Annette Matz steht vor einem Foto von Balletttänzerinnen auf der Bühne der Hamburger Staatsoper und spricht einen Kommentar zum Abschied des Ballettintendanten John Neumeier.

Hamburg Kommentar: Der Abschied von John Neumeier ist auch ein Anfang

Stand: 14.07.2024 06:00 Uhr

Am Wochenende verabschiedet sich Ballettintendant John Neumeier. Er ist Ehrenbürger unserer Stadt und wird verlässlich gefeiert. 51 Jahre lang hat er das Hamburg Ballett geleitet und zu Weltruhm geführt. Jetzt geht er. Und auch wenn es schwerfällt, es zu sagen: Das ist gut so, meint Annette Matz in ihrem Kommentar.

Von Annette Matz

Ich musste auch manchmal schlucken in den letzten Tagen, wenn so eine Vorstellung vorbei war. Wenn John Neumeier wie immer auf Platz 1/1 saß: erste Reihe, erster Sitz rechts. Wenn John Neumeier voller Freude, fast jugendlich schlendernd zum Schlussapplaus auf die Bühne kam. Die Liebe zu seiner Compagnie bis in die 20. Reihe schwappte und ich jedes Mal dachte: Der ist 85. Wenn eine Besucherin mit Tränen in den Augen erzählt, sie habe 50 Jahre lang seine Ballett-Werkstätten angesehen.

Neumeier rührt Menschen zu Tränen

Und jetzt? Wer einmal ein Ballett von John Neumeier gesehen hat, der spürt, wie sehr dieser Mann menschliche Abgründe durchdringt. Die Zweifel, die Sehnsucht, die Liebe. Alles kann er sagen. Ohne Worte. Nur mit Bewegung. Immer wieder neu. Auch nach über 170 Balletten. Als Neumeier sein Buch zum 50. Jubiläum in der Buchhandlung Felix Jud signierte, stand eine Frau mit zwei Exemplaren in der Schlange. Eines war für ihren Mann, der regelmäßig weint, wenn er ein Neumeier-Stück sieht. So berührt ist er jedes Mal, hat sie erzählt.

Demis Volpis' Programm wird funktionieren

Ja, der neue Ballettintendant Demis Volpi tritt in große Fußstapfen. Das sagen immer alle. Dabei will er gar nicht reintreten. "Ich bin ein anderer Künstler" - hat er mir in einem Interview gesagt. Da war die Nachricht, dass er Neumeier-Nachfolger wird, noch ziemlich frisch. Und natürlich hat auch er sich manchmal gedacht: "Was mache ich da eigentlich?!" Mit der Vorstellung seines Programmes für seine erste Spielzeit war für mich - und ich glaube und hoffe auch für das Hamburger Publikum - klar: Es wird funktionieren. Demis Volpi hat klug geplant. Seine Spielzeit mit "Prolog" - also Anfang, Vorwort, Auftakt - überschrieben. Behutsam. Im Spielplan viele Neumeier-Ballette. Auch zur Moderation der Nijinsky Gala 2025, der 50. dann, hat der neue Chef den alten eingeladen.

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne

Demis Volpi ist 38. Er wird die Staatsoper öffnen, ist ein Teamplayer, braucht seine Leute, hat als Intendant natürlich Mammut-Aufgaben, nicht nur die Vorstellungen, die wir sehen, gehören dazu. Aber mit ihm werden neue Tanzsprachen am Haus zu sehen sein. Und seine eigene natürlich. Das Hamburg Ballett wird Pina Bausch einstudieren und William Forsythe kommt. Es wird geteilte Abende geben. Mit drei oder vier unterschiedlichen Stücken. An anderen Häusern schon längst Standard. John Neumeiers Wirken ist eh in die Tanzgeschichte eingeschrieben. Und jetzt wohnt einfach mal allem Anfang ein Zauber inne. Willkommen, Demis Volpi.

Dieses Thema im Programm:
NDR 90,3 | Kulturjournal | 15.07.2024 | 13:40 Uhr