Werteunion-Landeschef Hartmut Erlinghagen (2.l.) und Bundesparteichef Hans-Georg Maaßen

Hessen Landesverband gegründet: Werteunion will nicht bei den Kleinstparteien enden

Stand: 21.07.2024 09:51 Uhr

In der Parteienlandschaft Hessens gibt es zwischen CDU und AfD eine neue Akteurin. Die im Bund von Ex-Verfassungsschutzpräsident Maaßen geführte Werteunion hat nun einen Landesverband. Die Größe ist noch überschaubar, Chef ist ein früherer Pharma-Manager.

Von Wolfgang Türk

Fünf Monate nach der Gründung einer Bundespartei hat die Werteunion auch einen hessischen Landesverband. Bei der nicht-öffentlichen Gründungsversammlung in Königstein (Hochtaunus) verabschiedeten 41 Parteimitglieder am Samstag in Anwesenheit des Bundesvorsitzenden Hans-Georg Maaßen eine Satzung.

Als Chef wählten sie Hartmut Erlinghagen an die Spitze eines fünfköpfigen Vorstands. Der 70-Jährige war lange Jahre einer der Geschäftsführer des Frankfurter Pharmaunternehmens Merz und auch Chef des Arbeitgeberverbandes der hessischen Chemie-Industrie.

Vom Merkel-kritischen Verein zur Partei

Die Werteunion hat damit nun zehn Landesverbände. Sie ist aus dem gleichnamigen Verein hervorgegangen, der sich der CDU nahe fühlte, auch wenn er keine Parteigliederung war und dort auf immer größere Vorbehalte stieß. Er wollte bei der Gründung 2017 den konservativen Kern wahren, der seiner Meinung nach die CDU ausmacht und den er unter der damaligen Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel schwinden sah.

Nach dem endgültigen Bruch mit der CDU sieht die Werteunion ihren Platz in der Parteienlandschaft als liberal-konservative Kraft zwischen CDU, FDP und AfD. Überschneidungen gibt es auch mit den Freien Wählern. Zahlreiche Politikwissenschaftler ordnen die Werteunion als rechtskonservativ ein.

Motto lautet "Maß und Mitte"

Er und die anderen derzeit insgesamt 55 Mitglieder des Landesverbandes stünden für eine Politik "von Maß und Mitte", betonte Landeschef Erlinghagen nach der Gründungsversammlung. Bundesparteichef Maaßen, der neben ihm saß, klagt derzeit gegen den einst von ihm als Präsident geführten Bundesverfassungsschutz. Dieser hat Maaßen als Rechtsextremist abgespeichert und beobachtet.

Ziel sei eine Politikwende, die auch von der CDU trotz konservativerer Ausrichtung nicht zu erwarten sei, sagte Erlinghagen. Als Programmpunkte nannte er unter anderem einen schlanken Staat mit geringeren Abgaben für die Bürger, Zukunftsinvestitionen unter Beibehaltung der Schuldenbremse und eine Abschaffung des Bürgergeldes. Außerdem wolle man einen "Turnaround“ hin zu einer zugleich klimaschonenden, pragmatischen sowie industriefreundlichen Energiepolitik.

Schärfere Migrationspolitik und keine Brandmauer

An erster Stelle führte der Werteunion-Landeschef aber die Migrationspolitk an. Aus einer "ungebremsten Migration aus überwiegend fremden Kulturkreisen" müsse eine Einwanderungspolitik werden, die auf hochqualifizierte Arbeitskräfte abziele.

Maaßen sagte: "Die Masseneinwanderung zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt." Neben der Werteunion hätten lediglich die AfD und das BSW als Partei der Ex-Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht diese Tragweite erkannt. Wagenknecht verfolge aber eine sozialistische Lösung. Und in dem Umfang wie die AfD wolle man nicht abschieben, sagte Maaßen. Es gehe um Menschen, die ausreisepflichtig seien.

Hintergrund: Neben damaligen Mitgliedern von CDU und AfD waren unter anderem auch solche der Werteunion dabei, als sich in Potsdam Rechte trafen, um mit Identitären über die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund zu reden. Die Werteunion distanzierte sich anschließend von Plänen, auch Menschen mit Migrationshintergrund abzuschieben, die deutsche Staatsangehörige sind.

Im Unterschied zu sich selbst bewertet die Werteunion AfD-Positionen zur Migration als radikal. Eine ausdrückliche Brandmauer zu ihr soll es aber auch in Hessen nicht geben. "Wir können uns vorstellen, mit allen Parteien zusammenzuarbeiten, die unsere Ziele unterstützen“, sagte Vize-Bundeschef Alexander Mitsch in Königstein.

Geht es ihr besser als anderen?

In Umfragen liegt die Werteunion derzeit deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. Sie sieht nach eigenen Angaben aber gute Chancen, nicht das Schicksal zahlreicher anderer Parteien wie Bündnis Deutschland, Wir Bürger oder Zentrum zu teilen. Sie kamen beim Versuch, sich als Alternativen zwischen CDU und AfD zu positionieren, über den Status der Kleinstpartei nicht hinaus.

