Symbolbild:Ein Absperrband hängt an einem Einsatzort in einem Waldgebiet.(Quelle:picture alliance/dpa-Zentralbild/J.Stähle)

Brandenburg Berlin 20 Jahre Podcasts: "Dass Menschen 'True Crime' zum Einschlafen hören, finde ich irritierend"

Stand: 31.08.2024 10:43 Uhr

Einer der erfolgreichsten Podcasts des rbb ist "Im Visier". Darin blickt Uwe Madel auf außergewöhnliche Kriminalfälle aus der Region. Oft geht es um Morde. Gut schlafen könne er trotzdem, sagt er. Von Freitag bis Sonntag findet im Berliner Haus des Rundfunks das rbb-Festival "House of Podcast" anlässlich von 20 Jahren Podcasts statt.

rbb|24: Hallo Herr Madel. Sie gehen schon sehr lange auf Verbrecherjagd für den rbb. Sind Sie der Eduard Zimmermann (langjähriger Moderator der Sendung "Aktenzeichen XY") für Berlin und Brandenburg?
 
Uwe Madel: Manche Menschen sehen mich so. Ich selbst aber nicht. Denn ich fühle mich noch etwas jünger und auch nicht ganz so seriös und spießig wie Eduard Zimmermann. Aber natürlich ist "Aktenzeichen XY" die Mutter aller Fahndungssendungen im deutschen Fernsehen. Als unsere Sendung "Täter, Opfer, Polizei" 1992 - also vor über 30 Jahren - entstand, war sie angelehnt an die Grundidee von Aktenzeichen, nämlich die Öffentlichkeit zu bitten, bei der Aufklärung von Verbrechen mitzuhelfen. Wir haben aber von vorneherein versucht, Ängste zu vermeiden. Wer als Kind "Aktenzeichen" mit Zimmermann gesehen hat, erzählt oft, dass es gruselig war.

Was machen Sie anders und warum?
 
Wir wollen dieses Gefühl von Grusel bewusst nicht erzeugen. Denn unser Format ist damals mit dem Hintergrund entstanden, die wachsende Verbrechensfurcht, die es insbesondere in den neuen Bundesländern gab, journalistisch aufzufangen. Nach der Wende gab es eine neue Form der Berichterstattung. Denn in der DDR waren Straftaten in den Medien - außer vielleicht im "Polizeiruf 110" - kaum präsent. Bis auf wenige veröffentlichte Gerichtsberichte gab es keine Kriminalberichterstattung. Nach der Wende schaffte es dann jeder bundesweit geschehene Mord ins Wohnzimmer der ehemaligen DDR-Bürger - und das hat vielen Leuten Angst gemacht. Wir haben diese neue Verbrechensangst aufgenommen und gezeigt, was die realen Fälle sind und was wirklich passiert. Außerdem haben wir auch gezeigt, wie man sich schützen und wie man helfen kann, Fälle aufzuklären.

Sie sind schon seit 1992 dabei. Welches andere Betätigungsfeld hätte Sie außer der Verbrecherjagd noch interessiert?
 
Ich habe als Student angefangen, im Nachrichtenbereich zu arbeiten. Mein großer Traum war es, Auslandskorrespondent zu werden. Dann kam das Angebot für "Täter, Opfer, Polizei" und ich habe hin und her überlegt. Da ich immer schon gerne Krimis gelesen habe, hat es mich dann doch gepackt. Das war eine gute Entscheidung.
 
Wer einmal miterlebt hat, wie es ist, bei der Aufklärung eines Falles mitzuwirken, wer einmal mithelfen konnte, Angehörigen Gewissheit zu geben, merkt, dass das unheimlich tief geht. Das hält mich und meine Kollegen fest - weil wir das Gefühl haben, wir tun etwas Wichtiges und können mithelfen, die Welt ein Stückchen sicherer zu machen.

Inzwischen machen Sie mit dem Podcast "Im Visier", einer Art Auskopplung der Fernsehsendung, sogar noch ein weiteres Format. Noch mehr Verbrechen. Können Sie eigentlich bei so viel Mord und Totschlag gut schlafen?
 
