Gruppe Senioren sitzt auf Stühlen im Wartezimmer (Quelle: dpa/Robert Kneschke)

Berlin Weniger Ärzte, mehr Nachfrage: Auf der Suche nach dem Facharzttermin

Stand: 22.07.2024 07:31 Uhr

Ob Orthopädin, Augenarzt oder Gynäkologin: Facharzttermine sind für die Patientinnen und Patienten manchmal mit monatelangen Wartezeiten verbunden. Das liegt nicht nur am Fachkräftemangel. Von Anja Herr und Birgit Raddatz

Seit 13 Jahren lebt Jacqueline Klinger mittlerweile in Schöneiche bei Berlin. Trotzdem fährt die 51-Jährige immer noch nach Friedrichshain zu ihrem Hausarzt. Wenn es um dringende Facharzttermine geht, nehme sie ebenfalls weitere Strecken in Kauf, erzählt Klinger. "Ich musste für ein MRT nach Zehlendorf, dafür hatte ich am übernächsten Tag auch schon einen Termin."
 
Bei ihrem Vater ging es allerdings nicht so schnell. Für eine dringende Behandlung sollte er zunächst vier Monate auf einen Termin warten. Sie habe die Suche dann schließlich für ihn übernommen, erzählt Tochter Jacqueline Klinger.

Mehr Optionen, einen Termin auszumachen

Seit zehn Jahren verlange es Patientinnen und Patienten mehr ab, einen Facharzttermin zu bekommen, bestätigt Thomas Georgi. Er ist Allgemeinmediziner, hinter ihm stapelt sich ein Berg Akten. Es gebe zwar mittlerweile mehr Möglichkeiten, einen Termin zu buchen, sagt er. Etwa online auf Webseiten privater Anbieter oder über die Terminservicestellen der 116117.

Auch der Hausarzt kann einen Termin beim Facharzt für den Patienten ausmachen. Andere Kommunikationsmittel seien jedoch weggefallen. "Es ist zum Beispiel mittlerweile schwer, jemanden ans Telefon zu bekommen bei den Praxen."

Patienten im Wartezimmer einer Arztpraxis, Symbolbild (Quelle: DPA/Sina Schuldt)
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Besonders schwer sei es aber sowieso für Zugezogene ohne Hausarzt, weiß Georgi. Sie wüssten meist nicht, wo sie sich hinwenden sollen. Er schätzt, dass es in den kommenden Jahren zunächst noch herausfordernder werde, einen Facharzttermin zu finden - mehr Ärzte werden in Rente gehen, als zunächst neue dazukommen.
 
Laut Bundesärztekammer waren Ende 2022 fast 30 Prozent aller Fachärztinnen und Fachärzte 60 Jahre alt und älter. Die Zahl der neu erteilten Facharztanerkennungen sank hingegen sogar.

Versorgungslage in Berlin nach Bezirk unterschiedlich

Die Versorgungslage mit Fachärzten in Berlin ist laut Kassenärztlicher Vereinigung Berlin insgesamt gut. Doch die Menschen bekommen nicht immer schnell einen Termin. In Neukölln fehlen Hautärzte, in Treptow-Köpenick sind es HNO-Spezialisten. Und In Marzahn-Hellersdorf bräuchte es mehr Gynäkologinnen, Urologen und Augenärztinnen.
 
Fünf Stunden in der Woche müssen Fachärzte in sogenannten offenen Sprechstunden kurzfristige Termine anbieten. Die gute Nachricht: Sie sind manchmal schnell zu bekommen. Oft allerdings ohne eine entsprechende Langzeitbehandlung, denn der Patientenstamm des Arztes ist meist voll.
 
In manchen Fachrichtungen sehe es besonders düster aus, weil die Nachfrage das Angebot schon seit Jahren übersteige, etwa bei Psychologischen Psychotherapeuten, sagt die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, Christiane Wessel. "Wir haben Probleme bei spezialisierten Fachärzten wie Psychiatern, Gastroenterologen, Pneumologen, Rheumatologen…"

Symbolbild: Patienten stehen am 22.08.2023 vor der Öffnung der Sprechstunde einer HNO-Praxis auf dem Gang vor der Praxistür. (Quelle: dpa-Bildfunk/Sebastian Christoph Gollnow)
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Neupatientenregelung Anfang 2023 ersatzlos gestrichen

Für Wessel liegt das Problem auch am politischen Handeln. Anfang 2023 fiel die sogenannte Neupatientenregelung weg. Seitdem gilt für Fachärzte: Nehmen sie einen Neupatienten auf, bekommen sie nicht mehr alle Untersuchungen bezahlt. "Gerade in Berlin ist es so, dass bis zu 20 Prozent der Leistungen innerhalb des Budgets nicht bezahlt werden." Laut Wessel sei es deshalb unattraktiv für Fachärzte, neue Patientinnen und Patienten aufzunehmen.
 
Mit der Streichung der 2019 eingeführten Neupatientenregelung wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Finanzierungsloch bei den Gesetzlichen Krankenkassen stopfen. Ärzte und Kassenärztliche Vereinigungen wehrten sich damals heftig dagegen. Allerdings bekommen sie im Gegenzug für besonders schnell vermittelte Termine einen Zuschlag. Wer Termine vermittelt, wie Hausarzt Thomas Georgi, profitiert von der neuen Regelung: Pro Patient und Termin bekommt er 15 statt wie bisher zehn Euro.
 
Auch Fachärzte bekommen übrigens diesen Zuschlag, wenn sie einen Termin für ihre Patienten bei einer Kollegin oder einem Kollegen ausmachen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 22.07.2024, 19:30 Uhr