Bernhard Markwitz mit seiner Tochter Annette in den 50er-Jahren.

Hamburg Vor 60 Jahren: Hamburger meldet Patent für Schwimmflügel an

Stand: 24.10.2024 00:00 Uhr

Als die lebensrettende Erfindung von Bernhard Markwitz vorgestellt wird, stößt sie zunächst auf wenig Resonanz. Heute vor 60 Jahren meldet der Hamburger Tüftler sie zum Patent an. Inzwischen sind seine Schwimmflügel weltweit etabliert.

Von Cornelius Kob

Als die Familie Markwitz Anfang der 1950er-Jahre nach Winterhude zieht, einem Hamburger Stadtteil in der Nähe der Alster, denkt niemand daran, dass der Goldfischteich im Garten des Hauses einmal ihr Leben verändern wird. 1956 fällt Annette, die dreijährige Tochter von Bernhard Markwitz, in diesen Teich. "Meine Gießkanne ist wohl ins Wasser gefallen und dann wollte ich wohl hinterher", erinnert sie sich Jahrzehnte später in der NDR Fernseh-Dokumentation "Norddeutsche Geistesblitze". Ein Alptraum für Eltern. Nur durch einen Zufall wird die Kleine noch rechtzeitig entdeckt und und von ihrem Vater in letzter Minute gerettet. "Da wäre fast alles schiefgelaufen", erklärt Bernhard Markwitz in einer DAS!-Sendung von 1996.

Ein Schwur, der Leben retten soll

Als das Erlebnis verdaut ist, schwört sich Bernhard Markwitz, alles daran zu setzen, Menschen das Schwimmenlernen zu erleichtern. "Dem Gentleman da oben habe ich aus Dankbarkeit versprochen, jedem Kleinkind das Schwimmen beizubringen", so Markwitz später. Denn der Ostpreuße aus Königsberg liebt Wasser, schwimmt und taucht gern und gut. Schon mit 17 ist er ausgebildeter Rettungsschwimmer.

Erste Versuche mit Schwimmhilfen an den Armen

Markwitz, am 3. November 1920 in Königsberg geboren, arbeitet seit 1949 für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Hamburg. 1957 beginnt er mit einer Schwimmausbildung für Drei- bis Sechsjährige, die er selbst entwickelt hat. Der Vorfall mit seiner Tochter lässt ihn über Schwimmhilfen nachdenken. Die gibt es bisher nur aus Kork. Sie werden um den Bauch gebunden und nutzen wenig, denn der Auftrieb ist gering und der Oberkörper kippt nach vorne.

Markwitz muss etwas Neues erfinden und weiß, dass es dabei auf den Drehpunkt ankommt, damit der Nichtschwimmer Oberkörper und Kopf über Wasser halten kann. Seine entscheidende Idee: Schwimmhilfen an den Armen. Er experimentiert zunächst mit den Schläuchen von Kinderrollern. Das Prinzip funktioniert, aber die Tragfähigkeit der Gummischläuche reicht nicht aus. Auf der Suche nach dem richtigen Material stößt er auf PVC. Dieser damals noch neue Kunststoff eignet sich hervorragend. Jetzt muss er nur noch dafür sorgen, dass die Schläuche nicht drücken und die Blutversorgung abschnüren, nicht scheuern und keine Luft verlieren, wenn mal ein Ventilstöpsel herausrutscht.

Ein Lottogewinn ermöglicht die Schwimmflügel

Acht Jahre lang tüftelt Markwitz an seinen Schwimmhilfen. Dann sind die Versuche mit den weiterentwickelten Schwimmflügeln in der heimischen Badewanne erfolgreich. Jetzt müssen sie patentiert und in großen Mengen produziert werden. Aber woher soll das Geld dafür kommen? Als Kaufmann hat Markwitz keine so großen Summen übrig, die für eine Produktion nötig wären. Sportartikelhersteller sind nicht nur skeptisch, der Erfinder kassiert nur Absagen. "Niemand glaubt, dass 'zwei Täten Luft' einen Menschen über Wasser halten können, schreibt das "Hamburger Abendblatt".

