Lebe-Gesund-Stand in der Frankfurter Kleinmarkthalle mit Bio-Lebensmitteln, Brot und Gemüse

Hessen Lebe-Gesund-Geschäfte: Wer hier einkauft, unterstützt eine Sekte

Stand: 13.09.2024 09:34 Uhr

Ob in Darmstadt, Bad Hersfeld, Frankfurt oder Wiesbaden - die Marktstände und Läden von Lebe Gesund finden sich in ganz Hessen. Die Produkte sind vegan, bio, regional und sehr beliebt. Allerdings steckt hinter Lebe Gesund eine Sekte.

Von Mia von Hirsch und Johan Gallwitz

Der Lebe-Gesund-Stand in der Frankfurter Kleinmarkthalle fällt direkt auf. Er ist einer der größten Stände in dem traditionsreichen Lebensmittelmarkt in der Innenstadt. Verkauft werden Bio-Lebensmittel und unter eigenem Namen hergestellte Brotaufstriche - alles vegan. Auf den ersten Blick harmlos, aber hinter dem in hellem Gelb und Weiß gestalteten Stand und der laut Eigenwerbung "naturnahen Landwirtschaft seit 1983" steckt eine Sekte mit dunkler Geschichte. 

Mitten in Darmstadt und Wiesbaden gibt es Lebe-Gesund-Läden. Auf Wochenmärkten in Bad Hersfeld, Hanau, Offenbach und weiteren Städten im Rhein-Main-Gebiet ist die Marke auch vertreten. Die Online-Bewertungen dafür fallen durchweg positiv aus. Die Kundinnen und Kunden schwärmen von "hervorragendem Brot" und einer "riesigen Auswahl". Doch welche Ideologie finanzieren sie mit, wenn sie diese Produkte kaufen? 

Vision vom 1.000-jährigen "Friedensreich"

Bei Lebe Gesund handelt es sich um ein Unternehmen aus dem Umfeld der umstrittenen Glaubensgemeinschaft Universelles Leben, 1977 gegründet von der selbst ernannten Prophetin Gabriele Wittek. Die Anhänger nennen sich Urchristen.

Seinen Ursprung hat das Universelle Leben im Würzburger Umland. Visionen der Sektengründerin Gabriele Wittek zufolge soll hier ein 1.000 Jahre währendes "Friedensreich" entstehen. Sie selbst gilt ihren Anhängerinnen und Anhängern als "göttliche Offenbarung", "die größte Prophetin seit Jesus" und als "das absolute Gesetz", so stellt es die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) dar.

Demnach gehört auch das Gesetz von Karma zum Glauben, nach dem die Gruppe das Schicksal, Leid und Krankheit von Individuen und Völkern erklärt. Zudem erwarte die Gruppe eine baldige Apokalypse, weiß die EZW zu berichten. Seit den 1980er Jahren hätten die Sektenmitglieder daher die sogenannten Christusbetriebe gegründet, um das Überleben der "Urchristen" zu sichern.

Feindbilder: Kirchen, Jäger, Journalisten

Zum Feindbild der Sekte gehörten besonders in den 1990er und 2000er Jahren die katholische und evangelische Kirche genauso wie Jäger (weil sie Tiere töten und insofern nicht vegan leben), Aussteiger und Journalisten. Seit Jahren berichtet die Regionalzeitung Main-Post über die wirtschaftlichen Aktivitäten der Glaubensgemeinschaft und über die Konflikte mit dem Universellen Leben im Würzburger Umland. Und wirtschaftlich aktiv ist die Gruppe bis heute.

Schaufenster eines Ladens an einer Straßenecke, darin hängen Plakate mit Schrift und Fotos von Brotlaiben, auf dem Schild vor dem Eingang steht "Gut zum Leben"

Lebe-Gesund-Laden in der Darmstädter Innenstadt.

Zwar betätigt sich die Sekte nach eigenen Angaben gar nicht wirtschaftlich. Recherchen im Handelsregister zeichnen allerdings ein anderes Bild. So sind Vorstandsmitglieder des Vereins Das Universelle Leben Weltweit etwa Geschäftsführer in verschiedenen sogenannten Umfeldorganisationen der Glaubensgemeinschaft, die wiederum wirtschaftliche Verbindungen zu weiteren Unternehmen haben.  

Firmengeflecht aus 60 Unternehmen

Es gibt ein Firmengeflecht aus rund 60 Unternehmen, das dem Umfeld des Universellen Lebens zuzuordnen ist, unter anderem Lebe Gesund. In dem Fall ist es gemäß den Einträgen im Handelsregister so: Die Lebe Gesund Versand GmbH mit Sitz im unterfränkischen Marktheidenfeld hat einen Gesellschafter, die Lebe Gesund GmbH & Co KG. In deren Gesellschaftervertrag finden sich bereits Hinweise auf das Universelle Leben: Gegenstand des Unternehmens ist unter anderem der Aufbau eines "Neu Jerusalem" - ein Ziel, das auch in Sektenkreisen eine zentrale Rolle spielt.  

