Archivbild: Dietmar Woidke (SPD, Podium M.), Ministerpräsident von Brandenburg, spricht am 13.12.23 während der Aktuellen Stunde zu den Folgen des Haushaltsurteils des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts bei der Sitzung des Landtages Brandenburg (Quelle: dpa / Michael Bahlo).

Brandenburg Bilanz des Brandenburger Landtags: 1.000 Stunden im Plenum, 1.160 Anträge - und viele Ordnungsrufe

Stand: 15.07.2024 06:09 Uhr

Der Brandenburger Landtag macht Schluss für diese Legislatur – zumindest mit dem regulären Betrieb. Wegen des Nachtragshaushalts stehen ausnahmsweise während der Sommerpause noch Sondersitzungen an. Doch wie fällt die Bilanz nach fünf Jahren aus? Von Amelie Ernst

Kann keiner sagen, dass der Brandenburger Landtag in dieser Legislatur untätig war: 109 Plenarsitzungen gab es (bisher), davon 14 Sondersitzungen wegen der Corona-Pandemie. Fast 1.000 Mal haben sich die insgesamt 26 Fach-, Sonder- und Untersuchungsausschüsse des Landtags getroffen – am längsten davon der Ausschuss für Inneres und Kommunales (330 Stunden), gefolgt vom Umweltausschuss und dem für Soziales und Gesundheit.

Corona, Corona, Corona

Klar: Die Corona-Pandemie hat diese Legislatur geprägt – inhaltlich und zeitlich. Kaum hatte die neue Kenia-Koalition nach dem Wahl im September 2019 die berühmten 100 Tage überstanden, trat im Februar 2020 DAS Thema auf den Plan – und hielt das Parlament im Dauer-Ausnahmezustand: Debatten und Beratungen über Corona-Maßnahmen, Corona-Regeln, Corona-Verordnungen, aber auch Maskenpflicht, Maskenbeschaffung, Schulschließungen, Impfpflicht, Impfstrategie und Rettungspakete für die Wirtschaft wurden zum Tagesgeschäft für die 88 Parlamentarier - und vor allem auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landtag. Da geriet das bis dahin dominierende Thema Afrikanische Schweinepest schnell in den Hintergrund.
 
Am Ende der Legislatur haben Ministerpräsident und Gesundheitsministerin eingeräumt, dass sie mit dem Wissen von heute einiges anders gemacht hätten in Sachen Corona-Maßnahmen. Vor allem Schulen und Kitas werde man bei einer möglicherweise nächsten Pandemie unter allen Umständen offen halten, um soziale Kontakte zu ermöglichen, sagte Dietmar Woidke (SPD). Doch damals habe man auf Nummer Sicher gehen wollen und müssen, um Menschenleben zu schützen und zu retten, sagte die Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne).

Archivbild: Blick in den Plenarsaal zur 43. Sitzung des Landtages Brandenburg am 19.05.21. Die Lage von Wissenschaft und Forschung in Brandenburg in der Corona-Krise beschäftigte an diesem Mittwoch den Landtag in Potsdam (Quelle: dpa / Patrick Pleul).

Mit Trennwänden und außer am Platz mit Maske: Der Plenarsaal zu Pandemiezeiten 2021.

Erst die Folgen der Pandemie - dann die des Krieges

Auch das zweite Regierungsjahr der Kenia-Koalition (2021) war geprägt von Corona und den Folgen: Im Landtag diskutierte man den Umgang mit den Folgen der Pandemie – Wirtschaftshilfen ebenso wie Impfstrategien und Aufholprogramme für Schülerinnen und Schüler. Ist eine Neuverschuldung von fast zwei Milliarden Euro angemessen? Ist die Erklärung einer Notlage gerechtfertigt? Vor allem die AfD ist skeptisch und klagt mehrfach gegen die Entscheidungen der Landesregierung und der Parlamentsmehrheit – mit Erfolg.
 
Im März 2022 scheinen die größten Corona-Folgen vorerst überstanden zu sein – doch der Krieg in der Ukraine beschert dem Brandenburger Landtag direkt ein neues Dauer-Thema. Zehntausende Geflüchtete kommen ins Land, die Kommunen suchen nach Unterkünften, vieles gelingt – doch manch eine Kommune stößt bald an ihre Grenzen. Schulplätze werden knapp. Und weil das billige Öl und Gas aus Russland wegfällt, steigen nach und nach auch die Energiepreise – wieder ein Thema für den Landtag. Es geht auch um die Frage, wie die größte Raffinerie Ostdeutschlands, das PCK in Schwedt, trotzdem rentabel bleiben kann. Schließlich fließen Öl und Gas aus anderen osteuropäischen Quellen – inzwischen liegt die Auslastung des PCK wieder bei etwa 80 Prozent.

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BVB/Freie Wähler: Von der Fraktion zur Gruppe

Nach und nach schaffen es 2023 auch wieder andere Themen in den Brandenburger Landtag: Der wachsende Rechtsextremismus (nicht nur an der Oberschule in Burg), der Mangel an Ärzt:innen (vor allem auf dem Land) und der Umgang mit Geflüchteten (Kommunen sehen sich am Limit). Die vom Bund eingerichteten Kontrollen an der Grenze zu Polen werden vor allem von SPD, CDU und AfD im Landtag begrüßt.
 