Ich kann gut schlafen. Die Angst vor Verbrechen ist ja nicht deckungsgleich mit den realen Taten. Mir ist also klar, dass zwar viel berichtet wird, die schlimmen Verbrechen aber eher sehr selten sind und Deutschland noch immer ein sehr sicheres Land ist. Was sich verändert hat ist, dass ich mir Gedanken darüber mache, wie man sich schützen kann.

Zu welchen Erkenntnissen sind sie gekommen?
 
Ich habe für mich gelernt, mehr auf mein Bauchgefühl zu achten. Fast alle Opfer von Verbrechen, hatten vorher - wenn die Tat nicht völlig überraschend kam - ein ungutes Gefühl. Wenn ich also irgendwo am Automaten Geld abholen will und es kommt jemand herein, bei dem ich denke, es könnte komisch werden, dann gehe ich wieder raus. Ich wechsle auch die Straßenseite, wenn mir nachts jemand Komisches entgegenkommt. Aber im Regelfall gehe ich mit geradem Rücken, wachem Blick und einem guten Gefühl durch die Straßen von Berlin und Brandenburg.

Ich kann gut schlafen. Die Angst vor Verbrechen ist ja nicht deckungsgleich mit den realen Taten.

Noch mal zurück zu gutem Schlaf. Viele Menschen hören inzwischen gerne Podcasts zum Einschlafen. Dazu gehören auch True-Crime-Formate. Können Sie das nachvollziehen?
 
Ehrlicherweise nicht. Es irritiert mich auch, weil es ja eigentlich um sehr spannende Geschichten geht. Aber vielleicht sind das eher Menschen, die gern ruhige Stimmen hören. Offenbar sind die Stimmen von mir und meiner Kollegin Elvira Siebert beruhigend und wir erzählen die Fälle entspannt, dass wir die Menschen trotz der aufwühlenden Themen in den Schlaf begleiten können. Ich finde es dennoch ein wenig verstörend.

Was macht Ihrer Meinung nach überhaupt die Faszination von True-Crime-Podcasts aus? Labt man sich an dem Trauma oder geht es vielfach um die Gerechtigkeit, die die Opfer durch die zumeist aufgeklärten Fälle erfahren?
 
Menschen lieben Emotionen. Sie berühren uns, machen uns wach. Da bieten gerade die Berichte von Verbrechen jede Menge Möglichkeiten: Anteilnahme, Empathie, Neugierde, Angst und auch die Freude, wenn Täter gefasst werden können. True-Crime-Podcasts sind so etwas wie moderne Märchen. In Märchen werden ja auch Kinder entführt und Frauen vergiftet - und am Ende geht es gut aus und das Böse wird bestraft. Das berührt und erleichtert die Menschen gleichzeitig. Wenn wir beispielsweise über Cold Cases berichten, melden sich oft Hörer, die enttäuscht sind, weil sie gerne wissen wollten, wie es ausgeht. Ihnen fehlt dann das gute Ende.
 
Es hören zudem gerade Frauen gern True-Crime-Podcasts. Ich denke, dass sie sich besonders gut einfühlen können in die Kriminalfälle und sie oftmals auch etwas daraus lernen wollen. Vielleicht weil sie sich mitunter in ihrem Alltag mehr als Männer bedroht fühlen. Es interessiert sie, wie Täter vorgehen und sie sich eventuell verhalten könnten. Und wie sie bedrohlichen Situationen vielleicht gleich ganz aus dem Weg gehen können.

"Podcasts erfüllen ein menschliches Grundbedürfnis"

Ob Politik, Wirtschaft, Verbrechen oder Psychologie – es gibt kaum ein Thema, das nicht in einem Podcast behandelt wird. Das Audio-Format ist seit rund zwei Jahrzehnten erfolgreich. Im Interview verrät Experte Sven Preger, was einen Podcast wirklich gut macht.mehr

Sie hatten ja schon geschildert, dass "Aktenzeichen XY" für das Fernsehformat eine Art Vorbild war. Gibt es für den Podcast "Im Visier" auch Vorbilder?
 
