Andreas Ewald, Co-Landesvorsitzender der Grünen, geht durch die Pateitags-Halle

Hessen Reisen von Grünen-Chef Andreas Ewald: Kommt nach dem Streit der Weihnachtsfrieden?

Stand: 04.12.2024 22:55 Uhr

Hessens Grünen-Chef Andreas Ewald steht wegen von Lobbyisten und der US-Regierung finanzierter Auslandsreisen in der eigenen Partei unter Druck. Auf einen internen Brandbrief folgte nun eine ungewöhnliche Reaktion.

Von Wolfgang Türk

Am 14. Dezember werden die hessischen Grünen in Marburg die Kandidaten nominieren, die auf der Landesliste für die Bundestagswahl im Februar stehen. Nach dem Scheitern der Ampelregierung lässt ein leichter Umfrageaufwind ein wenig Hoffnung aufkommen, die Serie der Wahlschlappen könne zu Ende sein.

Doch interner Streit um politische Auslandsreisen des Co-Landesvorsitzenden Andreas Ewald drückt stark auf die Stimmung. Eine pro-israelische Lobbyorganisation und die US-Regierung bezahlten die Reisen. Nun ist die Sache an der Parteispitze eskaliert.

In einem internen Brandbrief, der dem hr vorliegt, übt die Co-Landesvorsitzende Kathrin Anders harsche Kritik am bisherigen Vorgehen Ewalds und anderer Mitglieder in der Parteispitze. Ultimativ verlangt die 42 Jahre alte Landtagsabgeordnete eine "Klärung und Richtigstellung". Die Reisen ihres Amtskollegen in die USA und nach Israel hätten ihrer Meinung nach unbedingt als Parteispenden deklariert werden müssen.

Schriftwechsel im Internet

Behielte Anders recht, könnten wegen der dem Vernehmen nach mehr als 25.000 Euro teuren Reisen neben einer Rückzahlung auch hohe Strafen auf die Partei zukommen.

Die Reaktion auf den Brief von Anders kam prompt und fiel ungewöhnlich aus: Der Landesvorstand um Ewald stellte am Mittwoch den Schriftwechsel ins Internet, den die Bundesgeschäftsstelle der Grünen und Landesschatzmeisterin Nina Eisenhardt in der Sache mit der für Parteienfinanzierung zuständigen Bundestagsverwaltung geführt hatten.

In der begleitenden Mail an die Basis heißt es: "Um alle Zweifel auszuräumen" habe man die Bundestagsverwaltung anhand von zusätzlichem Material über die Reisen am Mittwoch ein zweites Mal um Auskunft gebeten. Wie schon bei einer ersten Anfrage im Oktober sei aus Berlin noch am gleichen Tag bestätigt worden, dass nach Parteienrecht alles korrekt gelaufen sei.

Anonyme Beschuldigungen

Die Sache ist kompliziert, nicht nur juristisch. Sie kam vor Wochen mit einem anonymen Schreiben an Journalisten über den angeblichen "Filz der Darmstädter Grünen und seine Auswirkungen auf die Landespolitik" ins Rollen. Darüber berichtete zuerst die FAZ, in der immer neue Vorwürfe wegen der Reisen erhoben wurden.

Die innerparteilich losgetretene Attacke zielte außerdem noch gegen Grünen-Schatzmeisterin Eisenhardt und den Bundestagsabgeordneten Philip Krämer. Er war selbst 2019 Landeschef der Grünen geworden, fiel 2021 aber beim Versuch durch, wiedergewählt zu werden.

Koffer gepackt

Unstrittig ist: Der Co-Landesvorsitzende Ewald hat in diesem Jahr zweimal auf Einladung und Kosten Dritter die Koffer gepackt. Die Reisen waren für politische Führungskräfte gedacht.

Ein vom US-Außenministerium gesteuertes Programm drehte sich um die Stärkung des politischen Engagements der LGBTQI+-Community in Deutschland. Daran soll der Vorsitzende noch einen privat bezahlten Urlaub im Land angehängt haben.

Gastgeber der zweiten Reise war die pro-israelische Organisation "European Leadership Network“ (ELNET). Sie lud nach eigenen Angaben deutsche und britische Landes- und Regionalpolitiker ein, ein halbes Jahr nach dem Angriff der Hamas nach Israel zu reisen.

"Teilnahme ausdrücklich begrüßenswert"

Für die Parteiführung um Ewald ist aufgrund der erneuten Stellungnahme der Bundestagsverwaltung nun endgültig klar: Es lief alles sauber. Um indirekte Einnahmen der Partei und damit Spenden hätte es sich demnach nur gehandelt, wenn die Grünen eigentlich die Reisen Ewalds hätten zahlen müssen. "Da die Reisen durch die Einladungen allerdings überhaupt erst stattgefunden haben, betreffen sie die Parteifinanzen nicht", heißt es.