Aber manchmal muss man auch einfach Glück haben - und Lotto spielen. Zwar ist die Chance auf einen Hauptgewinn bekanntermaßen äußerst gering, aber genau zum richtigen Zeitpunkt gewinnt Bernhard Markwitz tatsächlich 250.000 D-Mark. Im Gegensatz zu anderen Lotto-Gewinnern verprasst er das Geld nicht, sondern investiert es in seine Schwimmflügel und erzielt mit der Gründung der Firma BEMA, abgleitet aus den Anfangsbuchstaben seines Vor- und Nachnamen, langfristig die beste Rendite, die man sich denken kann.

Eine Frau hilft einem jungen Mädchen mit Schwimmflügeln in den 70er-Jahren beim Schwimmen.

Zunächst muss Markwitz viel Werbung für seine Erfindung machen. Doch schon in den 70ern sind Schwimmflügel für viele unabdingbar.

BEMA-Schwimmflügel erstmals 1964 präsentiert

Am 13. Juni 1964 werden seine orangefarbenen BEMA-Schwimmflügel mit blauen Ventilen im Schwimmbad Ohlsdorf in Hamburg erstmals offiziell vorgestellt - von Markwitz' Kindern Annette und Rainer. Kurz darauf beginnt der Verkauf. Der Preis ist erschwinglich. Wie die DLRG Bezirk Alster dem NDR mitteilt, sind auf der Bootsaustellung in Hamburg vom 21. bis 26. Januar 1965 die BEMA-Sicherheits-Schwimmringe für 7,85 D-Mark verkauft worden.

Dass aus Ringen im Sprachgebrauch Flügel werden, begründet Markwitz später damit, dass ihn der Anblick seiner Tochter mit den aufgepusteten Schwimmhilfen an einen Engel mit Flügeln erinnert habe.

Skepsis in der Bevölkerung - Verbot in Bädern

Anfangs ist die Öffentlichkeit skeptisch, "aufblasbare Gummiwürste" werden die Flügel mitunter spöttisch genannt. Sogar in Hamburgs Schwimmbädern, für die damals die Wasserwerke verantwortlich sind, sind Markwitz' Schwimmhilfen außen vor und müssen - genauso wie etwa aufblasbare Gummitiere - noch einige Zeit draußen bleiben. Bernhard Markwitz sagt am 3. September 1970 dem "Hamburger Abendblatt": "Bisher haben sich die Wasserwerke mit mir nicht in Verbindung gesetzt. Dafür bekomme ich in jeder Woche rund 60 Anfragen, warum meine Schwimmflügel in Hamburg nicht zugelassen sind. Überall auf der Welt, von Frankreich bis zu den Fidschii-Inseln haben sie sich durchgesetzt, nur hier gibt es Schwierigkeiten."

Wie Rudolf Haugaard in einem Leserbrief dem "Abendblatt" am 11. Dezember 1970 schreibt, wurde ihm und seiner vier Jahre alten Tochter im Hallenbad in Dulsberg "vom Aufsichtspersonal die Benutzung eigener Schwimmhilfen [...], die sogar von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft empfohlen werden, verwehrt. Ich mußte einen Schwimmgürtel der Hamburger Wasserwerke für 20 Pf. pro Stunde leihen. Als Begründung [...] wurde mir gesagt, daß hygienische Gründe der Anlaß dazu seien."

Markwitz hat seine BEMA-Schwimmflügel überall dabei

Trotz dieser Widerstände widmet sich Markwitz voll und ganz der Werbung für seine Erfindung. Er hat immer Schwimmflügel dabei, um sie vorzuführen. Selbst im Urlaub mit seiner Familie stattet er die Mitreisenden am Pool und am Strand damit aus. Jeder soll sie ausprobieren und sich davon überzeugen, dass die Schwimmflügel sogar Erwachsene über Wasser halten können.