Nicht direkt. Das, was wir in dem Podcast machen, ist so relativ einzigartig. Im True-Crime-Bereich gibt es sehr viele Formate. Es gibt Menschen, die sich einfach hinsetzen und einen Fall erzählen – oft gespeist aus Sekundärquellen wie Zeitungsartikeln oder Büchern. Wir docken mit unserem Podcast meistens an Fälle an, über die wir in unserem TV-Fahndungsmagazin schon berichtet haben. Wir gehen im Podcast dann noch einmal tiefer. Wir arbeiten dabei mit authentischen Quellen wie den Originalermittlern. Wir interviewen Staatsanwälte oder Psychiater, die sich mit den Tätern beschäftigt haben. Wir versuchen, ganz dicht an die Akten und Urteile heranzukommen und so aus erster Hand authentisch zu erzählen, was passiert ist.

Wie wählen Sie die Fälle aus? Müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen?
 
Es müssen Verbrechen sein, die einen Bezug zu Berlin oder Brandenburg haben. Es sind eigentlich immer Kapitalverbrechen, meistens Mordfälle. Es sind oft Verbrechen, die nicht im ersten Anlauf gelöst werden konnten, sodass es einen Spannungsbogen gibt. Mitunter auch Fälle, wo es Fehler von Seiten der Ermittlungsbehörden gab. Wir berichten, was schiefgelaufen ist. Und es geht um Verbrechen, die uns in dieser Region hier bewegt haben. Der Podcast bietet uns über das Fernsehmagazin hinaus die Möglichkeit zu berichten und so auch abgeschlossene Fälle weiter zu erzählen. So versteht man mitunter, warum ein Täter wie gehandelt hat und welche Optionen er vielleicht hatte - oder nicht. Und auch, wie genau die Ermittlungsbehörden ihn gefunden haben.

Der Podcast bietet uns über das Fernsehmagazin hinaus die Möglichkeit zu berichten und so auch abgeschlossene Fälle weiter zu erzählen

Sie sind Ehrenkommissar bei der Polizei in Brandenburg. Was heißt das? Haben Sie Handschellen?
 
Ehrlicherweise habe ich goldene Handschellen zuhause. Die waren mal eine Auszeichnung, die ich bekommen habe. Aber bei dem Ehrenkommissar handelt es sich um einen Ehrentitel, von dem ich keinerlei Vorteile habe. Ich werde weder bei Verkehrskontrollen bevorzugt behandelt noch anderweitig. Aber es ist natürlich eine Anerkennung für die Arbeit der gesamten Redaktion. Ich bin auf diese Ehrung recht stolz, weil sie wirklich aus den Reihen der Polizei selbst kommt. Obwohl wir über sie auch kritisch berichten, erkennen sie damit an, was wir tun und schätzen das offenbar auch.

Dieser Tage sind Sie mit "Im Visier" auch bei der rbb-Veranstaltung "House of Podcast" dabei. Was erwartet die Besuchenden?
 
Wir sind am Sonnabend im Haus des Rundfunks, das jetzt vorübergehend das "House of Podcast" geworden ist mit zwei Fällen dabei. Dazu eingeladen haben wir einen echten Mordermittler, René Brümmer aus Frankfurt (Oder). In dem einen Fall geht es um den dramatischen Absturz eines Flugzeugs 2005 direkt am Berliner Reichstag. Da dachten erst einmal alle, es handele sich um einen Terroranschlag. Am Ende war es ein Mordfall aus dem Brandenburgischen. Außerdem schauen wir uns einen ganz alten Fall an. Da geht es um eine junge Krankenschwester aus Berlin, die 1990 verschwand und später ermordet in einem Wald bei Beeskow (Oder-Spree) aufgefunden wurde. Diesen Fall hat Brümmer 14 Jahre nach der Tat aufklären können. Wir sprechen mit ihm darüber, wie das gelingen konnte.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 
 
 
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.08.2024, 11:05 Uhr