Noah Lyles nach dem 200-Meter-Finale bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris (Quelle: IMAGO / UPI Photo)

Brandenburg Berlin Interview | Sportmediziner über Corona und Olympia: "Ich kann die Athleten zum Teil verstehen, zumal das Dilemma nicht neu ist"

Stand: 14.08.2024 19:53 Uhr

Mehrere Athleten gewannen bei Olympia trotz aktiver oder gerade überstandener Corona-Infektion eine Medaille. Im Interview spricht Sportmediziner Wilhelm Bloch über kalkulierte Risiken und einen fieberhaften Dirk Nowitzki auf dem Weg zum NBA-Titel.

rbb|24: Herr Bloch, die Olympischen Spiele 2024 sind Geschichte. Was wird Ihnen aus Paris im Gedächtnis bleiben?
 
Wilhelm Bloch: Die Leichtathletik, der Zehnkampf. Das hat natürlich immer etwas mit der eigenen Neigung zu tun. Ansonsten sind es vor allem die überraschenden Leistungen, die einen begeistern und die man nicht zwingend erwarten konnte – wie zum Beispiel im Kugelstoßen der Frauen (die deutsche Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye gewann mit ihrem letzten Versuch die Goldmedaille; Anm. d. Red.). Das war schon ein besonderes Highlight. Insgesamt fand ich die Spiele sehr anregend und unterhaltsam.
 
Schaut man als Sportmediziner mit anderen Augen auf ein solches Großereignis – oder können Sie die Wettkämpfe als Fan am Fernseher genießen?
 
Als Sportbegeisterter kann man das schon genießen. Es ist aber so, dass man bei Wettkämpfen immer sportmedizinische Aspekte im Hinterkopf hat. Wenn etwas passiert, sich zum Beispiel jemand verletzt, kommt der Sportmediziner aus einem heraus.

Ein viel diskutiertes Thema war und ist der Umgang einzelner Athletinnen und Athleten mit Corona-Infektionen. Der amerikanische Sprinter Noah Lyles ging infiziert in das 200-Meter-Finale und holte Bronze [sportschau.de]. Die deutsche Weitspringerin Malaika Mihambo gewann die Silbermedaille und hatte anschließend mit den Nachwehen einer Covid-Erkrankung zu kämpfen. Gina Lückenkemper war wenige Tage vor dem Beginn der Spiele ebenfalls erkrankt - letztlich gewann sie mit der 4x100-Meter-Staffel sensationell die Bronzemedaille.
 
Da muss man differenzieren: Bei Noah Lyles war es schon kritisch. In seinem Fall war es eine Eigen- und Fremdgefährdung. Aus medizinischer Sicht ist das nicht zu verantworten und er hätte nicht starten sollen, weil er aufgrund der aktiven Infektion sich selbst und seine Kontrahenten gefährdet hat. Die Szenen, als er nach dem Wettkampf im Rollstuhl aus dem Stadion gefahren wurde, zeigen ganz klar, dass die Belastung seinen Körper überstrapaziert hat. Sportler sind zwar meistens sehr erholungsfähig, es zeigt aber trotzdem, dass das eine Belastung war, der er sich besser nicht hätte aussetzen sollen. Man muss aber auch sagen, dass es keine Regularien oder Beschränkungen gab. Formal hat er nichts falsch gemacht.
 
Bei Mihambo hat man gesehen, dass sie selbst acht Wochen nach der Infektion noch nicht voll leistungsfähig war. Ich gehe davon aus, dass sie sich geschont hat. Irgendwann kommt natürlich der Punkt, wieder in das Training einzusteigen, um an Olympia teilnehmen zu können. Das ist eine andere Situation. Sie ist bestimmt entsprechend betreut worden und hat ihr Training mit Sicherheit angepasst. Man sieht aber daran, wie lange so eine Erkrankung nachwirken kann. Es ist auch einfach kein schönes Bild, nach einem erfolgreichen Wettkampf im Rollstuhl aus der Arena gefahren zu werden.
 
Hätten Sie sich andere, schützende Maßnahmen der nationalen Verbände, eventuell sogar ein Wettkampfverbot für Athleten mit aktiver Infektion, gewünscht?
 
Ich hätte mir eine einheitliche Regelung für Athleten mit nachweislicher Infektion gewünscht. Andererseits gibt es keine Testpflicht mehr, in Paris wurde nicht flächendeckend getestet. Die Dunkelziffer derer, die mit Covid-Infektion in Paris gestartet sind, wird relativ hoch gewesen sein. Das muss man auch in die Abwägung bringen. Manche Sportler haben kaum Symptome, gerade wenn sie geimpft sind und schon eine Infektion durchgemacht haben. Trotzdem ist es immer noch eine gefährliche Erkrankung.

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Es ist nachvollziehbar, dass Athleten alles dafür tun wollen, bei diesem Karrierehöhepunkt und Wettkämpfen, die nur alle vier Jahre stattfinden, nicht auszufallen und dafür gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen. Wie unverantwortlich ist es aus medizinischer Sicht, als Leistungssportler mit einer Lungen- und Atemwegserkrankung in einen Wettkampf zu gehen?
 
Es ist immer gefährlich, mit einer akuten Erkrankung in den Wettkampf zu gehen – gerade auch mit einer Corona-Erkrankung. Bei der Verantwortung muss man abwägen: Aus medizinischer Sicht ist es keine Frage, da gibt es eine klare Richtlinie. Akute Infektion bedeutet keine maximale Belastung und kein Wettkampf. Wir haben es hier aber mit Olympia zu tun. Die Spiele finden nur alle vier Jahre statt und die Sportler nehmen eine eigene Abwägung vor. Ich kann die Athleten zum Teil verstehen, zumal das Dilemma nicht neu ist. Dirk Nowitzki ist im vierten Spiel der NBA Finals 2011 mit 39 Grad Fieber aufgelaufen. Ohne dieses Spiel wäre er wahrscheinlich nicht NBA-Champion geworden (als Anführer der Dallas Mavericks glich er die Serie gegen die Miami Heat damals aus und gewann letztlich den einzigen NBA-Titel seiner Karriere; Anm. d. Red.).
 
Welche Langzeitfolgen nehmen Spitzensportler, die akut an Covid erkrankt an Wettkämpfen teilnehmen, potenziell in Kauf?
 
Die Kennzeichensymptome von Corona sind Belastungsunverträglichkeit, Leistungsreduktion und chronische Müdigkeit. Es gibt noch eine Reihe anderer Risiken, die im Endeffekt auch organischer Natur sind, die wir teilweise aber noch nicht zu einhundert Prozent abschätzen können. Wenn man zu früh wieder in die Belastung einsteigt, erhöht man das Risiko, in eine Post- oder Long-Covid-Situation zu kommen, die einen über Monate und Jahre stark in der Leistungsfähigkeit einschränken kann. Gut trainierte Sportler sind vor diesen Langzeiterkrankungen aber besser geschützt.
 
Und was sollten Freizeitsportler beachten, bevor sie nach einer Erkrankung wieder ins Training einsteigen?
 
Wichtig ist es, erst wieder Sport zu treiben, wenn man symptomfrei ist und mindestens eine Woche mit dem Training pausiert hat. Es besteht die Gefahr, wieder einzusteigen und nicht richtig zu regenerieren. Gerade nach einer Covid-Erkrankung sollte man auf seinen Körper achten - ob man die Belastung verarbeitet und sich ordentlich regeneriert. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man die Belastung lieber nochmal reduzieren und sich langsam wieder hocharbeiten. So reduziert man das Risiko für Post-Covid.
 
Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.