Die am 24. Oktober 1964 zum Patent angemeldete Erfindung erhält nach drei Jahren die entsprechende Urkunde für einen "aufblasbaren Oberarm-Schwimmring", der "unverrückbar fest am Arm sitzt".

Aus Hamburg in alle Welt

Markwitz' Hartnäckigkeit hat Erfolg - die Schwimmhilfe aus Hamburg tritt ihren Siegeszug um die Welt an. Rund 150 Millionen Stück verkauft der Erfinder allein bis Mitte der 1990er-Jahre. Kein Wunder, dass er sich schon bald mit Plagiaten herumärgern muss, die vor allem in den USA den Markt überschwemmen. Aber die Originale sind stets ein Stück voraus. Denn im Laufe der Zeit werden immer wieder Verbesserungen und auch weitere Schwimm- und Schwimmlernhilfen eingeführt. Heute ist das deutsche Wort "Schwimmflügel" in der Welt so bekannt wie "Autobahn" oder "Kindergarten".

Ein Kind schwimmt mit Schwimmflügeln im Wasser.

Zunächst wurde der Schwimmflügel belächelt, heute ist er in aller Welt ein Begriff.

"Schwimmflügel sind große Erfindung"

1996 sagt Markwitz dem NDR, dass er sich eigentlich nicht als Erfinder fühle, sondern "mehr als Beschützer, als Lebensretter". Bernhard Markwitz, der 1982 das Bundesverdienstkreuz bekommen hat, stirbt am 10. Februar 2000 nach einer Herzoperation. "Da habe ich eigentlich erst richtig mitgekriegt, was für eine große Entwicklung das mit den Schwimmflügeln gewesen ist. Vorher war es für mich der normale Alltag, wir sind damit groß geworden", sagt Tochter Annette 2020 dem NDR.

Im Jahr 2000 übernimmt das Hamburger Unternehmen Wehncke Freizeit die Firma BEMA. Bis 2002 bleibt Markwitz' Ehefrau Gisela Geschäftsführerin. Dann werden die Lizenzen an das Unternehmen Friedola verkauft. Nach dessen Insolvenz übernimmt 2016 der Spielwarenhändler Happy People aus Bremen die Markenrechte. Bis heute stehen die von Bernhard Markwitz entwickelten Schwimmflügel für Sicherheit im Wasser.

Unverzichtbar: Schwimmen lernen

Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) betont, wie wichtig es sei, schwimmen zu lernen. Sie setzt im Schwimmunterricht auf Gurte und "Nudeln". Schwimmflügel seien im Wassser zwar nützlich, aber beim Schwimmenlernen eher hinderlich, weil die Arme in der Bewegung eingeschränkt werden. Die Flügel seien ein Auftriebsmittel, das dazu diene, um nicht unterzugehen. Eine absolute Sicherheit könne aber keines der Produkte auf dem Markt bieten. Deshalb sei es unverzichtbar, dass stets eine Aufsichtsperson anwesend sei.

Bernhard Markwitz - Lebensdaten kompakt



3. November 1920: Bernhard Markwitz wird in Königsberg geboren
1948: Nach englischer Kriegsgefangenschaft kommt Markwitz nach Hamburg.
1953: Tochter Annette wird geboren.
1956: Annette entgeht nur knapp dem Tod durch Ertrinken, Markwitz entwickelt seine erste Idee für eine Schwimmhilfe.
13. Juni 1964: Erste Vorführung der BEMA "Schwimmflügel" im Schwimmbad Hamburg-Ohlsdorf
24. Oktober 1964: Anmeldung seiner Idee zum Patent
1967: Ausstellung der Patent-Urkunde
1982: Verleihung des Bundesverdienstkreuzes
10. Februar 2000: Markwitz stirbt im Alter von 80 Jahren.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Unsere Geschichte | 19.11.2022 | 12:00 Uhr