Hessen Hessische Polizei darf KI bei Videoüberwachung einsetzen
CDU und SPD haben die Rechte der Polizei erweitert. Dabei geht es vor allem um Videoüberwachung. Wie es dazu kam, dass dabei demnächst KI mitarbeitet, empört die Opposition.
Es kommt selten vor, dass sich Grüne, FDP und sogar die AfD einig sind im Landtag. Erst recht nicht, wenn es um die Innere Sicherheit geht. Doch ausgerechnet in der entscheidenden Debatte über mehr Rechte und Instrumente für Hessens Polizei waren die ungleichen Oppositionsparteien am Donnerstag gleichermaßen empört über das Vorgehen der Regierungskoalition aus CDU und SPD.
"Das grenzt an einen Skandal", sagte die Grünen-Abgeordnete Vanessa Gronemann. "Fragwürdig" und "selbstherrlich" fand die AfD-Politikerin Sandra Weegl die Sache. Wie sie drohte auch der FDP-Mann Moritz Promny mit einer Verfassungsklage: "Das ist ganz schön krass, was Sie mit einem so sensiblen Thema machen."
Anlass für die Kritik war die letztlich dennoch verabschiedete Reform des Polizeirechts. Dabei war die Opposition mit Teilen davon einverstanden - je nach Fraktion mehr oder weniger.
Die Empörung entzündete sich daran, dass Schwarz-Rot in letzter Minute einen ganz neuen Zusatz in das monatelang vorbereitete Sicherheitspaket gesteckt hatte: den erstmaligen Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Videoüberwachung in Hessen.
Poseck: Sicherheit rechtfertigt Eile
"Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit" lautet der Titel des Reformpakets. Der Landtag billigte es am Ende mehrheitlich mit den Stimmen der Regierungsfraktionen. Der parteilose Abgeordnete Dirk Gaw, ein früherer Polizist, war ebenfalls dafür. AfD, Grüne und FDP stimmten dagegen.
Innenminister Roman Poseck (CDU) begründete die größeren Befugnisse der Polizei mit der aktuellen Sicherheitslage. "Wir leben nun einmal in unsicheren Zeiten", sagte er mit Blick auf tödliche Anschläge wie den auf einen Polizisten in Mannheim. Deshalb handele Hessen zügig, entschlossen und mit Augenmaß.
Bei Bedarf biometrischer Datenabgleich
Die Polizei soll Video-Aufnahmen von Verdächtigen per KI sofort analysieren lassen dürfen. Das gilt, wenn Straftaten zu erwarten sind oder Waffen im Spiel sein könnten. Bei drohenden erheblichen Gefahren für Bürger ist auch eine biometrische Identifizierung in Echtzeit möglich. Mit den Aufnahmen darf die Polizei dann gezielt nach dem möglichen Gefährder in ihren Datenbanken fahnden.
Auch die Suche nach Vermissten und nach Opfern von Entführung, Menschenhandel oder sexueller Ausbeutung soll KI-gestützt möglich sein. Brennpunkte wie das Frankfurter Bahnhofsviertel stehen zwar bereits unter besonderer Video-Beobachtung der Polizei - aber ohne Hilfe der KI.
Poseck: Verantwortung bleibt beim Menschen
"Bei Innerer Sicherheit geht es auch um Mut und Entschlossenheit", entgegnete Minister Poseck etwa der Kritik der FDP, der KI-Einsatz sei ein "verfassungsrechtlich fragwürdiger Schnellschuss". Von einer Einführung "durch die Hintertür" sprachen die Grünen.
Poseck beteuerte, seine Amtskollegen in den anderen Bundesländern befürworteten ebenfalls solche Maßnahmen. Hessen gehe nur voran.
Bei dem mehrstufigen Modell der KI-Überwachung seien es außerdem Menschen, die sich immer wieder verantwortlich einschalteten, versicherte Poseck. Außerdem sei auch der Datenschutzbeauftragte dazu befragt worden.
FDP kündigt verfassungsrechtliche Prüfung an
Die Kritiker überzeugte der Minister damit nicht. FDP und AfD kündigten an, die Verfassungsmäßigkeit dieses Teils der Reform zu überprüfen.
Die Liberalen übten weitere Kritik. Ihr Angeordneter Promny sprach von einem "fatalen Signal", das mit der Ausweitung der Videoüberwachung gesendet werde. Sie bleibe ein leeres Versprechen, wenn nicht genug Personal da sei, das auch eingreifen könne. Außerdem lasse sich das Sicherheitsgefühl an Orten auch erhöhen, ohne das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berühren: mit Umbauten oder besserer Beleuchtung zum Beispiel.
Grüne: Überwachung bringt nicht gleich mehr Sicherheit
Mehr Videoüberwachung allein garantiere kein höheres Sicherheitsgefühl, gab die Grünen-Politikerin Gronemann zu bedenken. "Ein dunkler, uneinsehbarer Ort bleibt ein dunkler, uneinsehbarer Ort, auch wenn eine Videokamera dort hängt", sagte sie.
So habe eine Untersuchung gezeigt, dass sich Frauen in der Unterführung Jägertunnel in Marburg nicht wegen der Videoüberwachung sicherer fühlten. Mehr dazu trage die Möglichkeit bei, dort über einen Notrufknopf mit der Polizei direkt Kontakt aufnehmen zu können.
AfD sieht Grund zur Scham
"Sie sollten sich schämen", adressierte die AfD-Politikerin Weegels die Landesregierung, weil die KI-gestützte Videoüberwachung ohne ausreichende Beteiligung des Parlaments komme. Das sei fatal, weil die AfD mit zahlreichen Maßnahmen im Paket einverstanden sei.
Als Verteidigerin des Gesetzes gab Lisa Gnadl vom Koalitionspartner SPD dem Innenminister Rückendeckung. "Wir haben immer sorgfältig abgewogen zwischen dem Sicherheitsinteresse und der Wahrung der Grundrechte", sagte sie. Daher werde es auch keinen sofortigen flächendeckenden KI-Einsatz bei der Videoüberwachung geben. Die Technik werde zunächst an wenigen Stellen getestet.
Weitere neue Rechte
Was das neue Polizeigesetz neben der KI-Videoüberwachung unter anderem noch bringt:
- Videoüberwachung wird an mehr Orten möglich, die als besonders gefährdet gelten. Dazu zählen neben sogenannten Angsträumen religiöse Einrichtungen. Nicht zuletzt ist wegen des zunehmenden Antisemitismus dabei an Gebäude jüdischer Gemeinden gedacht.
- Der Einsatz von Bodycams wird ausgeweitet. Polizisten dürfen sie auch in Wohnungen einschalten. Auch Stadtpolizisten sollen Bodycams bei Einsätzen tragen.
- Polizisten sollen außerdem mehr Spielraum bekommen, um Menschen in Gewahrsam zu nehmen. Präventivhaft darf länger dauern.
- Verstöße gegen für bestimmte Orte ausgesprochene Aufenthaltsverbote werden unter Strafe gestellt.
- Elektronische Fußfesseln können häufiger eingesetzt werden, etwa um Frauen vor gewalttätigen Männern zu schützen.