Man habe stets Klarheit gewünscht, beteuert der Landesvorstand in dem Schreiben an die Mitglieder. Er betont, was zuvor auch dem hr mitgeteilt wurde: Solche Reisen seien völlig üblich. An ihnen nähmen Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien teil – auch Landespolitiker. Angesichts der Reiseziele halte man "die Teilnahme für ausdrücklich begrüßenswert".

Auf mögliche Fehler angesprochen, antwortete Ewald dem hr: Man hätte die Korrespondenz mit der Bundestagsverwaltung früher veröffentlichen sollen.

Externe Experten sehen es anders

Ob die Sache damit endgültig ausgestanden ist, bleibt allerdings offen. Co-Landeschefin Anders wollte sich auf hr-Anfrage nicht zu ihrem Schreiben äußern, weil es sich um eine parteiinterne Korrespondenz handele. Unter Berufung auf Bewertungen "externer Experten“ hatte sie sich in ihrem Brandbrief aber festgelegt: Es handele sich bei den Reisen gewiss um eine Spende im Sinne des Parteiengesetzes.

Entscheidend sei, dass die übernommenen Kosten eine geldwerte Leistung für den bei der Landespartei angestellten Ewald und damit die Partei darstellten. Er sei nachweislich als Vorsitzender der hessischen Grünen eingeladen worden und in dieser Funktion auch gereist. Die Pflicht, darüber auch Rechenschaft abzulegen, sei wichtig. Die Veranstalter wollten auf diese Weise schließlich Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen.

Amtskollegin nicht informiert?

Anders kritisiert zudem, dass auf Veranlassung Ewalds gegenüber Einwände von Mitgliedern zunächst unzureichende und auch falsche Angaben gemacht worden seien. Der Co-Landeschef bestreitet das.

Die Bundestagsverwaltung habe, so lautet ein weiterer Einwand Anders', von den Grünen für die erste Einschätzung nicht das gesamte Material über die Reisen erhalten. Auch in der zweiten Stellungnahme vom Mittwoch bezieht der Bundestag seine Einschätzung auf den Sachverhalt, wie die Partei ihn dargestellt habe.

Auch daran, wie mit ihr an der Parteispitze umgegangen wurde, nimmt die Co-Landeschefin Anstoß. So sei sie nicht in die Korrespondenz mit der Bundestagsverwaltung eingebunden gewesen. Man habe ihr auch weder Stellungnahmen noch Nachfragen von Mitgliedern vorgelegt.

Wunsch erfüllt

Unmut über die Art, wie Ewald und andere im Landesvorstand mit Einwänden wegen der Reisen umgingen, hatten Ende Oktober auch Spitzen einiger grüner Kreisverbände geäußert. So verlangte die Frankfurterin Julia Frank, Vorsitzende des mitgliederstärksten Kreisverbands der Grünen in Hessen, ebenfalls lückenlose Aufklärung.

Am Mittwoch wollte sie sich zu dem Streit um die Reisen zunächst nicht mehr äußern. Frank sagte lediglich: "Ich sehe, dass man im Landesvorstand Zeit hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen, statt mit der Bundestagswahl." Nach der Durchsicht des Materials, das die Partei veröffentlicht hat, ließ sie durchblicken: Von ihr aus könnte jetzt vorgezogener Weihnachtsfrieden im Landesverband einkehren. "Das ist die Transparenz, die ich mir gewünscht habe", sagte sie.

Es wird neu sortiert

Die Auseinandersetzung fällt in eine Zeit, in der sich die hessischen Grünen neu sortieren. Anfang des Jahres hatte CDU-Ministerpräsident Boris Rhein sie nach zehn Jahren Schwarz-Grün gegen die SPD als Koalitionspartner ausgetauscht und in die Opposition geschickt.

Während der Regierungszeit fanden die Landesvorsitzenden öffentlich und in der Partei wenig Beachtung. Im Mittelpunkt standen die damaligen grünen Minister, vor allem Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir.

In der von Mathias Wagner geführten Landtagsfraktion hat Al-Wazir nach der verlorenen Hessen-Wahl vom Herbst 2023 keine hervorgehobene Position mehr. Auf dem Parteitag am 14. Dezember in Marburg will er mit einer Kandidatur auf einem der vorderen Listenplätze die Weichen für einen Wechsel in die Bundespolitik stellen.

Schafft Al-Wazir, wie von ihm gewünscht, den Einzug in den Bundestag, würde Co-Landeschef Ewald als Nachrücker der Parteiliste den freien Sitz im Landtag bekommen. Als er Anfang des Jahres zu einem von zwei Landesvorsitzenden gewählt wurde, war der Rückhalt nicht sehr groß. In einer Stichwahl setzte er sich knapp mit 55 Prozent der Stimmen durch.