Dietmar Woidke und Robert Crumbach am 11.09.2024 im Havel-Saal der Potsdamer Industrie- und Handelskammer (IHK). (Quelle: dpa/Soeren Stache)

Brandenburg Sondierungsgespräche zwischen SPD und BSW: Viele Gemeinsamkeiten und eine Sollbruchstelle

Stand: 22.10.2024 06:04 Uhr

Seit knapp drei Wochen führen SPD und BSW in Brandenburg Sondierungsgespräche. Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt: Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Wiegen sie stärker als eine Festlegung in der Ukraine-Frage, wie sie Parteichefin Wagenknecht fordert? Von Michael Schon und Hanno Christ

  • SPD und BSW haben Schnittmengen vor allem bei Migrations- und Sozialpolitik
  • Auf Landesebene ist die Rolle des Verfassungsschutzes eine mögliche Hürde
  • Größte Herausforderung bleibt die Ukraine-Politik

Gefühle ja - Inhalte nein: SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) äußern sich bisher nur vage zu ihren Sondierungsgesprächen. Die Stimmung sei positiv. Aber Inhalte wollen die Parteien nicht preisgeben.

Es herrscht derzeit auch Stillschweigen darüber, wann eine mögliche Entscheidung über Koalitionsgespräche fallen könnte.

Aber woran könnte es haken? Und wo gibt es Schnittmengen?

Ein Streitprojekt der bisherigen Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Bündnisgrünen würde in einem neuen Bündnis aus SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wohl sehr schnell abgeräumt: die Bezahlkarte für Asylsuchende.
 
Beide Parteien versprechen die Einführung in ihrem Wahlprogramm. Beide wollen damit Überweisungen ins Ausland und eine mögliche Bezahlung von Schleusern erschweren. Die Frage, wie viel Bargeld Asylsuchende mit der Karte abheben können, spielt dagegen keine Rolle – anders als in der bisherigen Debatte.

Brandenburg: Härter Kurs gegenüber Einwanderung möglich

Ganz generell lässt sich aus beiden Kapiteln zur Migrationspolitik ein härterer Kurs gegenüber Einwanderern herauslesen – auch wenn er beim BSW schärfer formuliert ist als bei der SPD. "Im Bereich der Migration ist man sich näher als in anderen Bundesländern", sagt der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek von der Universität Potsdam. Gleiches gelte für sozialpolitische Themen.

Robert Crumbach (BSW), Jan Redmann (CDU) und Dietmar Woidke, SPD, im Wahlstudio der ARD. (Quelle: dpa/dts Nachrichtenagentur)
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SPD und BSW Brandenburg: Schnittmengen bei Schuldenbremse, Mieten, Polizei

Thomeczek hat in einer Studie ein gutes Dutzend seiner Wissenschaftskollegen an Brandenburger Universtäten und Hochschulen nach Schnittmengen und Unterschieden zwischen SPD und BSW befragt. Mit dem Ergebnis: Bei Themen wie einer Lockerung der Schuldenbremse, einer stärkeren Regulierung von Wohnungsmieten oder in der Bildungspolitik liegen beide Parteien relativ nahe beieinander. Auch bei der Frage, ob Wirtschaftswachstum wichtiger ist als Umweltschutz, schlägt das Pendel bei beiden in Richtung Wirtschaftsfreundlichkeit.
 
Bei der Innenpolitik gibt es Schnittmengen, aber auch Unterschiede. Mehr Stellen bei der Polizei – darauf könnten sich beide Partner in einem Koalitionsvertrag vermutlich recht schnell einigen. Schwieriger dürfte es bei der Rolle des Verfassungsschutzes sein, dessen Befugnisse das BSW begrenzen will. Den eben erst eingeführten Verfassungstreue-Check, eine Regel-Anfrage für angehende Beamte beim Verfassungsschutz, will das BSW sogar wieder abschaffen, sieht ihn als Instrument, nicht-konforme Meinungen zu unterdrücken. Die SPD dagegen betont im Wahlprogramm, Beamtinnen und Beamte müssten uneingeschränkt zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.

