Spielszene: Zwei Frauen in märchenhaften Gewändern schauen sich an

Hessen Deutscher Musical Theaterpreis: Brüder Grimm Festspiele Hanau schreiben Musical-Geschichte

Stand: 21.10.2024 11:16 Uhr

Das gab es noch nie beim Deutschen Musical Theater Preis: Gleich 16 Mal wurden die Brüder Grimm Festspiele nominiert. In Hanau wagen sie etwas, wovor viele anderen Bühnen in Deutschland zurückschrecken.

Von Jannika Kämmerling

"Alle, die Musicals machen, wollen nach Hanau", schwärmt Lukas Nimscheck. Der 36-Jährige durfte in diesem Sommer "Die Gänsemagd" für die Brüder Grimm Festspiele im Schlosspark komponieren und inszenieren.

Für das Stück könnten er und sein Team nun mehrfach ausgezeichnet werden: Gleich zehn Nominierungen hat seine Produktion beim Deutschen Musical Theaterpreis eingefahren, einem der wichtigsten Bühnenpreise in Deutschland und die einzige Auszeichnung für deutschsprachige Musicals. Sechs weitere gehen an das Stück "Sterntaler".

Das sei ein unglaubliches Gefühl, sagt Nimscheck und der Stolz über den Erfolg schwingt in jeder Silbe mit.  

Ein junger Mann gestikuliert im Gespräch

Lukas Nimscheck ist Regisseur, Autor und Musiker.

Grimms Märchen einmal umgekrempelt

Gemeinsam mit der Autorin Franziska Kuropka hat er das nur wenige Absätze lange Märchen der Brüder Grimm in ein fulminantes Musical übersetzt und den Stoff gekonnt ins Jahr 2024 katapultiert – eine Herausforderung, die beiden jedoch viel Spaß gemacht hat.

"Wenn ich ein Stück schreibe, gerade was Märchen betrifft, finde ich es wichtig, dass ich eine Message habe", erklärt Kuropka, die alle Texte für das Musical geschrieben hat.

Dafür wird der Märchenstoff dann auch großzügig umgestaltet. Anders als im Original der Brüder Grimm geht es in der Musical-Version der Gänsemagd beispielsweise um Freundschaft statt Rivalität zwischen Frauen. Girlpower sei viel wichtiger, als das Herz irgendeines Prinzen zu erobern, so die Theatermacher.  

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Franziska Kuropka ist für das "Beste Buch" beim Musical-Preis nominiert.

"Grimm-Märchen sind literarisch prägend"

"Wir nehmen erstmal das Grundgerüst von dem was da ist, was das Märchen erzählt", erläutert Kuropka die Vorgehensweise. "Dann überlegen wir: Was würde ich gerne mit dieser Geschichte machen?".

In "Die Gänsemagd" hat sich das Autorenduo dazu entschieden, Neid und Missgunst durch Freundschaft und Zusammenhalt von Frauen zu ersetzen. Grimms Märchen auch heute noch aufzuführen, fühlt sich für beide jedoch gut und richtig an: "Es gibt nichts literarisch Prägenderes für Deutschland als die Grimm-Märchen", meint Regisseur Nimscheck.

Publikum von 9 bis 99 Jahren

Dementsprechend hätten auch alle im Publikum sofort einen Zugang zu den Geschichten, die erzählt würden, sei es die Oma, Mutter oder Enkelin. "Wir erreichen ein Publikum wie ein Ravensburger Puzzle: von 9 bis 99 Jahren", freut sich Nimschek.

Das sei in der heutigen Theaterlandschaft mit "klugem Erwachsenentheater" und "klarem Kindertheater" keine Selbstverständlichkeit.  

Deutschlandweit einmaliger Musical-Standort

Die Besuchszahlen in diesem Jahr können sich sehen lassen: Die Brüder Grimm Festspiele lockten 2024 mehr als 80.000 Besucherinnen und Besucher ins Amphitheater nach Hanau – so viel wie zuletzt vor 18 Jahren.  

"Ich glaube, dass wir eine neue Zuschauerschicht bekommen haben", erklärt sich Intendant Frank-Lorenz Engel den enormen Erfolg in dieser Saison. Die Leute hätten langsam verinnerlicht, dass die Festspiele bei Weitem nicht nur was für Kinder seien, bei denen Schauspielerinnen und Schauspieler klamaukig über die Bühne tanzten. 

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Frank-Lorenz Engel ist seit 2013 Intendant der Brüder-Grimm-Festspiele Hanau.

Hanau für Musicalmacher ein besonderes Pflaster

Das Geheimrezept in Hanau heißt: Uraufführungen. Drei gibt es jedes Jahr, und die locken bekannte Menschen aus der Musicalbranche aus ganz Deutschland an, die auf und hinter der Bühne ihre ganz persönlichen Träume verwirklichen.

"Ich habe als jemand, der Musicals schreibt, gar nicht so viele Optionen in Deutschland", beschreibt Lukas Nimscheck seine berufliche Situation als Musical-Autor. Theater, die neue, eigene Stoffe auf die Bühne bringen, könne man leider an einer Hand abzählen. Hanau sei da wirklich ein ganz besonderes Pflaster.

Durchhaltevermögen zahlt sich aus

Vielen anderen Häusern fehle hingegen der Mut, den Weg zu gehen, den Intendant Engel gewählt hat. "Als ich vor zehn Jahren Intendant wurde, sagte man mir, man muss ein Alleinstellungsmerkmal haben. Unseres sind eben Ur-Aufführungen“, erklärt er.

Wenn man sich in der Branche durchsetzen wolle, müsse man auch mutige Themen anpacken und jungen Künstlern vertrauen. Durchhaltevermögen hat Engel mit seiner Strategie allemal bewiesen, jetzt zahle sich diese Langmut langsam aus, so der Intendant.  

Hoffnung auf mehr Anerkennung

Alle Beteiligten freuen sich deshalb sehr über jede Nominierung, die "Die Gänsemagd" und "Sterntaler" in diesem Jahr beim Deutschen Musical Theaterpreis einfahren konnten. Der Preis ist wichtig in doppelter Hinsicht.

Spielszene: Eine junge Frau im goldenen Kleid vor einer Sternen-Kulisse, im Hintergrund schlafen zwei Gestalten.

Das Stück "Sterntaler" ist in sechs Kategorien nominiert.

"Wir sind auf der einen Seite das zuschauerstärktste Genre, werden in der Wahrnehmung aber immer wie die ‚dumme kleine Schwester vom richtigen Theater‘ betrachtet", beklagt Regisseur Nimscheck die fehlende Wertschätzung für sein Genre.

Die sei auch finanziell spürbar. Obwohl die Brüder Grimm Festspiele offenbar sehr erfolgreich sind, bekommen sie nur verhältnismäßig wenig von den landesweiten Fördermitteln ab. So gingen 2024 laut Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) beispielweise 770.000 Euro an die Bad Hersfelder Festspiele, wohingegen es für die Produktionen in Hanau lediglich 77.000 Euro gab.

Nicht die 100. West Side Story

Intendant Engel hat sich damit arrangiert, verschweigt aber auch nicht, dass die Festspiele "dringend neue Ressourcen und Unterstützung brauchen".

Jetzt beim Deutscher Musical Theater Preis tatsächlich in einigen Kategorien zu gewinnen, habe hoffentlich Gewicht, so Autorin Korupka. Sie wünscht sich, dass das Land dann vielleicht erkenne, "dass der kreative Prozess, Uraufführungen in einem Sommertheater zu machen mehr wert ist, als zum hundertsten Mal West Side Story aufzuführen."