Außerdem wechselt mit Philip Zeschmann einer der fleißigsten Redner im Landtag von BVB/Freie Wähler zur AfD – und lässt seine alte Fraktion damit zur Gruppe schrumpfen. Allgemeine Empörung – doch Zeschmann bleibt dabei: Rechtsextreme Tendenzen habe er bei der AfD nicht wahrgenommen. Der Verfassungsschutz allerdings stuft die Brandenburger AfD weiterhin als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein; mehrere AfD-Landtagsabgeordnete, darunter den Fraktionsvorsitzenden Hans-Christoph Berndt und den parlamentarischen Geschäftsführer Dennis Hohloch, sogar als "gesichert rechtsextrem".

Die Brandenburger AfD-Vorsitzende Birgit Bessin (l-r), Philip Zeschmann, ehemals Fraktionsmitglied von BVB/Freie Wähler, Hans-Christoph Berndt, AfD, und Dennis Hohloch, AfD, kommen am 07.11.2023 im Landtag zu einer Pressekonferenz. (Quelle: dpa/Soeren Stache)
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Deutliche Mehrheit der Gesetzentwürfe von Regierungsfraktionen

Auch im Wahljahr 2024 sorgt die AfD im Landtag für Gesprächsstoff: Ein Treffen mit Rechtsextremisten und Identitären am Potsdamer Lehnitzsee im November 2023 habe lediglich dem Gedankenaustausch gedient, beteuert die AfD-Spitze auch im Landtag. Das Wort "Remigration" haben die AfD-Politiker längst in ihren Sprachgebrauch aufgenommen und propagieren damit die Rückkehr von nicht erwünschten Ausländern in deren "Heimatländer" bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
 
Weniger laut ist die größte Oppositionsfraktion allerdings wenn es um andere Brandenburger Dauer-Baustellen geht, wie Maßnahmen gegen die Trockenheit und Waldbrände, Konzepte für den ÖPNV oder den Fach- und Arbeitskräftemangel. So wird die deutliche Mehrheit der Gesetzentwürfe in dieser Legislaturperiode von der Landesregierung oder den Regierungsfraktionen eingebracht (105 beziehungseise 24), gefolgt von der Linken (28), den Freien Wählern und der AfD (beide jeweils 15).

Archivbild: Der Abgeordnete Dennis Hohloch (AfD) spricht bei der Plenarsitzung des Landtags Brandenburg am 21.03.24 (Quelle: dpa / Jens Kalaene).

Bei der Zahl der Ordnungsrufe führt er mit Abstand: Dennis Hohloch von der AfD.

"Lügner!", "Verarschung!", "Bullshit!"

Fleißpunkte sammeln in dieser Legislatur vor allem die Mitglieder der kleinsten Fraktion beziehungsweise Gruppe im Landtag: Die Abgeordneten von BVB/Freie Wähler sind (zunächst) zu fünft – und müssen sich in entsprechend viele Themen einarbeiten, um im Plenum ihre Redezeit wahrzunehmen. So liegen sie bei der Zahl der Redebeiträge alle auf Spitzenrängen – neben Philip Zeschmann (451 Redebeiträge, inklusive späterer AfD-Zeit) auch Péter Vida (356) Mathias Stefke (307), Christine Wernicke (213) und Ilona Nicklisch (200). Bei SPD, CDU, Linken und Bündnisgrünen teilen sich die Abgeordneten die Redebeiträge gleichmäßiger auf; bei der AfD übernehmen meist Fraktionschef Hans-Christoph Berndt (291 Redebeiträge in 5 Jahren) und der parlamentarische Geschäftsführer Dennis Hohloch (294), während andere sich eher zurückhalten (oder zurückgehalten werden), wie Rolf-Peter Hooge (8 Redebeiträge in 5 Jahren).
 
Eindeutig vorn liegen die AfD-PolitikerInnen was die Zahl der Ordnungsrufe betrifft: Insgesamt 58 Mal musste das Landtagspräsidium eingreifen, wegen diverser Zwischenrufe oder weil sie andere Abgeordnete oder Regierungsmitglieder beschimpften: "Sie sind ein Lügner!" (Andreas Kalbitz/AfD und Dennis Hohloch/AfD), "Verarschung" (Daniel Münschke/AfD). Angeführt wird die inoffizielle Statistik vom AfD-Abgeordneten Dennis Hohloch (15 Ordnungsrufe), gefolgt von seinem Fraktionskollegen Lars Hünich (9). Gleich 15 AfD-Abgeordnete werden in der 108. Plenarsitzung zur Ordnung gerufen, weil sie während der Vereidigung des Antisemitismusbeauftragten den Plenarsaal verlassen; ebenso wird die AfD-Abgeordnete Sabine Barthel als Schriftführerin ermahnt, weil sie sich zur Vereidigung nicht von ihrem Platz erhebt.

Péter Vida (Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen (BVB)/Freie Wähler) spricht am 13.12.2023 während der Sitzung des Landtages Brandenburg. (Quelle: dpa-Bildfunk/Michael Bahlo)

Péter Vida (BVB/Freie Wähler) - von der mitgebrachten Orange existiert leider kein Bild.

…und eine Orange

Auch die Linke als zweitgrößte Oppositionsfraktion kassierte mehrere Ordnungsrufe, unter anderem für "Bullshit!" (Isabelle Vandré) und für den Vorwurf, dass AfD-Abgeordnete Menschen bewusst in den Tod schicken wollen (Debatte um Geflüchtete/Andreas Büttner). Den kuriosesten Ordnungsruf der Legislatur erhielt Péter Vida (BVB/Freie Wähler) in der 105. Plenarsitzung – weil er das Symbol seiner Wahlkampagne mitgebracht hatte: eine Orange.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.07.2024, 9 Uhr