CDU-Regierungschef Boris Rhein (r.) und sein Vize Kaweh Mansoori (SPD)

Hessen Entlassungsaffäre: Rhein will mit Vorwurf gegen Messari-Becker nichts zu tun haben

Stand: 10.09.2024 00:08 Uhr

Fehlverhalten? Welches Fehlverhalten? In der Affäre um den Rauswurf von Staatsekretärin Messari-Becker lässt CDU-Regierungschef Rhein seine Staatskanzlei auf Distanz zu SPD-Minister Mansoori gehen. Aber es bleiben offene Fragen.

Von Wolfgang Türk

Boris Rhein lieferte pünktlich, besser gesagt: Er ließ liefern. Für 12 Uhr am Montag hatten die Oppositionsfraktionen von Grünen und FDP Auskunft des CDU-Ministerpräsidenten auf einen Katalog mit zehn Fragen zur umstrittenen Versetzung der Wirtschaftsstaatssekretärin Lamia Messari-Becker in den einstweiligen Ruhestand verlangt. Wie gewünscht traf die Antwort am Mittag auch ein.

Es war sein Staatskanzleichef und Parteifreund Benedikt Kuhn, den Rhein dafür vorschickte. Was Kuhn schrieb, tilgte zwar längst nicht alle Fragezeichen der Opposition hinter der undurchsichtigen Affäre. Für einen Aha-Effekt reichte es bei Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner und seinem FDP-Amtskollegen Stefan Naas allerdings schon.

Rhein lasse seinen Vize-Regierungschef und Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) "im Regen stehen", folgerten sie. Und weiter: "Die Staatskanzlei will mit dem unprofessionellen und unwürdigen Handeln nichts zu tun haben." Denn Rheins Mann Kuhn stellte klar: Die Staatskanzlei selbst habe sich den Vorwurf Mansooris, seine Ex-Staatsekretärin habe sich außerdienstlich ein "nicht hinnehmbares Fehlverhalten" zu Schulden kommen lassen, "zu keinem Zeitpunkt zu eigen gemacht".

Staatskanzlei zeigt auf Mansoori

Die von Mansoori gewünschte Ablösung Messari-Beckers sei von der schwarz-roten Landesregierung nicht wegen eines "etwaigen Fehlverhaltens" beschlossen worden, betonte Kuhn in seiner Stellungnahme. Einziger Grund sei der gewesen, den der SPD-Minister am 25. Juli auch offiziell innerhalb der Regierung genannt habe: dass ein Vertrauensverhältnis nicht mehr gegeben gewesen sei.

Drei Tage vorher, am 22. Juli, war der Rauswurf jedoch schon zur Affäre geworden. Da hatte SPD-Politiker Mansoori ihn in einer Pressemitteilung bekanntgegeben und eben nicht einfach mit fehlendem Vertrauen untermauert. Er hatten ihn vielmehr ausdrücklich mit dem Vorwurf des Fehlverhaltens verbunden - obwohl laut Beamtenrecht gar keine Begründung nötig ist.

Mit dieser Äußerung, deren Rücknahme Messari-Becker fordert und die nach Meinung der Opposition einem Rufmord gleichkommt, will sich die Staatskanzlei nun nicht in Verbindung bringen lassen. In der Antwort an Grüne und FDP heißt es mit Blick auf die Pressemitteilung Mansooris: Sie sei "in dessen alleiniger Zuständigkeit und Verantwortung" verbreitet worden.

Messari-Becker fordert Rückzieher

Was die Angelegenheit so undurchsichtig macht: Einen Beleg für seinen Vorwurf hat Mansoori bisher nicht erbracht. Er macht geltend: Mehr als bisher könne er nicht sagen, weil es um eine Personalangelegenheit und Persönlichkeitsrechte gehe. Aber er sagt auch, der Vorwurf sei dokumentiert. Der Staatskanzlei, so ist der Antwort ihres Chefs Kuhn an Grüne und FDP zu entnehmen, ist eine solche Dokumentation nicht bekannt.

Gestreut wurde in Wiesbaden, Messari-Becker habe ihren Posten als Staatssekretärin ungebührlich bei einem Elterngespräch an einer Schule ins Spiel gebracht und sei deshalb entlassen worden. Die prominente Polit-Quereinsteigerin, die der renommierte Club of Rome vor Jahren zum Mitglied machte, bestreitet das kategorisch. Viel mehr darf sie als Beamtin auf Lebenszeit öffentlich nicht sagen. Sie hat Widerspruch gegen die Entlassung eingelegt.