Organigramm aus vielen Firmen, Stiftungen, Vereinen und Personen

Firmen aus dem Umfeld des Universellen Lebens.

Dazu kommt: Kommanditist der Lebe Gesund GmbH & Co KG ist die Lebe Gesund Stiftung Verwaltungs GmbH. Bis 2021 war es die Internationale Gabriele Stiftung Verwaltungs GmbH, offenbar benannt nach der Sektengründerin Gabriele Wittek. In der Geschäftsführung dieser GmbH sitzt Petra Stickroth. Stickroth gehört auch dem Vorstand des Vereins Das Universelle Leben Weltweit an. Trotz dieser im Handelsregister hinterlegten Verbindungen teilte Petra Stickroth auf hr-Anfrage mit: "Das Universelle Leben hat weder wirtschaftliches Eigentum noch wirtschaftliche Aktivitäten."  

Wen unterstützt man also, wenn man bei Lebe Gesund einkauft?

"Lege deinen Eigenwillen ab"

Das Leben in der Gemeinschaft Universelles Leben darf laut einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts von 2009 als totalitär bezeichnet werden. Das bedeutet demnach, dass die Sekte alle Lebensbereiche bestimmen möchte und ein Entpersonalisierungssystem geschaffen hat. Das ist nach Aussage des Sektenexperten und Psychologen Dieter Rohmann nicht ungewöhnlich für solche Glaubensgemeinschaften. Es sei im Interesse eines Kultführers, die Gläubigen leichter lenkbar zu machen, "wenn der Einzelne in seinem individuellen Denken und Fühlen immer mehr in den Hintergrund gerät", sagt Rohmann. 

Passend dazu rät die selbst ernannte Prophetin Gabriele Wittek in einem aktuellen Buch für Kinder: "Lege deinen Eigenwillen ab." Das Ziel der Gläubigen ist nach Darstellung der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, den "inneren Weg" zu erreichen, wozu die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit, eine vegan-vegetarische Ernährung und der Verzicht auf persönliche Bindungen - selbst zu den eigenen Eltern - gehören. Einem solchen System, das verbunden wird mit starken Feindbildern aus der Welt außerhalb der Glaubensgemeinschaft, sei schwer zu entkommen. 

Antisemitismus und Verschwörungstheorien

Rohmann erzählt, er habe selbst vor Jahren mit Aussteigern des Universellen Lebens zu tun gehabt. Sie hätten berichtet, dass sie sich ausgebeutet gefühlt hätten. Außerdem hätten sie gesagt, sie stünden nach jahrelanger, harter Arbeit für Umfeldorganisationen der Sekte ohne Geld da, da sie gezwungen worden seien, das eigene Vermögen dem Universellen Leben zukommen zu lassen. 

Im Bildvordergrund ein Ortsschild mit der Aufschrift "Michelrieth". Dahinter einzelne kleinere Häuser am Ortseingang.

Am Ortseingang von Marktheidenfeld-Michelrieth.

Besonders aktiv war die Glaubensgemeinschaft in den 1990er und 2000er Jahren. Nach EZW-Schätzungen zählte sie zeitweise rund 10.000 Mitglieder. Damals fiel das Universelle Leben auch mit antisemitischen und verschwörungstheoretischen Äußerungen über eine vermeintliche jüdische Weltherrschaft auf, etwa im sekteneigenen Magazin Der Christusstaat.

Verbot von Sekten

Es gibt Sekten, in denen die Mitglieder so beeinflusst werden, dass sie fast willenlos ihren Führern folgen. Viele Mitglieder von Sekten gelten als fanatisch, weil sie nicht bereit sind, sich mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen.
Ein Verbot von Sekten ist in Deutschland schwierig. Der Staat ist zu weltanschaulicher und religiöser Neutralität verpflichtet. Verbieten kann er eine Sekte nur, wenn sie sich kriminell oder verfassungsfeindlich verhält oder die Grundrechte ihrer Mitglieder verletzt. 

In jenen Jahren demonstrierten schon mal hunderte "Christusfreunde" in Würzburg und verteilten Flugblätter mit aggressiven Anschuldigungen gegen Jäger und Kirchen, wie die EZW berichtet. In der hügeligen Umgebung der Residenzstadt kaufte die Glaubensgemeinschaft demnach großflächig Ländereien auf, um dort das ersehnte "Friedensreich" aufzubauen. Die folgende Ansiedlung von "Christusfreunden" führte zu heftigen Konflikten, was im Archiv der Main-Post nachzulesen ist. Andersgläubige Anwohner beklagten, quasi aus den Ortschaften herausgeekelt zu werden. 

