Polizeieinsatz bei Eritrea-Festival 2023 in Gießen

Hessen Ausschreitungen bei Eritrea-Festival in Gießen: Mann erhält Bewährungsstrafe

Stand: 26.07.2024 18:22 Uhr

Der erste Prozess um Ausschreitungen am Rande des Eritrea-Festivals vor einem Jahr in Gießen ist vor dem Amtsgericht mit einer Bewährungsstrafe für den Angeklagten zu Ende gegangen. Er hatte sich vor Gericht entschuldigt.

Ein 24 Jahre alter Mann ist am Freitagnachmittag vom Amtsgericht Gießen zu einem Jahr und drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.

Das Gericht hat in dem Verhalten des Mannes am 8. Juli 2023 in Gießen bei einer Demonstration gegen eine Veranstaltung einen Fall von besonders schwerem Landfriedensbruch und einen gemeinschaftlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte erkannt.

Der Mann, der in der Schweiz lebt, protestierte mit einer großen Gruppe von Menschen gegen das Eritrea-Festival in Gießen, das in den Hessenhallen auf dem Messegelände stattfand. Für die Opposition innerhalb der eritreischen Diaspora gilt das Eritrea-Festival als Propaganda-Veranstaltung, die das Regime in ihrem Heimatland stützt.

Auf Polizeiautos geklettert

Das Gericht sah es laut Urteil als erwiesen an, dass der 24-Jährige auf zwei Polizeiautos geklettert ist, um eine Straßensperre zu überwinden – und er als Teil einer Gruppe von rund 50 Personen innerhalb der Demonstranten damit in Kauf genommen hat, Polizisten zu verletzten.

Eine direkte Tatbeteiligung wie etwa Flaschen- oder Steinwürfe konnte ihm hingegen nicht nachgewiesen werden. An einem der Fahrzeuge soll laut Staatsanwaltschaft ein Schaden von rund 20.000 Euro entstanden sein.

Zu Beginn des Prozesses Ende Juni hatte der Verurteilte eingeräumt, auf die Autos geklettert zu sein. An weiteren Aktionen beteiligte er sich laut Aussage nicht.

Flaschen und Steine flogen Richtung Polizei

Knapp 1.000 Kräfte der Polizei aus mehreren Bundesländern sollten am 8. Juli 2023 verhindern, dass die Situation um die zweitägige Veranstaltung in den Hessenhallen eskaliert. Die Stadt Gießen hatte versucht, die Veranstaltung zu verbieten, war damit aber vor Gericht gescheitert. Bereits 2022 hatte es bei einer vergleichbaren Veranstaltung Ausschreitungen gegeben.

Die Polizei hatte erste Demonstranten bereits auf dem Weg in die Stadt abgefangen. Schon in den Morgenstunden waren zahlreiche Menschen wegen der Demonstration gegen das Festival in Gießen unterwegs. An der Konrad-Adenauer-Brücke hatte die Polizei seit dem Vormittag mit mehreren Polizeiwagen eine Absperrung errichtet, um mutmaßlich gewaltbereite Demonstranten daran zu hindern, zum Messegelände zu gelangen.

Mehrere Personen versuchten, die Absperrung zu durchbrechen, Flaschen, Steine und Holzlatten flogen in Richtung Polizei, die Beamten setzten Schlagstöcke und Pfefferspray ein. 16 Polizisten wurden an dieser Stelle verletzt, zehn weitere an anderer Stelle im Laufe des Einsatzes. Der nun verurteilte 24-Jährige war an den Aktionen an der Konrad-Adenauer-Brücke beteiligt und dort festgenommen worden.

Gut integriert mit Pflegefamilie in der Schweiz

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Mann im Prozess eine Nähe zur mutmaßlich gewaltbereiten Gruppe "Brigade Nhamedu" unterstellt und zwei Jahre plus sechs Monate Haft ohne Bewährung als Strafe gefordert. Die Verteidigung hatte eine Geldstrafe gefordert, die mit der monatelangen U-Haft verrechnet werden sollte.

Der Verurteilte war als Jugendlicher aus Eritrea geflüchtet, nach eigenen Angaben wegen des Militärs. Seit mehreren Jahren lebt er in der Schweiz, zunächst bei einer Pflegefamilie, inzwischen allein. Er hat eine Lehre abgeschlossen und arbeitet als Reifenpraktiker. Seine Sozialarbeiterin bezeichnete ihn im Prozess als friedfertig und gut integriert. Seine ehemaligen Pflegeeltern mit ihren zwei Kindern war an allen drei Prozesstagen im Gericht in Gießen.

Der 24-Jährige entschuldigte sich vor Gericht in seinem Abschlussstatement für seine Taten. Zum Hintergrund seines Verhaltens erklärte er, dass seine Familie und Freunde in Eritrea sterben und leiden, das bedeute für ihn einen tiefen Schmerz. Er wolle auf die Missstände aufmerksam machen. In der Schweiz in Frieden zu leben, bezeichnete er als Privileg.

Viele Verfahren zum Eritrea-Festival

Der nun mit dem Urteil abgeschlossene Prozess vor dem Amtsgericht Gießen ist der erste von zahlreichen Prozessen, nach Angaben der Behördenlaufen rund 650 Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit dem Eritrea-Festival 2023. Bislang gibt es rund 50 Anklagen. Die Staatsanwaltschaft spricht von einer "erheblichen Mehrbelastung".

Ein-Parteien-Diktatur in Eritrea

Eritrea mit seinen rund drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer jahrzehntelang erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur. Die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.