Symbolbild: Flüchtlingsunterkunft aus farbigen Container-Elementen in Deutschland. (Quelle: dpa/Bückert)
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Die einen fordern konsequente Abschiebungen, die anderen sehen die zügige Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft als Schlüssel. Das Thema Migration zeigt vor der Brandenburger Landtagswahl große Unterschiede in den Wahlprogrammen.mehr

SPD und BSW - woran hapert es noch?

Dennoch sieht Politikwissenschaftler Thomeczek so viel Übereinstimmung, dass er sich die Frage stellt: Wo hapert es eigentlich noch? Die Antwort liegt aus seiner Sicht nahe: Waffenlieferungen an die Ukraine, die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland – Themen, bei denen das Land Brandenburg eigentlich nicht mitentscheiden kann. "Insofern geht es da vor allen Dingen um die symbolische Wirkung", fasst Thomeczek zusammen. Druck auf die Bundespolitik über die Länder – ob sich die SPD darauf einlassen wird?
 
Von der SPD ist dazu bislang wenig zu hören. Seit einem Gastbeitrag von Ministerpräsident Dietmar Woidke in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", den er gemeinsam mit Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und dem Thüringer CDU-Vorsitzenden Mario Voigt veröffentlichte, gibt es aus der Potsdamer SPD-Zentrale nichts Neues zur Ukraine-Politik. Und auch damals ging es neben einem Bekenntnis zum Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und ihrer territorialen Integrität eher um ein allgemeines Bekenntnis zu stärkeren diplomatischen Bemühungen.
 
BSW-Chefin Wagenknecht hingegen lässt keinen Zweifel daran, wie wichtig ihr eine Absage an Waffenlieferungen und Mittelstreckenraketen ist – im Wahlkampf immerhin das Alleinstellungsmerkmal ihrer Partei. Selbst Thüringens BSW-Vorsitzende Katja Wolf ließ sich jüngst im Interview mit "Zeit Online" zur Aussage verleiten, Wagenknecht sei "auf die Bundestagswahl fokussiert".

Symbolbild:  Eine ukrainische Landesfahne weht als Zeichen des Protests gegen den Krieg in der Ukraine vor der Russischen Botschaft Unter den Linden im Bezirk Mitte am 16.04.2022. (Quelle: picture alliance /SZ Photo/Olaf Schülke)
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Crumbach: Bundestagswahl ist für BSW entscheidend

Brandenburgs BSW-Chef Robert Crumbach teilt die Analyse seiner Parteifreundin in Erfurt, findet daran aber nichts Kritikwürdiges. "Natürlich" sei die Bundestagswahl im nächsten Jahr auch für das BSW entscheidend. "Es ist natürlich richtig, dass Frau Wagenknecht das im Blick hat", findet Crumbach.
 
Offenbar ist den Landesverbänden klar, dass die Ära BSW in den Landtagen sehr schnell wieder vorbei sein kann, wenn der Einzug in den Bundestag im nächsten Jahr misslingt. Aber eben auch, wenn es sich in den Ländern um Verantwortung drückt. Das führt zu gemischten Signalen an den potenziellen Koalitionspartner SPD. Dem rbb sagte Crumbach: "Da müssen wir erstmal schauen, ob wir überhaupt Koalitionsverhandlungen aufnehmen." Nur um nachzuschieben: "Aber wir werden nicht das Interesse der Bundestagswahl über das Interesse Brandenburgs stellen."
 
Was das für die Sondierungsgespräche in Brandenburg bedeutet, könnte sich schon in den nächsten Tagen zeigen, wenn die Vorstände beider Parteien zu ihren Sitzungen zusammenkommen. Von den Verhandlern gibt es erste Andeutungen, dass die Gespräche allmählich zu einem Ende kommen könnten. Für das BSW rückt damit die Stunde der Wahrheit näher.
 
In Thüringen hat dessen Landesvorstand beschlossen, eine Präambel zur Ukraine-Politik im Koalitionsvertrag zur Bedingung für Verhandlungen über eine Regierungskoalition zu machen und einen Formulierungsvorschlag zu machen.
 
Daran wird sich zweierlei ablesen lassen: Welchen Spielraum Wagenknecht den BSW-Landesverbänden gibt. Und wie groß ihr Interesse an einer Regierungsbeteiligung in den Ländern tatsächlich ist.

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