Ist die Sekte quasi tot?

"Man versucht, von Anfang an eine Art Gegengesellschaft zu etablieren mit eigenen Schulen, mit eigener Versorgung, mit eigenem Land. Das ist ein fester Teil der Ideologie des Universellen Lebens", sagt Matthias Pöhlmann, Sektenexperte der evangelischen Kirche Bayern. Er beobachtet seit Jahren die Gemeinschaft rund um Gabriele Wittek. 

So präsent wie damals ist das Universelle Leben nach Pöhlmanns Beobachtung heute bei weitem nicht mehr: "Das Universelle Leben versucht den Eindruck zu erwecken, es handele sich um eine friedliche, ökologische Gemeinschaft."   

Die selbst ernannte Prophetin ist inzwischen 90 Jahre alt und schon lange nicht mehr öffentlich aufgetreten, wie Pöhlmann sagt. Auf hr-Anfrage bestätigte das Einwohnermeldeamt der Stadt Marktheidenfeld im August, dass Gabriele Witteck noch lebe.

Das Seelenkartell - hr-Reportage zum Universellen Leben aus dem Jahr 1993

Experten wie Rohmann und Pöhlmann schätzen den aktiven Kreis an Anhängerinnen und Anhänger auf nur noch rund 500 bis 1.500. Mehrere Menschen in Unterfranken, die die Umtriebe der Gruppe vor Ort beobachten, teilen mit uns ihre Einschätzung, die Sekte sei quasi tot. Stimmt das? Ist ein Einkauf bei Lebe Gesund - und damit spannt sich der Bogen zurück nach Hessen - inzwischen unbedenklich?

Guter Ruf der sekteneigenen Schule

Zu Besuch in Marktheidenfeld, dem Sitz der Lebe Gesund Versand GmbH. Passanten dort ist das Universelle Leben als Arbeitgeber ein Begriff. Früher hätten vor allem Sektenmitglieder für Firmen aus deren Umfeld gearbeitet, erzählen sie, heutzutage würden auch Nicht-Mitglieder eingestellt. Das deckt sich mit den Aussagen von Experten und dem Inhalt von Stellenanzeigen, die wir gesehen haben.  

Eine 18-Jährige, die namentlich nicht genannt werden will, erzählt: Sie habe die Privatschule "Lern mit mir" besucht, die dem Universellen Leben zugeordnet wird. Im Religionsunterricht und in den Pausen sprächen Lehrer, die Anhänger der Sekte seien, über religiöse Inhalte des Universellen Lebens. In jeder Klasse säßen Kinder aus der Glaubensgemeinschaft. Doch wegen des umfassenden Betreuungsangebots genieße die Schule auch darüber hinaus einen guten Ruf.  

Von "Schlumpfhausen" ins "Christus-Jesaja-Land"

Der Stadtteil Michelrieth trägt in der Gegend den Spitznamen "Schlumpfhausen". Etwa jedes dritte Haus ist in kobaltblauer Farbe gestrichen, rund die Hälfte der knapp 550 Einwohner soll laut Main-Post dem Universellen Leben angehören. Es gibt dort das Büro eines ambulanten Pflegediensts und Senioren-Apartments. "Helfende Hände Soziale Dienste e. V." steht auf einem Schild am Eingang - eine weitere Umfeldorganisation der Sekte.

Eine knappe halbe Stunde Autofahrt entfernt liegt die Gemeinde Greußenheim mit gut 1.600 Einwohnern. Dort liegt das Hofgut Sophia Lumee - auf der riesigen landwirtschaftlichen Anlage werden nach Angaben auf der Website Lebensmittel für Lebe Gesund produziert. Die Landstraße führt durch wilde Wiesen mit kleinen Obstbäumen und vorbei an Wald zu einem Abzweig ohne Beschilderung. Am Wegesrand ein kobaltblaues Schild in Form einer Schriftrolle, die verkündet, dass wir uns im "Christus-Jesaja-Land" befinden. 

Schmale Landstraße an einer Wiese, daneben ein blaues Schild in Form einer Schriftrolle, mit viel Text darauf.

Schild am Eingang des "Christus-Jesaja-Lands" in der Nähe von Würzburg.

Links und rechts tauchen kobaltblaue Fahnen und Schilder mit Botschaften in ähnlichem Duktus auf. Der Weg führt zu einem blau angestrichenen Hofladen. Wir wollen mit der Verkäuferin sprechen, die gerade für zwei ältere Pärchen Kaffee kocht. Doch dazu kommt es nicht. 

