Hessen Deichkind-Konzert in der Festhalle: "Gude Frankfurt! Wir haben Euch vermisst"
Die Zuschauer in den Bann ziehen, eins mit dem Publikum werden - das wollen alle Bands. Deichkind nimmt es wörtlich: Bei der "Kids in meinem Alter"-Tour verschmelzen am Montagabend in der Frankfurter Festhalle Band, Bühne und Publikum zu einer wahnsinnigen Performance.
Schon der Start der Deichkind-Show an diesem Montagabend in der Frankfurter Festhalle ist aufgeregt verspielt: Dröhnende, tiefe Synthie-Klänge kündigen die Band an, werden intensiver und vibrierender. Auf der Bühne ein großer, weißer Vorhang, hinter dem im Takt wilde Figuren und Formen wie in einem Schattenspiel stroboskopartig aufblitzen.
Dann fällt der Vorhang und die Mitglieder von Deichkind präsentieren sich auf der Bühne. Ihre Outfits sind eins mit dem Bühnenhintergrund: 90er-Jahre-Pastell-Tapeten-Style. Dann performen sie, aus den Synthie-Sounds kommend, ihren Titel "99 Bierkanister."
"Achtung, alle Hände hoch!", heißt es. Das Publikum folgt der Aufforderung, niemanden hält es auf den Sitzen, der Boden vibriert im Takt. Trotz winterlich-kaltem Adventsmontag: Das Publikum ist schnell aufgetaut, Euphorie statt Winterblues ist das Motto in der Halle. Es ist ja womöglich auch die letzte Deichkind-Hallen-Tour - das zumindest hatte die Band im November angekündigt.
Was ist Freestyle, was ist geplant?
"Gude Frankfurt! Wir haben Euch vermisst", verkündet Gründungsmitglied Kryptik Joe dann von der Bühne. Es folgt ein wenig "Hessisch Gebabbel" mit dem Publikum, dann gleitet er in den nächsten Song mit Rap-Part über.
Band und Bühne werden eins - und das Publikum folgt.
Überhaupt passt an diesem Abend vieles bei Deichkind: Zwischen vielen Songs gibt es keine Brüche, die Bandmitglieder kommen vom Rappen ins Erzählen. Dazwischen ein "Frankfurt" hier, ein "069" da - und nicht immer ist klar: Was ist Freestyle, was ist geplant?
Es ist ein Verwirrspiel mit Texten, das sich in den Outfits und auf der Bühne wiederfindet: Zum Titel "Bon Voyage" etwa ist sie wie in ein Jackson-Pollock-Gemälde eingefärbt: Bunte und wirre Farbspritzer bestimmten den Hintergrund, aber auch die Anzüge der Band, der Tänzer*innen und von allen Objekte auf der Bühne. Auch ist nicht immer klar, wer gerade singt.
Gesangsstunde mit dem Publikum
Und das Publikum wird Teil des Spiels. "Schaut mal um euch, wer hier noch so ist", heißt es gleich zu Beginn von der Bühne. "Ihr seid alle so verschieden und echt unterschiedlich und doch eint euch, dass ihr heute Abend hier seid."
Es folgt eine gemeinsame Gesangsstunde mit dem Publikum. Dann wünscht sich Kryptik Joe einen Moshpit - einen Kreis, in dem wild getanzt werden kann. "Frankfurt, habt ihr Energie für diesen Moshpit der Liebe?", fragt er. Frankfurt macht mit, hüpft und springt zu Klassikern wie "Leider geil" oder "Kids in meinem Alter".
Sozialkritik trifft Politik trifft Wortkunst
Bei all dem Spaß kommt Sozialkritik, verpackt in Wortkunst, nicht zu kurz: Bei "Bück dich hoch" rollt die Band auf Bürostühlen über die Bühne, passend zum satirischen Statement im Text: "Fleißig Überstunden, ganz normal / Unbezahlt, scheißegal, keine Wahl."
Performance mit (versteckter) politischer Botschaft.
Und wer genau hinsieht, kann ein weiteres politisches Statement in der Szene entdecken: Richtig angeordnet steht auf den Bürostühlen: "Fuck AfD". Zu anderen Songs wird auf einer schweinchenrosa Riesen-Luxushandtasche über die Bühne geritten oder ein Roboterarm rastet zum Takt der Musik vollkommen aus.
Ein Highlight des Abends: Deichkind nimmt einen seiner Songs wortwörtlich. In "Roll das Fass rein" wird ein überdimensioniertes Fass quer durch die Halle gezogen, und Fans und Band sind sich ganz nah.
Rund zwei Stunden Show mit Zugabe
Nach rund zwei Stunden bunter Performance geht die Show mit einer Zugabe zu Ende. Deichkind lässt sich zum Klassiker "Remmidemmi" noch einmal feiern - und bietet dabei das höchste Level sarkastischen Wahnsinns: Das Kackhaufen-Emoji lacht das Publikum als Riesenfigur von der Bühne aus an, während ein Bandmitglied sich maskiert und oberkörperfrei in einer Art überdimensioniertem Planschbecken durch das Publikum reichen lässt.
Performance im und mit dem Publikum.
Die Grenzen zwischen Publikum und Bühne, Politik und Party sind aufgehoben, der Wahnsinn ist komplett. Das Publikum ist selig.