
Hamburg Mehrheit der Jugendlichen gegen Wehrpflicht
Die Sicherheit in Deutschland ist durch den Krieg in der Ukraine und den in Zweifel gezogenen Schutz durch die USA gefährdet. Das merkten auch viele junge Menschen, sodass sie ihre Haltung verändert hätten, sagt Jugendforscher Simon Schnetzer. Wir haben auch mit Schülerinnen und Schülern in Lübeck darüber gesprochen.
Seit 2020 beschäftigt sich die Studie "Jugend in Deutschland" jedes Jahr damit, was Jugendliche bewegt. Vergangenes Jahr wurde deutlich, wie stark belastet sich die junge Generation durch die Krisen unserer Zeit fühlt. Zuletzt ist die Diskussion über ein Thema entbrannt, das gerade junge Menschen stark betrifft: die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eine anders geartete Stärkung der Bundeswehr und des Zivilschutzes.
Stimmungslage bei jungen Menschen hat sich geändert
Schon zu Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor drei Jahren war das Thema aufgekommen. Damals sei die Stimmungslage innerhalb der Jugend allerdings anders gewesen als heute, berichtet der Leiter der Studie, Simon Schnetzer, im Gespräch mit NDR Info: "Junge Menschen sind aus der Corona-Pandemie rausgegangen, wo sie weggesperrt waren und das Gefühl hatten, sie durften ihr Leben nicht leben, man hat ihnen ihre Jugend genommen." Über eine Wehrpflicht zu sprechen, habe bei den Jugendlichen die Reaktion hervorgerufen: "Und jetzt wollt ihr uns zusätzlich noch ein Jahr klauen, in dem wir noch mal auf das verzichten müssen, was wir selbst tun wollen." Mittlerweile wären junge Menschen eher bereit.

Was treibt junge Menschen um und wie können sie mit den Krisen unserer Zeit klarkommen? Dem geht Jugendforscher Simon Schnetzer in seinen Studien nach.
Debatte unter Lübecker Oberstufenschülerinnen und -schülern
Doch immer noch ist eine Mehrheit derer, die womöglich als erste wieder zur Musterung müssten, gegen eine Wehrpflicht. Das hat zumindest eine kleines Abstimmung unter rund 80 Oberstufenschülerinnen und -schülern an der Ernestinenschule in Lübeck ergeben, die sich für NDR Info buchstäblich auf dem Schulhof positionieren sollten. Einer der wenigen Wehrpflicht-Befürworter gibt aber zu bedenken: "Wenn man es nicht verpflichtend macht, wer macht es dann?" Einem anderen Jungen geht es um die Werte: "Wir haben in Deutschland dieses doch ausgesprochen bewundernswerte System, dass wir freie Wahlen haben, eine funktionierende Demokratie. Das ist etwas, was sich lohnt zu verteidigen." Und ein Mitschüler stellt klar: "Wenn ich zur Waffe greifen würde, dann würde ich nicht für Deutschland kämpfen, sondern für meine Familie, meine Freunde und jeden, den ich beschützen will." Eine Mitschülerin hält dagegen: "Dieser Mensch, der vor dir steht, der hat auch eine Familie und vielleicht auch seine Freunde. Und der hat auch sein Leben." Auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren, sei moralisch bedenklich, meint ein anderer Gegner des Wehrdienstes. Die Debatte zeigt auch, dass vergleichsweise mehr Schülerinnen und Schüler ein Pflichtjahr beispielsweise im sozialen Bereich gut finden würden.

"Team Ja zur Wehrpflicht" oder "Team Nein" - die Oberstufenschülerinnen und -schüler in Lübeck müssen sich positionieren.
In Gesprächen zeigen Jugendliche Verständnis für Brisanz der Lage
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Jugendforscher Schnetzer: Das generelle Engagement für einen freiwilligen Wehrdienst habe in den letzten Jahren nicht unbedingt zugenommen: "Das bleibt bei um die zwei Prozent. Auch die Zustimmung für einen verpflichtenden Wehrdienst ist nicht besonders hoch: nur etwa jede und jeder Achte würde das unterstützen. Und bei den unter 18-Jährigen sind es sogar noch weniger", sagt Schnetzer.
