Szene mit Calle Fuhr in "Der Aufstieg und Fall des Herrn René Benko" am Berliner Ensemble.(Quelle:Marcel Urlaub)

Berlin Wiener Volkstheater zu Gast am Berliner Ensemble: "Aufstieg und Fall des Herrn René Benko"

Stand: 02.07.2024 10:32 Uhr

Der Regisseur und Performer Calle Fuhr hat mit der Investigativ-Recherche-Gruppe "Dossier" ein Doku-Theaterstück über René Benko geschrieben, das nun am Berliner Ensemble gastiert. Aus einer Lecture-Performance entsteht spannendes Aufklärungstheater. Von Barbara Behrendt

Man nehme zwei kleine Becher. Einer steht für die geliebte Tochterfirma – nennen wir sie Elisabeth. Der andere steht für die ungeliebte Tochterfirma – Dörthe. Elisabeth bekommt nun alle ertragreichen Immobilien von Galeria Karstadt Kaufhof zugeschrieben. Dörthe bekommt die lästigen 32.000 Mitarbeitenden der Kaufhäuser inklusive Betriebsräte aufgeladen.
 
Jetzt erhöht Elisabeth die Mietkosten für Dörthe immer weiter – bis Dörthe schließlich Filialen schließen und rund 20.000 Mitarbeitende kündigen muss. Und weil der Staat dabei nicht tatenlos zusehen kann, schießt er Dörthe rund 700 Millionen Steuergeld (die Corona-Krise macht’s möglich) zu. Wovon dann wiederum Elisabeth profitiert.

 Meret Mundwiler, Tim Freudensprung, Kinan Hmeidan, Linda Vaher, Flavia Lefèvre in der Inszenierung "Dämonen" unter der Regie von Boris Nikitin,  Sebastian Nübling REGIE Boris Nikitin und Sebastian Nübling.(Quelle: Ute Langkafel MAIFOTO)
Vom Verschwinden im Moloch

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So simpel fasst Calle Fuhr in seiner Solo-Performance "Aufstieg und Fall des Herrn René Benko" ein besonders verwerfliches Kapitel im System des österreichischen Immobilieninvestors und Gründers der Signa-Holding zusammen. Fuhr sitzt an einem kleinen Tisch und lässt die Becher rotieren, bis es alle im Publikum verstanden haben.

So schreibt man Bilanzen schön

Schön auch das Hütchenspiel, mit dem Calle Fuhr die neuen Recherchen der Investigativ-Journalist:innen von "Dossier" einfließen lässt, die zeigen, dass nicht ein erhöhter Leitzins der Grund für René Benkos Pleite war, sondern seine Signa-Holding durch extreme Machenschaften schon lange so gut wie insolvent war. Mit jetzt neun Bechern führt Calle Fuhr vor, wie man Bilanzen schönmalt und geliehenes Geld von einer Tochterfirma zur nächsten schiebt, damit jede mal liquide aussieht.
 
Und damit auch alle folgen können, spielt er zwischendurch seinen alten Mathelehrer, der der Klasse 6a den Leitzins und die Sache mit dem Kapitalwertverfahren erklärt und durchrechnet. Das Publikum (die Kritikerin eingeschlossen!) hat es nötig – denn Finanzexpert:innen sitzen bei diesem Gastspiel des Wiener Volkstheaters am Berliner Ensemble wahrlich nicht im Zuschauerraum. Doch der Abend schafft Abhilfe: So didaktisch Calle Fuhrs Lecture-Performance ist, die er gemeinsam mit "Dossier" erarbeitet hat, so unterhaltsam und vor allem lehrreich ist sie.

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Vom Milliardär zum Angeklagten

Spätestens seit der Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof und dem KaDeWe ist der Name René Benko vielen bekannt: bis vor ein paar Jahren einer der reichsten Männer der Welt, inzwischen bankrott – gegen ihn wird wegen Untreue und Subventionsbetrug ermittelt. Der Theaterabend untersucht nun Benkos geschäftlichen Aufstieg und Fall und zeigt, wie er das Finanzsystem geschickt für das Wachstum seiner Firma benutzen konnte.
 
Über ihn selbst erfährt man dabei nicht viel mehr, als dass er die Schule abbrach, weil er, gerade volljährig, schon damals schäbige Dachböden zu Luxus-Wohnungen ausbauen ließ – gute Kontakte und einfache Kreditvergaben machten es möglich.

Szene mit Calle Fuhr in "Der Aufstieg und Fall des Herrn René Benko" am Berliner Ensemble.(Quelle:Marcel Urlaub)

Calle Fuhr in "Der Aufstieg und Fall des Herrn René Benko"

Die Verbindung von investigativem Journalismus und Dokumentar-Theater ist nicht neu. Am Berliner Ensemble erlebte man sie zuletzt im Zusammenhang mit dem AfD-Geheimtreffen in Potsdam: Die Journalist:innen von "Correctiv" stellten damals ihre Recherchen mit dem BE-Ensemble und dem Regisseur Kay Voges vor.
 
Kay Voges wiederum ist Intendant des Wiener Volkstheaters, wo im März die Inszenierung über René Benko entstanden ist. Calle Fuhr hingegen war kürzlich am Theater Cottbus zu sehen, wo er eine "Correctiv"-Recherche über die schmutzigen Geschäfte rund um den Braunkohleabbau in Brandenburg auf die Bühne brachte – was lokal hohe Wellen schlug.

Der Abend fordert simple Systemänderungen

Beim Benko-Abend gibt es nun keine Figuren, keine Schauspieler:innen – nur Calle Fuhr im hellblauen Anzug. Ästhetisch ist das simpel. Der Performer steht vor zwei Leinwänden, auf der etwa die Gesichter der prominenten Beiratsmitglieder und Aufsichtsräte eingeblendet werden. Das Dilemma – es sind dieselben Personen. Diagramme werden gezeigt und ein Video-Clip, der das Wunder der Signa-Holding offenlegt. Das führt zum einen oder anderen Aha-Erlebnis.
 
Natürlich haben auch die Medien in den letzten Monaten und Jahren ausführlich über René Benko berichtet. Doch das muss ja nicht bedeuten, dass das Thema fürs Theater Tabu ist. Und wer könnte schon so genau formulieren, wie unser Finanzsystem Benkos Fake-Imperium überhaupt erst möglich gemacht hat? Der Abend fordert zwei Systemänderungen, damit nicht der nächste Benko durchmarschieren und abzocken kann. Erstens: Menschen, die von einem Unternehmen profitieren, sollen nicht gleichzeitig in dessen Aufsichtsrat sitzen dürfen. Zweitens: Privatfirmen, die Steuergelder kassieren, sollen absolute Transparenz gewährleisten müssen. So simpel, so einleuchtend. Wie der ganze Theaterabend.

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.07.2024, 7:55 Uhr