Die 51 Jahre alte Bau-Professorin und Expertin für nachhaltiges Bauen soll schon rasch nach ihrem Dienstbeginn im Wirtschaftsministerium im Februar vor allem mit dem ersten Staatssekretär Umut Sönmez (SPD) in Konflikte geraten sein. Er ist ein Weggefährte des Ministers seit Juso-Tagen. Keiner aus dem anfänglichen Trio an der Spitze des Ministeriums brachte Regierungserfahrung mit.

Für den Jura-Professor Thorsten Masuch ist es bereits ausgemacht, dass Mansoori die Ex-Staatssekretärin nie und nimmer hätte öffentlich bloßstellen dürfen. Die Fürsorgepflicht verbiete das prinzipiell, sagte er dem hr. Hinzu komme, dass der Vorwurf ungeklärt sei und Aussage gegen Aussage stehe.

Kommt der Untersuchungsausschuss?

Am Donnerstag soll sich der Wiesbadener Landtag mit der Sache befassen. Im Raum stehen noch immer ein Untersuchungsausschuss oder eine Klage vor dem Staatsgerichtshof auf Einsicht in Akten, wie Grüne und FDP indirekt am Montag bekräftigten. "Wir schließen hierbei weiterhin kein parlamentarisches Instrument aus", teilten die Fraktionschefs Wagner und Naas dazu mit.

Denn in mehreren Punkten habe die Staatskanzlei nicht geantwortet und auf das Wirtschaftsministerium verwiesen. Auch die Rufschädigung sei nicht vom Tisch.

Vor dem Hintergrund des Verdachts der Opposition, die Entlassung sei nicht sauber gelaufen und könnte andere Gründe haben, spielt auch ein Darmstädter Schulleiter eine Rolle. Er hatte dem Kultusministerium schriftlich über das Elterngespräch berichtet, das Messari-Becker den Job gekostet haben soll.

Mehr als eine Frage

Fragen dazu lauten: Falls der Wirtschaftsminister seiner vormaligen Staatssekretärin ein angeblich nicht hinnehmbares Auftreten in der Schule vorwarf: Was hat der Schulleiter behauptet? Auf welchem Weg gelangte der Minister an die Darstellung des Lehrers? Und wie lautet Messari-Beckers Version über den Verlauf des Gesprächs an der Schule?

Die Angaben aus der Staatskanzlei vom Montag legten den Befund nah: Den Bericht des Schulleiters hatte Mansoori nicht, als er seine Staatssekretärin feuerte - jedenfalls nicht aus der Landesregierung. Was zu einer weiteren Frage führt, welche die Grünen im Kultusaussschuss aufs Tapet brachten: Hat Mansooris Ministerbüro direkt beim Schulleiter nachgeforscht, um Belastendes gegen die Ex-Staatssekretärin zu bekommen? Wurden so mit dem Dienstweg auch die Verschwiegenheitspflicht der Schule und Persönlichkeitsrechte Messari-Beckers missachtet?

Wer hatte wann die Akte?

Hinzu kommen die Zeitabläufe: Laut Staatskanzleichef Kuhn ging der Schulleiterbericht am 5. Juli beim Kultusministerium ein. Auf diesen Tag ist das Schreiben nach hr-Informationen auch datiert. Kuhn selbst erhielt nach eigenen Angaben Informationen über eine "Diskussion im schulischen Kontext“ am 8. Juli aus dem Kultusministerium und leitete sie ans Wirtschaftsministerium weiter.

Aber erst sehr viel später, am 15. August, soll die Mitteilung des Schulleiters über das Elterngespräch auch beim Schulamt eingegangen sein, obwohl es für Schule und Schulleiter unmittelbar zuständig ist. Und dort wurde der Bau-Professorin laut Staatskanzlei erst am 26. August Einblick in die Akte gewährt

Kultusminister Armin Schwarz (CDU) hatte sich zuvor im Kultusausschuss geweigert, genauere Auskunft über die Chronologie zu geben - und damit Ärger und Misstrauen der Opposition in dieser Angelegenheit auf die Spitze getrieben. Damit, dass nach Mansoori auch Schwarz gemauert habe, hatten Grüne und FDP den Offenen Brief an Ministerpräsident Rhein begründet.

Staatskanzlei dankt

Auch eine Entschuldigung bei Messari-Becker hatten die beiden Fraktionen vom Regierungschef gefordert. Sie blieb aus.

Dafür begann Staatskanzleichef Kuhn seine Antwort an die beiden Fraktionen mit einem Dank an die rausgeworfene Expertin. Der CDU-Politiker schrieb, er wolle zunächst die Gelegenheit nutzen, "um Frau Staatssekretärin a.D. Prof. Dr. Messari-Becker noch einmal für die dem Land Hessen geleisteten Dienste zu danken". Für ihre private und berufliche Zukunft wünsche er ihr alles Gute.