Maaßen sagte, er gehe davon aus, dass sich das von diesen Parteien vertretene Lager in naher Zukunft in der Werteunion konzentriere. Das eigene Wählerpotenzial taxierte Landeschef Erlinghagen für Hessen ebenso wie Maaßen für das Bundesgebiet auf 15 bis 20 Prozent. Die Werteunion wolle neben enttäuschten CDU-Wählern auch solche der FDP und der AfD ansprechen. Es gebe viele, die aus Unzufriedenheit mit der derzeitigen Politik "notgedrungen" AfD wählten.

Viele Ex-CDUler

Die bisher 55 Mitglieder der hessischen Werteunion sind laut ihrem Vorsitzenden Erlinghagen "durchweg Bürger aus der Mitte der Gesellschaft". Ohne den "Hintergrund von Parteikarrieren" brächten sie viel Kompetenz und Erfahrungen aus dem wirklichen Leben mit. Man wolle weitere Menschen wie sie, vor allem auch aus dem bisherigen Verein, in die Partei holen.

Dem Verein gehörten nach früheren Angaben in Hessen knapp 400 und bundesweit rund 4.000 Mitglieder an. Der Mathematik-Professor Kai Velten ist Landesvorsitzender des Vereins. Dem Vorstand der neuen Landespartei gehört er als Beisitzer an.

Viele Werteunion-Mitglied waren vorher Christdemokraten - auch Landesparteichef Erlinghagen. Für die CDU war er kommunalpolitisch aktiv, gehörte dem Vorstand des Kreisverbands Bad Hersfeld-Rotenburg an. Bundeschef Maaßen war ebenfalls in der CDU. Die Partei leitete am Ende ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein, das wegen seines Austritts überflüssig wurde.

Was besser als bei der AfD werden soll

Karsten Dankert, Wirtschaftsberater aus Bad Soden und einer von zwei Vize-Landesparteichefs, sagte: Die noch vergleichsweise geringe Zahl von Parteimitgliedern in Hessen sei vor allem auf ein sorgfältiges Aufnahmeverfahren zurückzuführen. Man wolle lieber langsam wachsen, statt nach der Gründung zweifelhafte Mitglieder aufzunehmen wie die AfD.

Außerdem habe die Gründung der Bundespartei und die Beteiligung an den im Herbst anstehenden drei Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen in der kurzen Zeit des Bestehens Vorrang gehabt. In Hessen will die Werteunion bei der Bundestagswahl 2025 erstmals mit einer Landesliste antreten, dann 2028 bei der Landtagswahl.

Grüne sind Hauptgegner

Als zentralen Gegner hat die junge Partei die Grünen ausgemacht, außerdem die SPD. Zum konservativen Richtungswechsel der hessischen CDU, die zugunsten der SPD die Koalition mit den Grünen beendet und eine "Renaissance der Realpolitik" ausgerufen hat, sagte Landeschef Erlinghagen: CDU-Ministerpräsident Boris Rhein sei noch "einer der besseren Ministerpräsidenten".

Die Werteunion sei dennoch für einen Politikwechsel nötig, weil im Bund die CDU-Führung täglich ihre Vorliebe für eine künftige schwarz-grüne Koalition unterstreiche. Der wird zudem vorgehalten, sie stimme im Bundesrat für viele Vorhaben der Ampel-Bundesregierung im Bund.

Zwischen Gelassenheit und Bedauern

Die Hessen-CDU gab sich unaufgeregt, seit sich die Gründung der Werteunion als Partei abzeichnete. Ministerpräsident Rhein, der auch CDU-Landeschef ist, sagte Anfang des Jahres: Sie werde keine wirkliche Kraft entfalten.

Prominente CDUler sind auch nicht gewechselt. So sagte der zu den bekanntesten Vertretern des konservativen Flügels der Christdemokraten zählende frühere Wetzlarer Bundes- und Landtagsabgeordnte Hans-Jürgen Irmer seinerzeit dem hr, für ihn persönlich komme ein Wechsel zur Werteunion nicht in Frage. Deren Gründung als Partei bezeichnete er als überflüssig.

Irmer verwies auf das neue, konservativere Grundsatzprogramm der Bundes-CDU. Sie habe sich darin vieles vorgenommen, "wofür ich damals gescholten wurde". Das Anfang Mai beschlossene Papier fordert unter anderem eine "Leitkultur" in Deutschland, verschärfte Asylregeln und in der Energiepolitik Technologieoffenheit auch für Atomkraft.

Mit dem Kurs Rheins und der Beendigung von Schwarz-Grün in Hessen sei er ohnehin völlig einverstanden, sagte Irmer. Für bedauerlich hält er die neue Parteigründung aber schon: "Wir verlieren mit ihr einige interessante Mitglieder."