Bahnhof Berlin-Westend am 30.05.1984.

Drastisch ist auch die Beendigung des Betriebs auf der Ringbahn, die zu Dreiviertel ihrer Strecke in West-Berlin liegt. Im Bild ist der Bahnhof Westend zu sehen. Auch die S-Bahn von Westkreuz nach Spandau wird eingestellt, wie etwa auch die Stammbahn, (Zehlendorf – Düppel) und die Siemensbahn (Jungfernheide – Gartenfeld). Es bleiben rund 71 Kilometer Strecke.

Zu einem ausführlichen Gespräch empfing Berlins Regierender Bürgermeister Hans-Jochen Vogel (r) den CDU-Spitzenpolitiker Richard von Weizsäcker am 13. Februar 1981 in Berlin. (Quelle: dpa/Konrad Giehr)

1981 wird bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus die S-Bahn Wahlkampfthema. Unter Richard von Weizsäcker, CDU, wird die Übernahme der S-Bahn durch die BVG vereinbart. Die Besatzungsmächte haben zugestimmt.

Dietrich Hinkefuss (l), Senatsrat des Westberliner Senats, und der Hauptdirektor der Deutschen Reichsbahn, Herbert Meissner (r), bei der Unterzeichnung der Vereinbarung über die Übernahme des Westberliner S-Bahn-Netzes durch die Berliner Verkehrs Betriebe (BVG) am 30.12.1983 im Verkehrsministerium in Ostberlin.

Am 30. Dezember 1983 ist es amtlich: Die Deutsche Reichsbahn gibt die Betriebsrechte für die S-Bahn-Strecken in West-Berlin am 9. Januar 1984 an die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ab.

Eine Frau geht am 18.01.1984 am stillgelegten S-Bahnhof Witzleben in Berlin-Charlottenburg vorbei. (Quelle: dpa/Chris Hoffmann)

Am 9. Januar 1984 übernimmt die BVG das West-Berliner S-Bahnnetz in einem desolaten Zustand. Aufgrund von mangelndem Personal helfen Triebfahrzeugführer aus Hamburg aus. Die BVG muss zunächst weitere Strecken einstellen und Bahnhöfe nun endgültig schließen, hier der S-Bahnhof Witzleben (heute Messe Süd).

S-Bahnhof Lehrter Stadtbahnhof in Westberlin in den 1980er Jahren. (Quelle: dpa/Wolfgang Goll)

Es gehen zunächst nur zwei Linien auf 21 Kilometern in Betrieb: die Strecke Lichtenrade – Anhalter Bahnhof als Linie S2 und Charlottenburg - Friedrichstraße als Linie S3. Auf dieser Linie ist seit 1961 der Lehrter Stadtbahnhof (heute Berliner Hauptbahnhof) Endpunkt aus West-Berlin und Grenzbahnhof in Richtung Friedrichstraße.

Ein Zugführer der BVG, noch in der Uniform der Deutschen Reichsbahn, in einem BVG S-Bahn-Zug von Charlottenburg zum Bahnhof Friedrichstraße in Berlin am 09.01.1984. (Quelle: dpa)

Das Zugpersonal wechselt am Lehrter Stadtbahnhof und DDR Reichsbahner übernehmen die Fahrt durch den stark gesicherten Grenzbereich.
Im Bild trägt ein Zugführer der BVG am Tag der Übergabe am 9. Januar 1984 noch eine Reichsbahnuniform.

Ein S-Bahnzug der Baureihe 477 passiert am 03.12.1985 von Wannsee nach Friedrichstraße die verschneiten Ueberwerfungsbauwerke zwischen den Bahnhöfen Grunewald und Westkreuz. (Quelle: Imago Images/Jürgen Heinrich)

Dann aber geht es aufwärts: Schon im Mai 1984 kann die Strecke Wannsee – Charlottenburg (S3) wieder befahren werden, sowie die Strecke Anhalter Bahnhof – Gesundbrunnen (S2) durch den Nord-Süd-Tunnel mit Halt im streng gesicherten Bahnhof Friedrichstraße.

