Mehrere Menschen sitzen an Webstühlen der Weberei Hamburg in einem Gebäude im Senegal.

Hamburg Wie ein Hamburger Webstuhl bei der Bekämpfung von Fluchtursachen hilft

Stand: 09.11.2024 10:00 Uhr

Die Migration ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Viele Experten und Politiker wollen deswegen die Ursachen für Flucht bekämpfen. Dafür muss die Situation der Menschen vor Ort verbessert werden. Die Reihe NDR Info Perspektiven berichtet über eine kleine Firma aus Hamburg, der es um Hilfe zur Selbsthilfe geht.

Von Anina Laura Pommerenke

Die Weberei Hamburg im Stadtteil St. Pauli: An den Wänden hängen lange Baumwollschals und handgewebte Teppiche. In einem Regal ist Webgarn in bunten Farben fein säuberlich aufgereiht. Andreas Möller sitzt an seinem Webstuhl. Mit der rechten Hand zieht er an einer Konstruktion aus Pappe und Paketschnur, die das Schiffchen des Webstuhls hin und her schießen lässt - quer zu den gespannten Fäden auf dem Webstuhl. Dazu bewegt er routiniert mit den Füßen abwechselnd die verschiedenen Pedale. So öffnen sich die auf den Webstuhl gespannten Fäden. Mit der linken Hand bewegt er eine Holzlatte - den Webkamm - vor und zurück und schlägt auf diese Weise den eben eingewebten Faden an. So entsteht der Stoff. 

Möller kennt sich aus, schließlich hat er den Webstuhl selbst gebaut. Als Material verwendet der Handwerker "das billigste Holz, was ich finde. Dachlatten zum Beispiel oder Schalbretter." Mit ein bisschen Werkzeug, einigen Schrauben und viel Genauigkeit beim Zusammenbau wird schließlich ein Webstuhl daraus.

Jahrelange Tüftelei führt zum "perfekten" Webstuhl

Der sogenannte Flying8-Webstuhl ist viel kleiner und platzsparender als herkömmliche Modelle. Außerdem ist er auch deutlich leichter. Möller hatte über Jahre getüftelt - und doch kam am Ende ein Zufallsprodukt zustande. Er wollte vor allem einen Webstuhl haben, mit dem er schneller arbeiten kann und der schonender für den Körper ist. Ergonomisch sollte er sein und auch leiser als andere Webstühle es sind, damit das Gehör auf die Dauer nicht belastet wird. 

Ein Webstuhl in der Weberei Hamburg.

Der "Flying8"-Webstuhl war am Anfang mehr ein Zufallsprodukt.

Mit der Zeit habe er dann "den Respekt vor dem ehemals heiligen Gerät komplett abgebaut und gemerkt, dass es eben nur ein paar Hölzer sind". Möller sägte seinen Webstuhl für den Transport sogar durch und merkte, wie praktisch das war. Das Ergebnis nach dem erneuten Zusammenschrauben blieb immer das Gleiche: "Man kann eben schönen Stoff mit dem Webstuhl herstellen."

Andreas Möller gibt vor Ort wichtige Tipps

Die Bauanleitung kann man für 145 Euro im Internet kaufen. Und mit den einfachen Materialien, die in vielen Ländern verfügbar sind, lässt sich der Webstuhl dann in nur wenigen Tagen für etwa 300 Euro zusammenbauen.

Andreas Möller sitzt an einem Webstuhl in der Weberei Hamburg.

Andreas Möller tüftelte jahrelang am Bau des Webstuhls - nun ist er Teil der Entwicklungshilfe in Afrika.

Über Presseberichte wurden Möllers Konstruktionen vor rund 20 Jahren immer bekannter - bis auch Organisationen aus der Entwicklungszusammenarbeit auf ihn aufmerksam wurden. Seitdem bringt der Handwerker aus Hamburg regelmäßig an verschiedensten Orten der Welt Menschen bei, den Webstuhl zu bauen und damit zu arbeiten. Er war bereits in Äthiopien, Ost-Indien, Ghana oder Peru - unter anderem für die Vereinten Nationen.

Schrecken der Regenzeit wird kleiner

Erst durch die vielen Begegnungen sei ihm klar geworden, welchen Einfluss sein Webstuhl haben kann, erzählt er im Gespräch mit NDR Info. So hätten Menschen in Sierra Leone etwa einen improvisierten Webstuhl auf der Straße vor ihrem Haus gehabt - mit 20 Meter langen Fäden, die sie zwischen zwei Holzpflöcke spannten. Als Möller ihnen seinen Webstuhl, der nur drei Quadratmeter Platz braucht, präsentierte, freuten sie sich: "Endlich können wir auch in der Regenzeit in unseren Häusern weben." Möller verhalf ihnen also dazu, deutlich mehr Zeit im Jahr produzieren zu können.

"Menschen bekommen eine Perspektive in ihrem Land"

Seit zwei Jahren arbeitet Möller auch mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zusammen. Im Rahmen des Projekts "Invest for Jobs" hat er schon mehrere Workshops für Weber in Afrika gegeben.

Allein im Senegal arbeiten den Angaben zufolge etwa 7.000 Menschen in der Textilbranche. Ihre Situation könnte sich durch den Webstuhl mit den Hamburger Wurzeln deutlich verbessern, so Projektleiter Stephan Kunz mit Blick auf das Thema Migration: "Es geht hier letztlich darum, dass wir den Leuten eine Perspektive in ihrem Land bieten. Durch angepasste Maßnahmen wie diese bringen wir die Leute in Lohn und Brot - und wir verbessern ihre sozioökonomische Situation." Das Feedback der Menschen sei positiv: Die Arbeit mit dem Webstuhl sei schneller und deutlich effizienter. Laut Kunz können Teilnehmende nach dem Workshops mit dem Hamburger Weber Andreas Möller im Schnitt 25 Prozent mehr Einkommen generieren.

Weber Esmael Jemal: "Eine große Chance in meinem Leben"

Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderte Projekt läuft auch in Ghana und Äthiopien. Dort hat der Hamburger Webstuhl auch das Leben von Esmael Jemal aus Bahir Dar positiv verändert, wie er berichtet: "Viele junge Menschen in Afrika haben keinen Job, sie müssen sich von Tag zu Tag durchschlagen. Wenn sie solche Sachen beigebracht bekommen, können sie selbst etwas für ein besseres Leben tun."

Aufbau von Webstühlen der Weberei Hamburg in einem Gebäude im Senegal.

Esmael Jemal aus Bahir Dar in Äthiopien verdient mittlerweile Geld damit, Webstühle zu bauen und anderen die Technik beizubringen.

Jemal ist dankbar für den Job am Webstuhl. Mehr Geld als mit der Weberei an sich verdiene er mittlerweile aber damit, anderen die Technik beizubringen und die Webstühle zu bauen: "Es ist eine große Chance in meinem Leben. In unserem Land und hier in der Stadt gibt es viele Weber. Es ist also nicht nur gut für mich, sondern auch für viele Weber hier in der Gegend."  

Nachbau möglich - Möller meldet kein Patent an

Weber Andreas Möller aus Hamburg hat die Hoffnung, dass er auch in Zukunft mit seinen Kursen Webern in Afrika dabei helfen kann, besser von ihrem Handwerk zu leben: "Die Menschen produzieren ihren eigenen Webstuhl und lernen ihn so von A bis Z kennen."

Ein Patent hat er auf seine Erfindung nicht angemeldet, sodass theoretisch jeder und jede den Webstuhl nachbauen kann. "Das ist außergewöhnlich, ein sehr sozialer Akt", betont GIZ-Projektleiter Stephan Kunz.