Nach persönlichen Gesprächen würde sich die Haltung aber oft ändern. Aus seinen sogenannten Zukunfts-Workshops wisse er, dass die jungen Menschen die aktuelle Brisanz der Lage erkennen und sagen würden: "Wenn ich dem Land dienen soll, dann finde ich das eigentlich auch okay. Ich habe eine Präferenz, das im Zivilen oder Sozialen zu tun, wäre aber auch einverstanden damit, den Dienst an der Waffe zu leisten." Das gelte im Übrigen nicht nur für die Männer, sondern auch für Frauen. Die Akzeptanz für ein Allgemeines Pflichtjahr sei deutlich höher. Das würden um die 35 Prozent der jungen Menschen befürworten. Sie würden im Sinne der Fairness eine Lösung bevorzugen, dass nicht nur die jungen, sondern ältere Altersgruppen genauso in die Pflicht genommen werden, hier einen Beitrag zu leisten.
Allgemeines Pflichtjahr als Chance begreifen
Als ehemaliger Zivildienstleistender berichtet Schnetzer, wie sehr ihm dieses Jahr zwischen Schule und dem nächsten Schritt geholfen habe, Erfahrungen auch in der Arbeitswelt zu sammeln und sich damit besser zu orientieren. In seinen Workshops merke er, dass junge Menschen das offensichtlich ebenfalls zunehmend als Chance sehen würden, sich persönlich weiterzuentwickeln.
Für Akzeptanz bei Jugend: Bundeswehr braucht Veränderung
Durch seine Workshops und Gespräche hat Schnetzer eine veränderte Denkweise bei jungen Menschen festgestellt. Für ihn steht damit fest, dass dieses bei einer eventuellen Wiedereinführung der Wehrpflicht auch in der Bundeswehrführung berücksichtigt werden muss. Bundeswehr könne nicht mehr so funktionieren wie vor 30 oder 40 Jahren. Die Frage sei nicht, ob der Weck-Appell morgens um 6 Uhr attraktiv ist, sondern dass vermittelt werde, dass so eine Übung in der Früh wichtig sei, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Damit würde man eine andere Akzeptanz und Motivation erzielen, als wenn man nur sage: Wir machen das so! "Diese Art von Veränderung, das Sinnstiftende, das Relevante herauszuarbeiten und auch zu vermitteln, das ist eine Veränderung, die die Bundeswehr braucht, um junge Menschen als überzeugte Rekruten zu gewinnen", meint Schnetzer.
Wehrpflicht für breite gesellschaftliche Mischung bei der Bundeswehr
Die Jugendlichen mit einer modernen Bundeswehr unter modernisierter, motivierender Führung zu überzeugen, das könne helfen, meint der Jugendforscher. Für ihn spreche ein wichtiger Aspekt für eine verpflichtende Zeit bei der Bundeswehr: Dann hätte man eine breite Mischung von Menschen, die sich hier engagieren wollen und nicht nur politisch Extreme. Er habe sich nämlich angeschaut, wer die Menschen seien, die freiwillig zur Bundeswehr gehen würden: "Bei einer sehr kleinen Fallzahl gab es aber dennoch einen sehr klaren Überhang von Menschen, die AfD-Sympathisanten sind, die sich für die Bundeswehr interessieren." Als positives Gegenbeispiel nennt Schnetzer die Schweiz. "Dort ist die Akzeptanz sehr hoch. Es kommen der Bäcker, der Manager, die Pflegekraft zusammen, um Jahr für Jahr ihre Wehrübungen zu machen. Auch in Deutschland bräuchten wir eine breite gesellschaftliche Aufstellung eines künftigen modernen Heeres."
Dieses Thema im Programm:
NDR Info | NDR Info | 26.03.2025 | 15:00 Uhr