
Hessen Trotz Gesetz: Staatsanwaltschaft Fulda wollte Identität von anonymem Hinweisgeber erfahren
Ein anonymer Hinweisgeber meldete Fälle von Bereicherung in einer osthessischen Organisation. Doch die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen erst nach einigem Hin und Her aufgenommen. Transparency International warnt vor unzureichendem Hinweisgeberschutz.
Hinweisgeber leben gefährlich. Fliegen sie auf, können sie ihren Job verlieren oder mit Klagen überzogen werden. Um sie besser zu schützen, hat die Bundesregierung 2023 das Hinweisgeberschutzgesetz erlassen, das ihnen Anonymität garantieren soll. Doch wie ein Beispiel aus Osthessen zeigt, wird das Prinzip der Anonymität nicht immer eingehalten.
Seit einem Jahr versucht Fred Müller (Name von der Redaktion geändert), staatliche Stellen auf einen Fall von Vetternwirtschaft und Bereicherung in einer mit öffentlichem Geld finanzierten Organisation in Osthessen aufmerksam zu machen. Zunächst informierte er die Staatsanwaltschaft in Fulda in einem anonymen Brief über die Missstände.
Eine Strafanzeige mit konkreten Hinweisen auf Straftaten war das allerdings nicht, wie Müller heute selbstkritisch einräumt. Nachdem lange nichts passiert war, wandte er sich 2024 an die Bundesstelle für Hinweisgeberschutz.
Schutz vor beruflichen Nachteilen
Diese Stelle hat die Bundesregierung eigens eingerichtet, um dem 2023 eingeführten Hinweisgeberschutzgesetz Nachdruck zu verleihen. Das Gesetz soll sicherstellen, dass Hinweisgeber strafrechtlich relevante Informationen über Untreue, Betrug oder Korruption ohne Preisgabe ihrer Identität an die Ermittlungsbehörden weitergeben können.
Auf der Website der externen Meldestelle beim Bundesamt für Justiz heißt es dazu: "In der Vergangenheit hat es immer wieder Fälle gegeben, in denen Hinweisgeber infolge einer Meldung von Missständen beruflich benachteiligt wurden. Deswegen bieten wir ihnen den bestmöglichen Schutz ihrer Identität."
Zu Fred Müllers Anzeige gehörten Belege für mutmaßliche Vetternwirtschaft und Untreue an der Spitze seiner Organisation. Ein Mitarbeiter der Meldestelle nahm Ende 2024 Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Fulda auf. Doch der zuständige Staatsanwalt zeigte ihm die kalte Schulter.
"Die Staatsanwaltschaft Fulda hat sinngemäß mitgeteilt, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erst prüfen zu können, wenn dort Informationen über Ihre Person vorliegen", heißt es in einem Schreiben der Meldestelle an Fred Müller, das dem hr vorliegt.
Skepsis bei Staatsanwaltschaften
Aus Sicht von Jens Ullrich von Transparency International Deutschland (TI) zeigt der Fall, dass es immer noch Staatsanwaltschaften gibt, die sich das Anliegen des Hinweisgeberschutzgesetzes nicht zu eigen machen. "Nach unserer Erfahrung sind Staatsanwaltschaften oft noch etwas skeptisch", sagt der Co-Leiter der TI-Arbeitsgruppe Hinweisgeberschutz.
Für den Fall, dass Staatsanwaltschaften Fragen an Hinweisgeber haben, hat die Meldestelle einen verschlüsselten Meldekanal eingerichtet. Über diesen können Staatsanwaltschaften anonym mit Hinweisgebern kommunizieren. "Technisch können sie eine Art Verhör durchführen. Aber formaljuristisch ist es keine Vernehmung, und damit haben altmodische Staatsanwälte manchmal ein Problem", sagt Ullrich.
Wenig Erfahrung mit Meldestelle
Wie oft Staatsanwälte darauf bestehen, dass Hinweisgeber ihre Identität preisgeben, lässt sich nicht genau sagen. Auf Anfrage des hr versicherten alle hessischen Staatsanwaltschaften, sie würden auch anonymen Hinweisen nachgehen, wenn diese gut begründet seien. Ausreichende Beweise seien jedoch bei anonymen Hinweisen wichtig, da die Hinweisgeber für falsche Verdächtigungen strafrechtlich nicht belangt werden könnten.
Viel Erfahrung mit der Meldestelle haben die hessischen Behörden nicht. Lediglich die Staatsanwaltschaft Kassel nennt einen Fall, in dem ein Hinweisgeber eine mutmaßliche Insolvenzverschleppung gemeldet hat. Allerdings ohne den Namen des Unternehmens zu nennen. Es sei versucht worden, über die Meldestelle mit dem Hinweisgeber Kontakt aufzunehmen.
Wachsendes Interesse an Hinweisgeberschutzstelle
Für die Hinweisgeberschutzstelle erklärt das zuständige Bundesamt für Justiz in Bonn zum Bruch der Anonymität: "Generell kann man sagen, dass dies nicht standardmäßig geschieht, jedoch im Einzelfall vorkommt." Ein Muster, dass Staatsanwaltschaften aus bestimmten Bundesländern besonders häufig die Identität der Hinweisgeber erfahren wollten, sei nicht erkennbar.
Insgesamt hat das Interesse an der Meldestelle zugenommen. In den fünf Monaten, in denen sie 2023 online war, gingen 410 Hinweise dort ein. Im Jahr 2024 waren es rund 1.800. Insgesamt hat das Bundesamt nach eigenen Angaben bisher 95 Verfahren an eine Staatsanwaltschaft abgegeben. Weitere 181 Hinweise gingen an zuständige Stellen wie Bußgeld-, Umwelt-, Arbeitsschutz- oder Datenschutzbehörden.
Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt doch
Zurück zu Fred Müller. Frustriert darüber, dass die Justiz in seinem Fall nicht aktiv geworden war, wandte er sich Ende 2024 an den hr. Auf eine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Fulda Ende Januar antwortete die Pressestelle zunächst, es gebe im Haus dazu keinen Vorgang. Etwas später dann der Hinweis: "Anfang Januar 2025 wurde die Meldestelle gebeten, diese Unterlagen zu übersenden."
Das passt nicht zu den Informationen, die Fred Müller von der Meldestelle erhielt. Demnach forderte die Staatsanwaltschaft Fulda die Unterlagen erst Ende Januar - kurz nach der hr-Anfrage - an.
Offenbar erwiesen sich Müllers Hinweise als stichhaltig. Die Staatsanwaltschaft teilte auf Nachfrage des hr mit, "dass Ermittlungen durch die Kriminalpolizei geführt werden".
Keine Hilfe, wenn Anonymität auffliegt
Für Fred Müller ist entscheidend, dass die Justiz sich der Sache annimmt und er anonym bleiben kann. Anonymität ist aus gutem Grund wichtig, wie Jens Ullrich sagt. Wenn Whistleblower aufflögen, verlören sie in der Regel ihren Job und müssten mit Klagen wegen Verleumdung oder übler Nachrede rechnen.
In Deutschland werde die Vertraulichkeit früher gebrochen, als es die zugrunde liegende EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern vorsieht, kritisiert Ullrich. Und die von Brüssel vorgesehene Übernahme von Anwaltskosten habe es nicht in die deutsche Gesetzgebung geschafft.
Whistleblower hätten also ein doppeltes Problem, wenn sie wirklich relevante Hinweise geben, warnt Ullrich: "Sie können sich nicht sicher sein, dass sie anonym bleiben. Und sie laufen Gefahr, später ihre Anwaltskosten komplett selbst tragen zu müssen."