Anika Franzen schaut sich in ihrem Schlafzimmer ihrer Wohnung auf Zeit um (Foto: rbb)

Brandenburg Guben: Erste Probebewohner beziehen ihre neue Heimat auf Zeit

Stand: 02.07.2024 14:58 Uhr

Not macht erfinderisch: Guben hat eingeladen, beinah kostenlos ein paar Sommerwochen in der Stadt zu verbringen. Probewohnen, um das Kleinstadtleben zu testen und im Idealfall zu bleiben. Nun sind die ersten Bewohner da. Von Aspasia Opitz und Daniel Mastow

Den größten Koffer, den sie besitzt, zieht Anika Franze durch die Tür ihrer neuen Wohnung. "Ich wollte eben auch ein paar Sachen von meinem Zuhause mitnehmen, weil es sonst so ein Urlaubsgefühl ist, wenn man nur Klamotten und Kosmetik hat."
 
Die 37-jährige Anika Franze ist eine der ersten Probebewohner, die sich ins Abenteuer Guben (Spree-Neiße) wagt. Zweieinhalb Stunden Autofahrt hat die Berlinerin hinter sich gebracht, um das Leben in der 16.000-Einwohnerstadt an der Neiße zu testen.

Anika Franzen kommt mit Rollkoffer durch die Tür ihrer Wohnung auf Zeit (Foto: rbb)

Probewohnen Guben Anika Franzen

Alles so schön fußläufig

Auf den Aufruf für ein kostenloses Probewohnen auf Zeit hatten sich 35 Bewerber gemeldet, wobei die Stadt von "Parteien" spricht, weil es sich nicht nur um Einzelpersonen, sondern auch um Paare und Familien handelt. Mehr als die Hälfte von ihnen kamen aus Berlin, hieß es Mitte Mai von der Stadt. Es waren auch Bewerbungen aus dem Raum Hamburg und der Nähe von München dabei.
 
Am Ende hat die Stadt 18 Parteien ausgewählt, 17 nehmen sich nun tatsächlich die Zeit, ins Kleinstadtleben einzutauchen. Sie können für zwei bis vier Wochen eine voll ausgestattete Wohnung in der Stadt nutzen. Insgesamt stehen fünf Zwei- oder Dreiraumwohnungen zur Verfügung. Die ersten wurden von einem russischen Journalisten, einer Familie und Anika Franze am ersten Julitag bezogen.

 
Begrüßt wird Franze von Linda Geilich von der Rückkehrerinitiative "Guben tut Gut". Zum Start bekommt die Berlinerin ein Infopaket samt Stadtplan in die Hand, "da ist ihre Wohnung eingezeichnet." Das sorgt für den ersten Aha-Moment. "Das ist alles gut fußläufig zu erreichen", sagt Anika Franze. "In Berlin wären das wahrscheinlich schon wieder vier S-Bahn-Stationen."

Auf dieser noch leeren Fläche am Rande eines Industriegebietes ist die Ansiedlung eines Werkes des kanadischen Rohstoff-Unternehmens Rock Tech Lithium geplant (Luftaufnahme mit einer Drohne). (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Brandenburg will für "Rock Tech"-Ansiedlung in Guben 90 Millionen Euro zahlen

mehr

Jeder einzelne Zuzug ein Gewinn

Großansiedlingen in Guben, wie der Lithiumhersteller Rock Tech und der Wurstsnackhersteller Jack Links, haben großen Arbeitskräftehunger. Der muss gestillt werden. Außerdem will sich die Stadt verjüngen. Jeder einzelne, der sich für Guben entscheidet, wäre ein Gewinn.
 
Genau das ist das Ziel des Probewohnprojekts, sagt Linda Geilich. Die Stadt soll als Wohnstandort bekannter werden. Damit folgt Guben dem Modell anderer Städte, wie Eberswalde (Barnim), Frankfurt (Oder) und dem sächsischen Görlitz.

"Wenn von den 17 Parteien, die herkommen, vielleicht zwei, drei nach Guben kommen und eventuell eine Familie mit zwei Kindern dabei ist, dann sind es schon mindestens sechs Personen mehr, die in Guben wohnen", sagt Geilich, "und die erzählen es dann vielleicht weiter."

"Nur eine Probe"

Laut Stadt ist bei vielen Bewerbern die Großstadtflucht das Motiv für ihren Wunsch, in Guben auf Probe zu wohnen. Einige würden die Zeit nutzen wollen, um im Homeoffice zu arbeiten. Anika Franze will sich eine berufliche Auszeit nehmen. Die Padagogin denkt darüber nach, in Guben Influencerin zu werden.
 
Für ihre Zweiraumwohnung bezahlt sie lediglich 50 Euro pro Woche für die Nebenkosten. Das Riskio scheint überschaubar. "Das gute am Probewohnen ist, dass es ja nur eine Probe ist", sagt die 37-Jährige. Hätte sie sich sofort für einen Umzug nach Guben entscheiden müssen, hätte sie Sorgen gehabt. "Aber weil es nur auf Probe ist, freue ich mich eigentlich."

Archivbild: Das Kraftwerk Jaenschwalde, ein Waermekraftwerk der Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG) am Cottbuser Ostsee im Suedosten Brandenburgs, aufgenommen am 30.11.2023 vom Aussichtsturm am Cottbusser Ostsee. (Quelle: Picture Alliance/Marc Vorwerk/Sulupress)
"Wir bräuchten noch mehr Menschen in der Lausitz"

Vier Jahre lang hat ein Sonderausschuss die Strukturentwicklung in der Lausitz begleitet. Am Mittwoch legt er seinen Abschlussbericht vor. Im Interview spricht der Vorsitzende darüber, was bisher gut läuft - und wo es im Strukturwandel noch hapert.mehr

Mehrwert für die Stadt

Um in Guben zur Probe wohnen zu können, ist es Voraussetzung, sich vor Ort in Form von Vereinsarbeit oder eines Praktikums zu engagieren. "Es soll für die Stadt einen Mehrwert geben", so eine Sprecherin. Einige hätten bereits angekündigt, dass sie sich vor Ort in Vereinen engagieren möchten. Andere würden ein Praktikum bei einer Partnerfirma machen.
 
Zu ihnen gehört auch Anika Franze. Sie will bei einem städtischen Unternehmen reinschnuppern - bei welchen, hatte sie am Tag ihres Einzugs noch nicht entschieden. In den nächsten Wochen will sie auf jeden Fall das Brandenburger Kleinstadtleben kennenlernen. Ob sie dann, nach drei Wochen Probewohnen, bleiben möchte, wird sich zeigen.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 01.07.2024, 19:30 Uhr