Bewaffnete Polizisten geleiten die Angeklagte Malsack-Winkemann in den Gerichtssaal.

Hessen Ex-AfD-Abgeordnete beendet Mammut-Aussage im Reichsbürgerprozess in Frankfurt

Stand: 03.09.2024 18:16 Uhr

Als erste Angeklagte im Frankfurter Reichsbürgerprozess hat sich die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann zu den Vorwürfen geäußert. Ihre Aussage erstreckte sich über sechs Prozesstage. Das Wichtigste im Überblick.

Von Danijel Majić

Vielleicht ist es nicht außergewöhnlich, dass in einem Mammutprozess auch die eine oder andere Aussage ungewöhnlich viel Raum einnimmt. Im Frankfurter Hauptverfahren gegen die sogenannte Gruppe Reuß hat nun die erste Angeklagte ihre Aussage zu den Tatvorwürfen abgeschlossen.

Sechs Prozesstage lang hat die suspendierte Richterin und Ex-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann versucht, eine Gegen-Erzählung zur Anklage, die ihr Beteiligung an den Putschplänen der sogenannten Gruppe Reuß vorwirft, aufzubauen.

Wer ist Birgit Malsack-Winkemann, und was hat sie mit der AfD zu tun?

Die mittlerweile 60-jährige Birgit Malsack-Winkemann ist zwar in Darmstadt geboren, hat den größten Teil ihres Lebens jedoch in Baden-Württemberg und Berlin zugebracht. Seit 1993 war sie als Richterin im Bereich Zivilrecht in Berlin tätig - zuletzt am Landgericht Berlin-Charlottenburg.

Ihre Karriere in der Berliner Justiz wurde 2017 unterbrochen, als sie auf der Liste der AfD in den Bundestag einzog. Nach Aussage von Malsack-Winkemann sei ihren Kolleginnen und Kollegen nichts von ihrem parteipolitischen Engagement bekannt gewesen. Dieses habe umgekehrt auch keinen Einfluss auf ihre richterliche Tätigkeit gehabt.

Im Bundestag gehörte Malsack-Winkemann verschiedenen Ausschüssen an. Ihre Berufung in das Vertrauensgremium des Parlaments, wo sie unter anderem Einsicht in die vertraulichen Ausgabenpläne der Geheimdienste des Bundes gehabt hätte, wurde von einer Mehrheit des Parlaments abgelehnt.

2021 endete Malsack-Winkemanns Zeit im Bundestag, nachdem sie auf einem wenig aussichtsreichen Listenplatz der AfD gelandet war. Die AfD-Frau kehrte zunächst in den Richterdienst zurück. Die damalige Berliner Justizsenatorin versuchte daraufhin, Malsack-Winkemann wegen Zweifeln an ihrer Verfassungstreue in den Ruhestand zu versetzen. Dieser Antrag wurde jedoch vom zuständigen Richterdienstgericht abgelehnt.

Nach ihrer Festnahme allerdings wurde ein Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet, das mit der Entfernung aus dem Richterdienst und dem Verlust ihres Ruhegehalts enden könnte. Seit März 2023 ist Malsack-Winkemann vorläufig suspendiert und bezieht nur noch 50 Prozent der ihr eigentlich zustehenden Bezüge.

Was wird Malsack-Winkemann im Zusammenhang mit der Gruppe Reuß vorgeworfen?

Nach Darstellung der Anklage gehörte Malsack-Winkemann dem innersten Zirkel der sogenannten Patriotischen Union - die in Medienberichten immer wieder auch als Gruppe Reuß bezeichnet wird - an. Ziel der Vereinigung sei es gewesen, durch Gewalt die bestehende verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu beseitigen. Den Umsturz sollen die Mitglieder von Mitte 2021 bis zu ihrer Festnahme im Dezember 2022 vorbereitet haben.

Malsack-Winkemann soll dabei einer Art "Schattenregierung" unter der Führung von Heinrich XIII. Prinz Reuß angehört haben. Dieser sogenannte Rat habe nach dem Umsturz die politische Macht in Deutschland ausüben sollen. Malsack-Winkemann hätte dabei das Ressort Justiz übernehmen sollen.

Dabei sei die Gruppe nach Ansicht des Generalbundesanwalts überzeugt gewesen, dass ein technisch überlegener Geheimbund die sogenannte Allianz entweder ein Zeichen zum Losschlagen geben oder nach dem erfolgten Umsturz zu ihren Gunsten ins Geschehen eingreifen würde.

Unter anderem sei geplant gewesen, dass Mitglieder der Gruppe und ihr angeschlossener "Heimatschutzkompanien" den Bundestag in Berlin stürmen und Parlamentarier festsetzen. Anschließend hätten missliebige Politiker "bis in die Rathäuser" einer wie auch immer gearteten Säuberung anheim fallen sollen. Den Verschwörern sei dabei bewusst gewesen, dass bei der Aktion Menschen getötet werden könnten.

