Mitglieder der Partei Freie Wähler stehen in Hamburg an einem Wahlkampf-Stand.

Hamburg Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorpommern Neuwahl schon im Februar: "Das ist ein riesiger Kraftakt"

Stand: 13.11.2024 10:15 Uhr

Nach dem Ampel-Aus wird die nächste Bundestagswahl voraussichtlich am 23. Februar 2025 stattfinden - knapp sieben Monate früher als geplant. Gerade kleinere Parteien stehen nun vor großen organisatorischen Herausforderungen. Die Vorbereitungen im Norden sind schon im vollen Gange.

Von Anna-Lou Beckmann, Anina Pommerenke und Marc-Oliver Rehrmann

"Das wird ein riesiger Kraftakt", sagt Niclas Rauch von der Partei Volt in Schleswig-Holstein. Der 25-Jährige ist seit knapp sechs Jahren Partei-Mitglied. Dabei hat das Ampel-Aus vor einer Woche ihn und die Partei nicht einmal kalt erwischt. "Wir haben das Szenario Neuwahlen schon in den letzten Monaten für realistisch gehalten und dementsprechend auch alternative Pläne gemacht", erzählt Rauch. "Das Ende der Koalition war zwar in der Deutlichkeit überraschend. Dass es so weit kommt, war für uns weniger überraschend."

Ganz neue Zeitpläne für den Vorlauf

Trotz der Vorahnungen: Der Zeitplan ist nun ordentlich durcheinandergewirbelt. Eigentlich wollte der Landesverband von Volt seine Kandidierenden für Schleswig-Holstein erst im Januar aufstellen. Dies soll nun schon bis Anfang Dezember geschehen. Zunächst muss der passende Raum für die Versammlung gefunden werden. Das sei nicht ganz einfach. "Zumal die Zahl der Mitglieder seit der Europawahl im Juni landesweit stark gestiegen ist - von 100 auf jetzt mehr als 250", so der Pressesprecher der Partei für Schleswig-Holstein.

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Tausende Unterschriften müssen gesammelt werden

Und auch der Zeitraum zum Sammeln der notwendigen Unterschriften wird nun viel kürzer sein. "Wir brauchen für die Landesliste und unsere Kandidierenden in den landesweit elf Wahlkreisen insgesamt 4.200 Unterschriften", berichtet Rauch, der Student in Kiel ist. Zum Ziel gesetzt hat sich Volt sogar 6.300 Unterschriften - um auf Nummer sicher zu gehen. Sobald die Kandidierenden feststehen, soll es mit dem Sammeln losgehen - mitten in der Adventszeit. "Auf Weihnachtsmärkte werden wir eher nicht gehen, weil die Leute da entspannen und sich nicht mit Politik beschäftigen wollen", so Rauch. "Wir werden aber auf den Straßen unterwegs sein - und auch im privaten Umkreis sammeln."

Wahlplakate: "Alle anderen Parteien wollen jetzt auch drucken"

Und dann müssen auch noch die Plakate und Flyer für den Wahlkampf bestellt und gedruckt werden. "Wir bei Volt brauchen bundesweit etwa hunderttausend Plakate. Da muss man erst einmal Druckereien finden, die das stemmen können. Alle anderen Parteien wollen ja jetzt auch drucken", meint Rauch.

Er hätte sich gewünscht, dass der Termin für die Neuwahlen erst im März liegt. Zum einen, weil dann für die Vorbereitungen mehr Zeit gewesen wäre. Zum anderen hatte sich Volt von der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 2. März 2025 Rückenwind für die Bundestagswahl erhofft. "Wir haben für Hamburg das Ziel, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen und es in die Bürgerschaft zu schaffen", sagt Rauch. "Es wäre für uns hervorragend gewesen, wenn wir diesen Schwung aus Hamburg hätten mitnehmen können." Bei der Europawahl im Juni kam Volt in Hamburg auf 6,0 Prozent.

Nun geht die Bundestagswahl aber wohl bereits vor der Bürgerschaftswahl über die Bühne. "Der neue Termin im Februar ist organisatorisch eine Herausforderung, aber es ist machbar", so das Volt-Mitglied.

Freie Wähler: "Wir sind alles Ehrenamtliche"

Vor einer herausfordernden Zeit stehen auch die Freien Wähler in Hamburg. Bei ihnen laufen längst die Vorbereitungen für die Bürgerschaftswahl in knapp vier Monaten. Die Bundestagswahl kommt jetzt noch obendrauf. Die Doppelbelastung wird enorm sein - gerade für so einen kleinen Landesverband. "Wir sind bei den Freien Wählern in Hamburg alles Ehrenamtliche, wir haben auch keine Mitarbeiter", sagt Landesgeschäftsführer Dominik Tobaben. Bislang ist die Partei weder in der Bürgerschaft noch in einer Bezirksversammlung der Hansestadt vertreten. Bei der letzten Bürgerschaftswahl im Jahr 2020 holten die Freien Wähler 0,6 Prozent der Stimmen.

