Blick auf die Fassade der Netto-Filiale in Darmstadt. Davor stehen Obst und Gemüse in Kisten.

Hessen Schließung eines Supermarkts: Warum in Darmstadt Anwohner und Oberbürgermeister Alarm schlagen

Stand: 16.01.2025 17:13 Uhr

Ein kleiner, beliebter Supermarkt in Darmstadt macht dicht. Die Anwohner fürchten um die Versorgung in ihrem Viertel und protestieren gegen die Schließung. Auch die Politik schaltet sich ein.

Von Julian Moering

In Darmstadt sorgt ein kleiner Supermarkt derzeit für große Aufregung. Seit mehreren Jahrzehnten versorgt die vermeintlich kleinste Netto-Filiale Deutschlands die Menschen im Woogsviertel mit allem, was sie zum täglichen Leben brauchen.

Doch Ende März ist Schluss, dann schließt der Markt. Die Empörung bei den Anwohnerinnen und Anwohnern ist groß, auch der Oberbürgermeister schaltet sich ein.

Für viele Menschen war und ist der Markt Anlaufstelle Nummer eins im Viertel, wenn es um die Versorgung mit Dingen des alltäglichen Lebens geht. Die Schließung wäre ein herber Verlust an Lebensqualität, wie es in der Petition gegen die Schließung heißt. Fast 1.000 Menschen haben bereits unterzeichnet.

Anwohner sind besorgt

“Dieser Markt ist unser Tante-Emma-Laden“, sagt Anwohner Ralf Knauf, der dort regelmäßig einkauft. Der Laden sei besonders für ältere Menschen wichtig, die keine weiten Wege mehr zurücklegen können. Auch Menschen, die auf ein Auto verzichten oder sich keins leisten können, seien auf den Markt angewiesen.

Die Filiale ist klein, kaum größer als ein großzügiges Wohnzimmer. Frisches Obst und Gemüse sind vor dem Markt auf dem Bürgersteig aufgebaut, weil im Inneren kein Platz ist. Das Sortiment ist dementsprechend begrenzt, aber für Anja Rederer ist der Supermarkt mehr als nur eine Einkaufsmöglichkeit.

"Er ist auch ein Zentrum im Woogsviertel, hier trifft man Nachbarn und Bekannte und hält ein Schwätzchen." Die Mitarbeiter würden ihre Kunden oft persönlich kennen und seien immer für ein nettes Gespräch offen, heißt es in der Petition.

Ende des Marktes ist besiegelt

Die Schließung des Marktes ist aber kaum noch abzuwenden. Auf Anfrage des hr bestätigte Netto das Aus. "Die Filiale wird Ende März 2025 schließen", teilte eine Sprecherin des Unternehmens am Donnerstag mit. Netto sei bestrebt, einen neuen Standort in der Umgebung zu finden. Konkrete Pläne nennt das Unternehmen aber nicht.

Auch einen Grund für die Schließung des Supermarkts nennt Netto nicht. In Zuschriften an den hr berichten Anwohner, der Mietvertrag sei gekündigt worden. Verifizieren ließ sich diese Vermutung aber nicht, Netto beantwortete eine entsprechende Anfrage bislang nicht.

Oberbürgermeister Benz will vermitteln

Mit ihren Sorgen haben sich die Kunden unterdessen an Darmstadts Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) gewandt. Der nimmt den Hilferuf offenbar ernst und macht sich für den Erhalt einer "Nahversorgungsmöglichkeit" in den Räumen der jetzigen Netto-Filiale stark. Dafür sei er mit allen Parteien im Austausch und versuche, zu vermitteln.

Auch wenn sich die Netto-Filiale wohl nicht mehr retten ließe, möchte Benz "den Eigentümer überzeugen, die Nahversorgungsmöglichkeiten bei der weiteren Vermietung zu sichern".

Die Situation der Nahversorgung bereite Benz aber schon seit mehreren Jahren Sorge. Supermärkte, Metzgereien, Bäckereien, aber auch Bankfilialen oder Poststellen seien oft nur noch an zentralen Stellen vorhanden. "Das ist für ältere oder eingeschränkt mobile Menschen ein großes Hindernis", sagt Benz. Ziel sei es, den Wegfall weiterer Einkaufsmöglichkeiten in Zukunft zu verhindern.

Erst im Dezember war es gelungen, für einen schließenden Supermarkt im Darmstädter Norden eine Nachfolge zu finden. Auch dort hatte Benz vermittelt.

Anwohner eröffnen Markt in Eigenregie

Im Fall der Netto-Filiale fallen die Darmstädter Anwohnerinnen und Anwohner noch verhältnismäßig weich, in etwa 500 Metern Entfernung gibt es einen weiteren Supermarkt. In ländlichen Regionen sieht das oft anders aus.

So wie bis vor kurzem noch im kleinen Ort Helsa-Eschenstruth (Kassel). Weil ein Edeka-Markt dicht gemacht hatte, war der Stadtteil rund vier Jahre lang ohne Nahversorgung, eine Nachfolge ließ sich nicht auftreiben. Eine Gruppe engagierter Menschen in Eschenstruth packte daraufhin selbst an und eröffnete im März vergangenen Jahres kurzerhand über ein Genossenschaftsmodel einen eigenen Supermarkt.

Geringste Nahversorgungsdichte im Kreis Groß-Gerau

Die geringste Dichte an Lebensmittelgeschäften in Hessen weist der Kreis Groß-Gerau auf. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kommen dort sieben bis zehn Geschäfte auf 10.000 Einwohner. Auch in den Kreisen Main-Taunus, Limburg-Weilburg und Darmstadt-Dieburg ist die Dichte mit zehn bis zwölf Geschäften noch verhältnismäßig dünn.

Im Rhein-Taunus- und im Vogelsbergkreis kommen hingegen 20 bis 26 Lebensmittelläden auf 10.000 Einwohner. Darüber, wie die Geschäfte verteilt und ob sie gut zu erreichen sind, sagt die Studie nichts aus.