Blick von West-Berliner Gebiet, Gartenstraße, Stadtteil Wedding. Die Eisenbahnbrücke und das Hochhaus im Hintergrund befinden sich ebenfalls in West-Berlin. Die S-Bahn fährt an dieser Stelle von West-Berlin durch Ost-Berlin wieder nach West-Berlin. Aufgenommen 1985. (Quelle: Picture Alliance/Uwe Gerig)

Im Oktober 1984 wird die Strecke S2 durch Ost-Berlin bis Frohnau wieder bedient. Hier fährt eine S-Bahn im Stadtteil Wedding von West-Berlin entlang der Gartenstraße durch Ost-Berliner Gebiet und kurz darauf wieder nach West-Berlin.

Wiedereroeffnung der Wannseebahn am 01.01.1985

Und am 1. Februar 1985 wird die Wannseebahn feierlich wiedereröffnet. Im Bild fährt der Eröffnungszug mit einem Zug der Baureihe ET 165 in den Bahnhof Schöneberg ein. Die S-Bahn Linie S1 fährt nun wieder von Wannsee über Zehlendorf, Rathaus Steglitz, Schöneberg bis zum Anhalter Bahnhof. 71 Kilometer Strecke sind wieder in Betrieb.

Berlin war überfuellt, auch am zweiten Wochenende besuchten Millionen von DDR Bürgern den Westteil von Berlin und das Bundesgebiet. 18.11.1989

Die Maueröffnung vom 9. November 1989 und die Tage danach werden zum Fest. Der öffentliche Nahverkehr wird regelrecht überrannt. Lokführer melden sich freiwillig, um die Fahrgäste von Ost nach West und von West nach Ost fahren zu lassen.

Auf der S-Bahn-Strecke zwischen Gesundbrunnen und Humboldthain sind die letzten Arbeiten im Gange, damit auch hier ab August grünes Licht für den Fahrbetrieb gegeben werden kann. (Quelle: dpa-Zentralbild/Peer Grimm)

Gemäß Einigungsvertrag erfolgt nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 03. Oktober 1990 der Beschluss, das Schienennetz der Berliner S-Bahn wie es 1961 bestand, wieder herzustellen. Am 1. Januar 1994 wird die S-Bahn teil der neu gegründeten Deutschen Bahn AG.

Blick in die Anlagen des U-Bahnhofs am Potsdamer Platz in Berlin, aufgenommen am 09.03.1990. Die Station, die im Grenzbereich des geteilten Berlins steht, war nach Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 geschlossen worden und bliebt fast dreißig Jahre unberührt. (Quelle: dpa/Peter Kneffel)

Bereits ab 2. Juli 1990 fährt die Stadtbahn wieder durchgängig von Charlottenburg bis Ostbahnhof. Und ab dem 1. September halten die Züge auch auf den unterirdischen "Geisterbahnhöfen" der Nord-Süd-Bahn, mit Ausnahme Potsdamer Platz. Bei der Ringbahn wird es bis zum 15. Juni 2002 dauern, ehe der S-Bahn-Ring mit der Inbetriebnahme der Verbindung von Wedding nach Westhafen wieder geschlossen ist.

 Relikte der Friedhofsbahn (Stahnsdorfer Bahn) im Abschnitt zwischen Wannsee und Dreilinden, stillgelegt seit 1961 - Gleisreste im Düppeler Forst an der Steinbogenbrücke des Königswegs, aufgenommen am 07.02.2015.

Andere Strecken fallen in einen Dornröschenschlaf. Friedhofsbahn, Stammbahn und Siemensbahn warten bis heute darauf, wachgeküsst zu werden.

Text und Bildauswahl: Caroline Winkler
 
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