Zwei Männer im Pick-up

Ein silberner Pick-up fährt vor, zwei Männer steigen aus. Sie sprechen uns auf unser hr-Mikrofon an. Einer der Männer stellt sich als Andreas Hautzinger vor. Er ist einer der Geschäftsführer der Internationalen Gabriele-Stiftung Verwaltungs-GmbH und sitzt außerdem im Vorstand des Vereins Das Universelle Leben Weltweit. Er sagt, Lebe Gesund habe nichts mit dem Universellen Leben zu tun. Ja, die Glaubensgemeinschaft sei noch aktiv, besitze aber weder Betriebe noch Grund. 

Die Verkäuferin im Hofladen bietet uns Getränke an. Als wir ablehnen, sagt sie lächelnd: "Ist kein Gift drin, schmeckt nur gut." Andreas Hautzinger erklärt, man habe schlechte Erfahrungen mit dem Hessischen Rundfunk gemacht, als dieser vor 30 Jahren eine Doku über die Glaubensgemeinschaft drehte. Mehr will er dann nicht sagen. 

Die Sekte wirkt gar nicht tot

Auf dem Weg aus dem "Christus-Jesaja-Land" begegnet uns ein weiterer silberner Pick-up, in dem zwei Männer sitzen - der dritte innerhalb der rund 45 Minuten, die wir auf dem Gelände verbracht haben. 

Der Parkplatz der Sophia-Bibliothek in Marktheidenfeld-Altfeld ist gut belegt. Sie liegt gleich neben einem kobaltblauen Shopping-Center namens Einkaufsland International mit einem vegetarischen Lokal, einer Schreinerei, einem Friseur und weiteren Dienstleistern. Die Bibliothek wirkt wie das ideologische Zentrum des Universellen Lebens. Bücher von Gabriele Wittek liegen dort aus, im Raum sehen wir etwa zwei Meter hohe, weiße Statuen der selbst ernannten Prophetin. Dann werden wir auch schon hinausgeworfen.

So tot scheint uns die Sekte gar nicht zu sein. 

Ein von Kletterpflanzen umranktes Tor mit Schriftzug "Einkaufsland International", dahinter ein kleines blaues Gebäude

Eingang zum Shopping-Center Einkaufsland International in Marktheidenfeld.

Mehr erzählen könnte vermutlich Greußenheims Bürgermeisterin Karin Kuhn. Vor zwei Jahren warf sie der Glaubensgemeinschaft noch öffentlich "Erpressung" vor im Zusammenhang mit "Bauvorhaben, die für die Gemeinde so nicht tragbar waren". Auch die Benutzung öffentlicher Wege, die durch Ländereien des Universellen Lebens führen, wurden wiederholt zum Streitpunkt. Doch mit dem hr will Kuhn nicht über die Sekte reden.

Lügenvorwurf statt Auskunft

Das Universelle Leben selbst nutzt die Möglichkeit einer Darstellung ihrer Sicht an dieser Stelle nicht. Statt eines Austauschs darüber, wofür die Gruppe heute steht, bezichtigt uns Petra Stickroth vom Vorstand des Vereins Das Universelle Leben Weltweit im Namen der Sekte der Lüge: Es gebe eben keine wirtschaftlichen Aktivitäten. Eine schriftliche Anfrage läuft ganz ins Leere. Auch von der Lebe Gesund Versand GmbH kommt keine Antwort. 

Die städtische HFM Managementgesellschaft, die Betreiberin der Frankfurter Kleinmarkthalle, gibt zur Auskunft: Die Firma Lebe Gesund sei seit vielen Jahren Mieterin und verhalte sich im Marktbetrieb "beanstandungsfrei, kooperativ und partnerschaftlich". Und: "Eine Verbindung zu einer Glaubensgemeinschaft wird in der Kleinmarkthalle nicht ersichtlich." 

Kleinmarkthallenbetreiberin gibt sich ahnungslos

Hinweise auf antisemitische oder totalitäre Ideologien gebe es nicht. Dabei zog der Stand in den 1990ern in der Kleinmarkthalle ein - zu der Zeit, als über das Universelle Leben viel berichtet wurde. Jedoch gebe es positives Kundenfeedback, schreibt eine Sprecherin der Frankfurter Hafen- und Marktbetriebe: "Die Produkte sind von hoher Qualität, das Verkaufspersonal engagiert und freundlich."

An Letzterem zweifelt auch der Psychologe und Sektenexperte Dieter Rohmann nicht: "Die Aufstriche schmecken." Er findet aber, als Verbraucher müsse man sich die Frage stellen: "Inwieweit kann ich das jetzt trennen? Was hat das mit den Menschen in der Ideologie und Gabriele Wittek zu tun?" Das müsse jeder Einzelne für sich selbst beantworten.