Hessen Nach Tod vom Fünfjährigem: Wenn die Polizei zum Unfallverursacher wird

Stand: 25.07.2024 16:27 Uhr

Ein Polizeiwagen rast mit Blaulicht und Martinshorn durch Kassel. Ein Fünfjähriger will die Straße überqueren, wird vom Auto erfasst und stirbt. Für die Polizei in Kassel stellt sich nun die Frage: Wie umgehen mit der Tragödie?

Es ist ein absolutes Horror-Szenario für alle Beteiligten. Die Besatzung eines Polizeiwagens wird zu einem dringenden Einsatz gerufen. Mit Blaulicht und Martinshorn braust das Einsatzfahrzeug los. Die Besatzung hofft, dass die Straßen frei sind oder freigemacht werden. Und dann ist plötzlich ein Kind auf der Straße.

Genau dieser Fall ist am Dienstagabend im Kasseler Stadtteil Nord-Holland eingetreten. Ein fünfjähriger Junge, der die Holländische Straße überqueren wollte, wurde gegen 21.30 Uhr von einem Polizeiwagen erfasst.

Einige Zeit später erlag das Kind im Krankenhaus seinen Verletzungen. Die Obduktion ergab mittlerweile innere Blutungen als Todesursache. Die Mutter des Kindes musste den Vorfall mit ansehen.

Polizei organisiert Betreuung

"Alle sind sehr angefasst, geschockt und tieftraurig, auch weil Unfälle in dieser Dimension Seltenheit haben", sagt Jens Mohrherr, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Hessen.

Unfälle mit Einsatzfahrzeugen - auch solche mit tödlichem Ausgang - kämen zwar immer wieder vor. Doch wenn ein Kind beteiligt sei, sei "die Dimension nochmal eine andere", so Mohrherr.

Die Polizei in Hessen befindet sich in Sachen Nachsorge nun in einer Doppelrolle: Zum einen muss sie als Dienstherr die Betreuung der Beamten organisieren - "und zwar nicht nur der im Auto, sondern auch der auf dem Revier", wie Mohrherr betont.

Zugleich obliegt der Polizeibehörde auch die Betreuung der am schlimmsten Betroffenen: der Familie des getöteten Jungen. Das Polizeipräsidium Nordhessen hat einen ehrenamtlichen Notfallseelsorger eingeschaltet, welcher der Familie beistehen soll.

Trotz Blaulicht ist Augenmaß gefragt

Hinzu kommt, dass das Verhalten der Beamten in der konkreten Situation nun zum Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen wird. Zwar darf die Polizei die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung ignorieren, wenn dies "zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist", doch das heißt nicht, dass Polizisten ohne Rücksicht auf Verluste losrasen dürfen.

"Es darf natürlich nicht die Gefährdung oder gar die Verletzung anderer Personen in Kauf genommen werden", sagt Bernd Stein, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Kassel, "da muss mit Augenmaß gefahren werden". Um dies sicherzustellen, wird das Fahren mit "Sondersignalen" trainiert - sowohl während der Ausbildung, als auch später im Berufsalltag.

Gutachter klärt Unfallhergang

Ob dies im vorliegenden Fall geschah, lässt sich nicht so leicht beantworten. Denn zum einen ist unklar, wie genau der Unfall vonstatten ging, ob der Junge etwa überraschend auf die Straße trat oder diese bereits überquerte, als der Polizeiwagen angefahren kam.

Näheres dazu möchte die Polizei in Nordhessen derzeit nicht mitteilen - unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen. Den Unfallhergang zu rekonstruieren, obliegt nun einem Gutachter. Die Ermittlungen selbst werden vom Landeskriminalamt (LKA) durchgeführt.