"Es ist allein mit der Bürgerschaftswahl schon sehr stressig", so der Hamburger. Es gebe viel abzustimmen - mit Grafikern, Druckereien und den Kandidierenden. "Das ist allein ein ungeheurer Aufwand." Tobaben sagt, er habe jeden Tag nach dem Job noch mehrere Stunden mit der Parteiarbeit zu tun. Und für die Bundestagswahl kommen dann noch die Absprachen und Veranstaltungen mit der Bundespartei hinzu. Alles zur selben Zeit.

Mitglieder der Partei Freie Wähler stehen in Hamburg an einem Wahlkampf-Stand.

Dominik Tobaben (links) von den Freien Wählern bereitet sich mit Parteifreunden auf einen stressigen Wahlkampf vor.

Das Programm für die Bundestagswahl werde gerade von der Bundespartei erstellt, so Tobaben. Die Zeit drängt. Denn die Plakate müssen entworfen und bestellt werden. Und auch eine Druckerei für Bundestagswahl-Plakate müsse noch gefunden werden. "Vielleicht drucken wir einfach etwas weniger als geplant für die Bürgerschaftswahl, um stattdessen auf jeden Fall Plakate für die Bundestagswahl drucken zu können", so Tobaben. Immerhin: Die Freien Wähler müssen keine Unterschriften sammeln, weil die Partei in zwei Landtagen vertreten ist und sie somit nach dem Bundeswahlgesetz als "etablierte Partei" gelten.

Im Bundeswahlgesetz wird unterschieden zwischen "etablierten" und "nicht-etablierten" Parteien. Als etablierte Parteien gelten diejenigen, die entweder im Bundestag oder in einem Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind. Demnach gelten beispielsweise auch die Freien Wähler als etablierte Partei, da sie in Bayern und in Rheinland-Pfalz im Landtag sitzen. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gilt als "etablierte Partei" - obwohl die Partei erst Anfang 2024 gegründet wurde.

Etablierte Parteien sind "automatisch" zu einer Bundestagswahl zugelassen. Sie müssen sich nur um die Aufstellung der Direktkandidat*innen in den Wahlkreisen und um die Landeslisten kümmern. Diese Angaben müssen in der Regel bis zum 69. Tag vor einer Bundestagswahl eingereicht werden. Nicht-etablierte Parteien hingegen müssen sich zunächst für eine Bundestagswahl anmelden. Dies muss bis spätestens am 97. Tag vor der Wahl geschehen. Solange die Bundestagswahl für den 28. September 2025 geplant war, sollte dieser Stichtag der 23. Juni 2025 sein.

Ja, das ist möglich. Im Bundeswahlgesetz steht in Paragraf 52 Absatz 3: Per Rechtsverordnung kann das Bundesinnenministerium die Fristen verkürzen. Aktuell wäre also Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zuständig. Bei der letzten vorgezogenen Neuwahl 2005 wurden die Fristen wie folgt angepasst: Die Frist für kleinere Parteien, die bei der Bundestagswahl teilnehmen wollen, wurde von 97 Tage auf 47 Tage vor der Wahl verkürzt. Die Frist für die Aufstellung von Listen und Kandidaten von 69 Tage auf 35 Tage.

Für die Zulassung zu einer Bundestagswahl müssen nicht-etablierte Parteien noch keine Unterschriften sammeln. Dafür reicht unter anderem ein Partei-Name und ein Programm. Erst für die Aufstellung der Kandidaten sind sogenannte Unterstützungsunterschriften erforderlich. Das soll sicherstellen, dass jede Partei über eine gewisse Unterstützung in der Bevölkerung verfügt. In jedem Bundesland, in dem eine nicht-etablierte Partei mit eigener Landesliste antreten will, benötigt sie die Unterschriften von 0,1 Prozent der Wahlberechtigten oder von 2.000 Wahlberechtigten - je nachdem, welche Zahl niedriger ist. Für Norddeutschland gelten demnach folgende Vorgaben: In Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind 2.000 Unterschriften nötig, in Hamburg nur 1.299 und in Mecklenburg-Vorpommern 1.315.

Ja, auch für die Direktkandidaten und -kandidatinnen in den Wahlkreisen müssen nicht-etablierte Parteien Unterschriften vorlegen. Hier reichen aber 200 Unterschriften pro Person. Einzelbewerber müssen gleichfalls 200 Unterschriften aus ihrem Wahlkreis vorweisen.

Für alle zugelassenen Parteien gilt gleichermaßen: Landeslisten und Kreiswahlvorschläge müssen in der Regel bis zum 69. Tag vor einer Bundestagswahl eingereicht werden. Zu diesem Zeitpunkt müssen also auch alle erforderlichen Unterschriften vorliegen. Bei einer vorgezogenen Neuwahl kann diese Frist verkürzt werden, dann wäre für die nicht-etablierten Parteien weniger Zeit zum Sammeln von Unterschriften. Bei der Bundestagswahl 2021 galt für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) eine Ausnahme: Der SSW wurde als Partei nationaler Minderheiten anerkannt - in diesem Fall: der dänischen Minderheit - und musste somit keine Unterstützungsunterschriften vorlegen.