Malsack-Winkemann wird in diesem Zusammenhang unter anderem vorgeworfen, einige Mitverschwörer (insgesamt sind 26 mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Reuß in drei voneinander getrennten Prozessen in Frankfurt, Stuttgart und München angeklagt) durch den Bundestag geführt zu haben, um diesen für die geplante Stürmung auszuspähen.

Wie hat sich Malsack-Winkemann nun zu den Vorwürfen geäußert?

Sehr ausführlich. Malsack-Winkemanns Aussage erstreckte sich insgesamt über nicht weniger als sechs Prozesstage. Die suspendierte Richterin zeigte sich dabei einerseits sehr selbstbewusst, kritisierte die Anklage - insbesondere den Teil über die Erstürmung des Bundestags - als "Ammenmärchen", die zur Last gelegte Verschwörung als "zusammenkonstruiert", die Berichterstattung der Medien als "widerlich" und "voneinander abgeschrieben".

Doch am Ende waren es weniger die Vorwürfe, die Malsack-Winkemanns Aussage in die Länge zogen, als ihre ausgeprägte Tendenz zu Wiederholungen. Ihre Kernaussagen konnten sich Prozessbeteiligte und Öffentlichkeit teilweise mehr als ein Dutzend Mal im selben Wortlaut anhören.

Über die Verschwörung und den "Rat": In der Darstellung von Malsack-Winkemann handelte es sich bei dem inneren Zirkel der Gruppe Reuß lediglich um einen "intellektuellen Zirkel", den sie selbst gegenüber Dritten abschätzig auch als "Kindergarten" bezeichnet haben will. Angaben über den Zweck dieses Zirkels blieben in ihrer Aussage vage, jedoch bestätigte sie, dass dort Ideen für die Zeit "nach einem Systemwechsel" diskutiert worden seien.

Auch habe es ein "Ressort R", gegeben, das aus Ex-Militärs unter der Führung des Mitangeklagten Rüdiger von P., einem ehemaligen Bundeswehr-Oberst, gestanden habe. Der "Rat" sei interessiert gewesen, mit der "Allianz" in Kontakt zu treten und mit dieser zusammenzuarbeiten. Allerdings habe es innerhalb der Gruppe zahlreiche Spannungen gegeben - unter anderem zwischen ihr und dem Chef des militärischen Arms, Rüdiger von P.

Über die Bedeutung der "Allianz": Malsack-Winkemann präsentierte sich in ihrer Aussage als Skeptikerin innerhalb der Gruppe, der ständig "der Mund offen stehen geblieben" sei, wenn sie den Ausführungen anderer Ratsmitglieder zugehört habe. Dennoch gibt sie an, zumindest zeitweise die Existenz einer globalen "Allianz", in der Militär und Geheimdienste aus den USA, Russland und anderen Staaten zusammengeschlossen sein sollten, geglaubt zu haben.

Für die Plausibilität dieser Annahme habe aus ihrer Sicht gesprochen, dass darüber in zahlreichen der 52 Telegram-Kanälen, denen sie folgte, diskutiert worden sei. Diese "Allianz", so die Überzeugung von zumindest Teilen der Gruppe Reuß, würde in Deutschland durch militärisches Eingreifen die Macht übernehmen und eine mindestens zweijährige Militärherrschaft einrichten. "Die Allianz macht alles", fasste Malsack-Winkemann zusammen, "inklusive notwendiger Gewalttaten." Die Mitglieder des "Rates" hätten lediglich bereit gestanden, um sich nach dem Systemwechsel als Verhandlungspartner anzubieten, mit denen die "Souveränitätsfrage" geklärt werden könnte.

Zweifel an der Existenz der "Allianz" seien ihr gekommen, als Rüdiger von P. und der in Stuttgart angeklagte Marco von H., die behauptet hätten, mit eben dieser "Allianz" in Kontakt zu stehen, keine schlüssigen Beweise hätten vorlegen können. Insbesondere sei zu den Sitzungen des "Rates" nie - wie versprochen - ein Verbindungsoffizier der Organisation erschienen.

Über den Sturm auf den Bundestag: Planungen für eine derartige Aktion bestreitet Malsack-Winkemann vehement. In der Gruppe Reuß sei es Konsens gewesen, dass alle Aktionen, die einen Systemwechsel herbeiführten, ausschließlich von der "Allianz" ausgehen sollten. Keinesfalls habe man ein Fanal setzen wollen. Zwar habe sie mehrere Mitangeklagte durch den Bundestag geführt, darunter den ehemaligen Angehörigen des Kommando Spezialkräfte, Maximilian E., jedoch habe es sich dabei ausschließlich um eine "touristische Aktion" gehandelt. In ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete habe sie hunderte Besucher durch das Reichstagsgebäude geführt.

