Brandenburg Berlin Interview | Berliner Autorin Jenny Erpenbeck: "Die Sprache hat einen Großteil dazu beigetragen, dass die DDR untergegangen ist"
Im englischsprachigen Raum gilt Jenny Erpenbeck derzeit als die wichtigste deutsche Schriftstellerin. Mit "Kairos" ist die Berlinerin erneut für den "International Bookers Prize" nominiert. Warum die Wertschätzung im Ausland anders ist, erzählt sie im Interview.
rbb: Frau Erpenbeck, Sie sind Sie mit Ihrem Buch "Kairos" zum fünften Mal für den "International Booker Prize" nominiert, so häufig wie keine andere Deutsche. Damit haben Sie jetzt auch Daniel Kehlmann mit vier Nominierungen überholt. Und Sie haben 2015 den Vorgängerpreis, der damals noch "Independent Foreign Fiction Prize" hieß, gewonnen. Das hat vor Ihnen nur ein deutscher Autor geschafft, W. G. Sebald. Das ist schon was Besonderes.
Jenny Erpenbeck: Es ist natürlich toll. Aber es ist ja nicht wie beim Sport, wo man jetzt sagt: 'Ja, der Kehlmann hat vier Nominierungen und ich habe fünf.' Es ist nicht so, als ob man jetzt eine Geschwindigkeit beim 100-Meter-Lauf schafft.
Der englischsprachige Raum scheint gerade ein großes Interesse an Frauen aus dem Osten zu haben. Ihre Bücher werden mit Preisen geehrt und Sandra Hüller mit Filmen in Hollywood gefeiert. Erstaunt Sie das?
Ja, vielleicht liegt das daran, dass wir weniger machen, was dort die meisten machen. Die Amerikaner haben diese Prinzipien erfunden 'How to write a novel' und 'How to do this and how to do that' - und vielleicht sind sie auch ganz froh, wenn sie da mal rauskommen.
Andererseits gibt es einen bestimmten Ton, der englischsprachige Leser besonders trifft.
Es gibt vor allem in Amerika und auch in England ein Nachdenken darüber, ob man aus dem Kapitalismus rauskommt, ob es irgendwelche Alternativen gibt. Und es gibt tatsächlich ein großes Interesse daran zu verstehen, woran zum Beispiel diese vermeintliche Alternative DDR gescheitert ist. Ich glaube, die Leser wissen, dass in einem Moment des historischen Umbruchs Erfahrungen gemacht werden und diese intensiver sind, und man mehr von dem versteht, was Menschenleben vermag. Es geht in "Kairos" auch nicht nur um Ost-West. Es ist eine Liebesgeschichte, es geht um Missbrauch.
Manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass - sobald dieses Signalwort Ost-West auftaucht - die deutschen Leser eher zu machen oder das Interesse ein anderes ist, zumindest in der westlichen Hälfte von Deutschland. Es ist auch schwierig in einem Land, wo beide Hälften in das Problem verwickelt sind, aber nicht die gleichen Erfahrungen gemacht haben. Es ist etwas anderes, wenn man von außen auf diese Erfahrungen schaut.
Es ist auch total spannend, wie die Sprache das widerspiegelt.
Das hat mich immer interessiert, dass Sprache eigentlich auch so eine Art Oberfläche ist. Ich habe Theater studiert und auch als Regisseurin gearbeitet. Da schaut man sehr genau: Was ist der Text und was ist der Untertext? Was wird nach außen hin gesagt, aber was wird eigentlich erzählt? Solche Sachen sind interessant und haben natürlich auch viel mit Manipulation zu tun, mit Verbergen.
Ich habe mich in dem Buch auch gefragt, wo kommt die falsche Sprache her? Ab wann wird die Sprache plötzlich domestiziert und kontrolliert und so reflektiert, dass sie nicht mehr frei ist? Das sind ja interessante Fragen, sowohl für Privatleben als auch für das politische Leben.
Und die, sage ich jetzt mal, falsche Sprache hat, glaube ich, auch einen Großteil dazu beigetragen, dass die DDR untergegangen ist, weil es einfach keinen wirklichen Austausch mehr gegeben hat. Zwischen der Regierung und den Leuten hat es keinen wirklichen Dialog mehr gegeben. Das ist viel schlimmer, als man denkt. Die Wirtschaft war natürlich auch marode, aber auch diese Sprache hat die Idee des Aufbruchs, die es am Anfang gab, nach dem Krieg, wirklich ruiniert.
In Deutschland ist die Kritik generell anders als im englischsprachigen Raum. Es wird generell mehr mit kritischem Bewusstsein als mit Neugier und Euphorie auf die Bücher und auf die Autoren geschaut.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Sie im Ausland quasi als Weltstar gesehen werden und hier in Deutschland sind die Kritiken doch noch eher zurückhaltend?
In Deutschland ist die Kritik generell anders als im englischsprachigen Raum. Es wird generell mehr mit kritischem Bewusstsein als mit Neugier und Euphorie auf die Bücher und auf die Autoren geschaut. Aber ich habe auch eine lange Preisliste in Deutschland. Ich habe auch für das Buch "Kairos" sehr gute Kritiken bekommen. Und "Heimsuchung", mein früheres Buch von 2008, ist Schullektüre geworden. Die Deutschen behandeln mich auch nicht so schlecht.
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Aber die "New York Times" sieht Sie als Literaturnobelpreis-Kandidatin. Sind solche Gedankenspiele irgendwie komisch? Verändert sich das Schreiben bei Ihnen dadurch?
Das Schreiben wird natürlich nicht automatisch besser. Das wäre eher praktisch. Beim Schreiben hilft es eigentlich nicht, weil jedes Buch auch ein Buch ist, was es vorher nicht gibt. Man steht vor Fragen, die es in der Weise vorher auch noch gar nicht geben konnte. Und man muss sich mit immanenten Problemen, die den Stoff betreffen, rumschlagen. Da hilft auch leider kein Preis.
Vielleicht ist es eher ein bisschen komisch, wenn die Leute mich plötzlich mit so einem Blick anschauen: 'Hey, die soll den Nobelpreis kriegen? So gut schreibt sie ja nun wieder auch nicht' oder was weiß ich. Es ist ein bisschen absurd. Ich habe eher die Befürchtung, dass ich bis ich 95 bin, falls ich so alt werde, damit rumlaufen muss, dass ich eine große Hoffnung für den Nobelpreis war und ihn nicht bekommen habe. Und das ist dann vielleicht doch eher sogar eine Belastung oder eine Luxusbelastung, aber auch ein bisschen absurd.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Jenny Erpenbeck führte Corrine Orlowski, rbb24 Inforadio.
Der Text ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: radio3, 21.05.2024, 12:30 Uhr