Tierschutzpartei: Früher Wahltermin bringt viele Probleme

Den frühen Wahltermin am 23. Februar sieht Anja Hübner sehr kritisch. Die 35-Jährige aus Greifswald ist Landesvorsitzende der Tierschutzpartei in Mecklenburg-Vorpommern. "Wir müssen die ganze Arbeit, die wir sonst in sechs Monaten gemacht hätten, in einem Monat schaffen. Das wird sehr schwierig." Ein Wahltermin im März wäre wesentlich besser gewesen. Für die Tierschutzpartei gehe es jetzt zunächst darum, "schnellstmöglich" die Listen aufzustellen und Wahlkreis-Kandidaten zu finden. Landesweit gibt es etwa 70 Mitglieder. Bei der Bundestagswahl 2021 holte die Tierschutzpartei in Mecklenburg-Vorpommern 2,2 Prozent der Stimmen.

"Wir können uns ja nicht klonen"

"Parallel dazu müssen wir den ganzen bürokratischen Aufwand, die Vorbereitungen und das Sammeln der Unterschriften schaffen - zusätzlich zum Wahlkampf, zum Plakatieren, zur Wahlwerbung, zur Pressearbeit", sagt Hübner. Für die Landesliste müssen etwas mehr als 1.300 Unterstützungsunterschriften zusammenkommen. "Und das alles ehrenamtlich, nebenbei." Diese Kraftanstrengung habe nicht nur erhebliche Auswirkungen auf das Privatleben. "Wir werden dadurch auch in unserem Wahlkampf enorm an Möglichkeiten und Qualität einbüßen, einfach weil wir uns nicht klonen können."

Aber nicht nur um ihre eigene Partei macht sich Hübner Sorgen. "Das ist definitiv demokratiegefährdend. Mit diesen vorgezogenen Wahlen und der kurzen Zeit schließt man kleine Parteien und ihre Mitglieder von der demokratischen Teilhabe aus."

Offener Brief: "Zahl der Unterschriften muss angepasst werden "

Die Tierschutzpartei hat auch einen offenen Brief von insgesamt acht Kleinparteien unterzeichnet, der sich an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Abgeordneten des Bundestags wendet. "Übereilte Neuwahlen würden uns Kleinparteien erheblich benachteiligen", heißt es in dem Schreiben. Zu den Unterzeichnern gehören auch die Ökopartei ÖDP und die Piratenpartei. Die Parteien fordern, die Zahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften zu senken. Um bundesweit zur Wahl zugelassen zu werden, müssten sie nach den derzeitigen Regeln mehr als 27.000 Unterschriften für ihre Landeslisten sammeln. "Passen Sie die Zahl an die drastisch verkürzte Zeit an", so die Unterzeichner. Zudem werben sie dafür, dass diese Unterschriften nicht mehr auf Papier vorliegen müssen, sondern digital geleistet werden können.

Dem BSW fehlen noch Landesverbände im Norden

In einer besonderen Ausgangslage befindet sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Aktuelle Umfragen sehen das BSW für die Bundestagswahl bei fünf bis acht Prozent Zustimmung. Im Vergleich zu Volt, Tierschutzpartei und Freien Wählern ist die Partei also gar nicht so klein, aber jung. In vier Bundesländern gibt es noch gar keine Landesverbände der im Januar 2024 gegründeten Partei, darunter Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. "Wir werden noch in diesem Jahr in den vier Bundesländern einen Landesverband gründen", kündigte der stellvertretende Bundesvorsitzende Amid Rabieh im Gespräch mit NDR Info an. "Wir sind da auf der Zielgeraden." Genaue Termine wollte Rabieh nicht nennen. Er zeigt sich zuversichtlich, dass der Zeitplan eingehalten wird. "Wir haben da eine gewisse Routine, weil wir schon zwölf Landesverbände gegründet haben."

Auch sonst sei der vorgezogene Wahltermin für das BSW kein Problem, so Rabieh. Das Wahlprogramm werde gerade erarbeitet. "Das müssen wir jetzt natürlich beschleunigen. Und selbstverständlich wäre es auch für uns einfacher gewesen, wenn man da ein bisschen mehr Zeit gehabt hätte", sagt der BSW-Politiker. Aber wichtiger sei es, dass es möglichst schnell eine handlungsfähige Bundesregierung gebe. "Klar, ich persönlich hätte mir auch eine ruhige Weihnacht gewünscht." Aber daraus wird nun nichts.

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NDR Info | Aktuell | 13.11.2024 | 07:20 Uhr