Über Prinz Reuß: Die Ex-Bundestagsabgeordnete war erkennbar darum bemüht, den mutmaßlichen Rädelsführer Heinrich XIII. Prinz Reuß in ein positives Licht zu rücken. Dieser habe sich stets "gegen eine Revolution" ausgesprochen, da sich dadurch "keine Souveränität" herstellen lasse, betonte Malsack-Winkemann mehrfach. "Der Prinz", wie sie Prinz Reuß, nennt, habe darauf bestanden, dass "alles nach Recht und Gesetz" vonstatten gehen müsse - wobei die Ex-Richterin weder ausführte, was genau vonstatten gehen sollte, noch nach welchem Gesetz. Wie sie selbst auch habe "der Prinz" auf einem "echten Kontakt" zur "Allianz" bestanden. Nach Aussage Malsack-Winkemanns erhoffte sich Prinz Reuß von der "Allianz" unter anderem die Anerkennung der wiedererrichteten Fürstentümer seiner Vorfahren.

Über ihre eigene Rolle: Glaubt man der Darstellung der Angeklagten, dann war sie - obwohl sie an allen Sitzungen des "Rates" teilnahm - eher eine Außenseiterin, die mit ihren skeptischen Anmerkungen und Nachfragen den Missmut insbesondere des "militärischen Arms" der Gruppe auf sich zog. Zu diesem habe spätestens seit Herbst 2022 auch kein Kontakt mehr bestanden.

Überhaupt habe sie einen Großteil der in Frankfurt, Stuttgart und München angeklagten Mitglieder der Gruppe Reuß gar nicht gekannt. Ihre Hauptinformationsquelle und Initiatorin des Kontakts zu Prinz Reuß sei ihre Mitarbeiterin im Bundestagsbüro, Hilde L., gewesen - Spitzname "Astro-Hilde". Hilde L. muss sich in München vor Gericht verantworten.

Wie glaubwürdig ist Malsack-Winkemanns Aussage?

Als wie glaubwürdig die Verteidigung von Malsack-Winkemann einzustufen ist, wird im Wesentlichen vom weiteren Prozessverlauf abhängen. Die Angeklagte zitierte zwar bereits Teile von Chatprotokollen und Telefonaten, die aus Telekommunikationsüberwachung durch die Ermittlungsbehörden stammen, jedoch nur auszugsweise.

Schon jetzt allerdings lässt sich sagen, dass sich die Angeklagte während ihrer - frei gehaltenen - Aussage mehrfach selbst widersprach. Mal behauptete sie, dass von einem "Systemwechsel" nie die Rede gewesen sei, um wenige Stunden später zu erklären, dass sie und weitere Mitglieder des "Rates" Pläne für die Zeit nach einem "Systemwechsel" machen sollten. Immer wieder betonte sie auch, dass sie von paramilitärischen "Heimatschutzkompanien" nie etwas gehört habe. Später erklärte sie dann beinahe beiläufig, dass sie davon ausgegangen sei, dass "die Heimatschutzkompanien erst nach einem Systemwechsel zum Einsatz kommen" sollten.

Neben den zahlreichen Widersprüchen stellt sich für das Gericht die Frage, ob es den Ausführungen einer Frau glauben möchte, die angibt, aufgrund von Informationen aus dubiosen Telegramkanälen die Existenz einer "globalen Allianz" geglaubt zu haben, welche die bestehende Rechtsordnung in Deutschland gewaltsam beseitigen sollte. Sich dieser "Allianz" als Partner anzudienen, war nach Angaben von Malsack-Winkemann Sinn und Zweck des "Rates".

Letztlich wird viel auch von den Aussagen der übrigen Angeklagten abhängen - nicht nur in Frankfurt. In München etwa hat ihre ebenfalls angeklagte Ex-Mitarbeiterin Hilde L. bereits ausgesagt. "Astro-Hilde" stellte dabei ihre Ex-Chefin als treibende Kraft dar, die kaum habe abwarten können, dass es endlich losgehe. In einem Telefonmitschnitt war zudem Malsack-Winkemann selbst zu hören, die sich beschwert, dass sie erst etwas bewegen könne, "wenn die Parteien abgeschafft sind und wir ein anderes System bekommen".

Welche Relevanz hat Malsack-Winkemanns Aussage für den Prozess?

Die Aussage der ehemaligen Bundestagsabgeordneten hat zweifache Relevanz für den weiteren Verlauf des Prozesses. Als Angeklagte wäre sie nicht verpflichtet gewesen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. In diesem Fall hätte das Gericht ihr Schweigen nicht gegen sie auslegen dürfen.
Nun, da sie ausgesagt hat, besteht für das Gericht selbst als auch für die übrigen Prozessbeteiligten die Möglichkeit, kritisch nachzufragen. Anlässe hat Malsack-Winkemann zum Nachhaken reichlich selbst produziert. Sollte sie hier Fragen nicht beantworten, kann dieses Teilschweigen vom Gericht gewertet werden.

Ebenso dürfte interessant sein, wie sich die übrigen Angeklagten nun äußern. Insbesondere über die mutmaßlichen Mitglieder des "militärischen Arms" der Verschwörung hat sich Malsack-Winkemann wenig schmeichelhaft geäußert. Da einige von ihnen schon angekündigt haben, sich ebenfalls zur Sache äußern zu wollen, könnte es hier zur Konfrontation kommen.