Fachtagung Uni Marburg zu Forensik und menschlicher Stimme

Hessen Uni-Experten helfen der Polizei : So kommen Wissenschaftler in Marburg den Tätern auf die (Audio-)Spur

Stand: 01.09.2024 11:11 Uhr

Eine Wohnung überwachen oder das Telefon abhören: Das darf die Kriminalpolizei in bestimmten Fällen - zum Beispiel, wenn sie gegen Terrorverdächtige ermittelt. Am Zentrum für Sprachforschung der Uni Marburg werden solche Aufnahmen analysiert.

Von Marc Klug

Gea de Jong-Lendle sitzt stundenlang in einem schalldichten Raum an der Uni Marburg. Wenn sie einen Fall übernimmt, dann hört sie das Knacken der Telefonleitung, den lauten Straßenlärm und vor allem Stimmen, die miteinander reden. Was dort besprochen wird, ist meist schwer zu verstehen – aber eben polizeirelevant.

NSU-Morde wurden auch in Marburg aufgeklärt

Mit ihrem Fachwissen als forensische Phonetikerin unterstützt sie regelmäßig die Kriminalpolizei. Das heißt, sie identifiziert verdächtige Stimmen auf einer Audio-Aufnahme, etwa über die Aussprache und den Dialekt. Oder wertet Telefon-Mitschnitte aus – wie zum Beispiel bei den Ermittlungen gegen den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).

Gea de Jong-Lendle

Gea de Jong-Lendle

Zwischen 2000 und 2007 hatten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe insgesamt zehn Menschen ermordet, dazu mehr als 40 weitere versuchte Mordanschläge verübt. "Es haben unfassbar viele Opfer gelitten und es ist einfach ein gutes Gefühl, dass wir einen kleinen Teil dazu beigetragen haben, dass das aufhört", sagt de Jong-Lendle.

Die beste Software befindet sich in unseren Köpfen

Natürlich gibt es mittlerweile auch Computer-Programme, die Telefon-Mitschnitte oder andere Aufnahmen auswerten können. Die stoßen laut de Jong-Lendle aber oft an Grenzen, etwa bei einer schlechten Audio-Qualität, lauten Hintergrundgeräuschen, oder einem Mix aus mehreren Stimmen. 

"Das menschliche Gehirn kann sich sehr gut auf eine einzige Stimme fokussieren und alles andere ausblenden", sagt die Phonetik-Expertin. Anders als ein Computer-Programm, könne das Gehirn sehr genau Hintergrundgeräusche von einer Stimme unterscheiden. "Das ist eine Fähigkeit, die jeder Mensch hat." 

Wie eine verdächtige Stimme überführt werden kann

Woran das liegt, das erforscht Paula Rinke in Marburg mit ihrer Doktorarbeit. Unter anderem greift sie auf eine Studie zurück, laut der fast jeder Mensch die Stimme von Angela Merkel problemlos erkennt. "Das Gehirn verarbeitet Stimmen innerhalb von 150 Millisekunden, das ist noch nicht mal eine Silbe."

Paula Rinke

Paula Rinke

Gerade diese Erkenntnis sei für die Forensik besonders relevant, wenn es um die Verlässlichkeit von Ohrenzeugen geht. Eine Stimme verrät aber noch viel mehr als nur die Tatsache, ob wir sie kennen oder nicht. Lispeln, Räuspern, Atempausen – auch anhand solcher Faktoren wird in Marburg ein Stimmprofil erstellt.  

Ein Hinweis ist auch der Dialekt einer verdächtigen Stimme, sagt de Jong-Lendle. "Für uns ist wichtig, ob jemand das Wort Brot zum Beispiel mit einem harten R oder einem weichen R ausspricht." Eine Software könne diese kleinen, aber feinen Unterschiede in der Aussprache allerdings (bisher) nicht erkennen. Dabei hilft eine weltweit einzigartige Datenbank über verschiedene Sprachen und Dialekte in Marburg, der "Deutschen Sprachatlas".

Deutscher Sprachatlas

Bereits im 19. Jahrhundert hat Sprachwissenschaftler Georg Wenker an der Uni-Bibliothek in Marburg eine Karte über verschiedene Dialekte in der deutschen Sprache erstellt. Im Jahr 1888 gründete er das Institut für Sprachforschung gegründet, das im Jahr 1956 seinen heutigen Namen "Deutscher Sprachatlas" erhielt. Seit acht Jahren befindet sich die Sammlung in einem Neubau im Dokumentationszentrum am Pilgrimstein.

Auch die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei hat eine lange Tradition. Schon bei den Ermittlungen gegen die Rote Armee-Fraktion in den 1970er- und 1980er-Jahren, haben Experten von der Uni Marburg geholfen. Damals wurden vor allem Telefonate entschlüsselt. Heute helfen Phonetiker aber zum Beispiel auch, den Verfasser eines Drohbriefs zu bestimmen. 

In dieser Woche haben sich etwa hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt in Marburg getroffen. Bei der Fachtagung ging es nicht nur um die menschliche Stimme, sondern auch um die Möglichkeiten, diese mit neuester Technik zu fälschen.  

Nicht jeder Stimme kann vertraut werden

 Sogenannte Deep Fakes werden immer glaubwürdiger. Das sind Aufnahmen, die klingen, als kämen sie von einer bekannten Person – wie etwa Angela Merkel. Tatsächlich sind sie aber mithilfe von künstlicher Intelligenz erstellt worden.  

Bisher sei das vor allem wegen Falschmeldungen im politischen Bereich ein Problem, sagt Anil Alexander. Er leitet eine Firma in Oxford (England) und entwickelt Software, die genau das entlarven soll. "Deep Fakes werden bald auch im normalen Leben auftauchen, dann müssen wir uns alle damit auseinandersetzen", ist er sicher. 

Deep Fakes bald im normalen Alltag?

Als Beispiel nennt er weit verbreitete Betrugsmaschen: Eine Stimme gebe sich als Familienangehöriger aus und fordere Geld. "Die heutige Technik macht es möglich, dass so eine Stimme natürlich klingt, weil sie zum Beispiel stottert und eben nicht perfekt formuliert", sagt er.  

Einige Anbieter von künstlicher Intelligenz würden laut ihm damit werben, dass es nur eine Original-Aufnahme von 30 bis 60 Sekunden braucht, um einen glaubwürdigen Deep Fake – zum Beispiel von Angela Merkel – zu erstellen.

"Es braucht aber wesentlich mehr, um alle Eigenheiten der menschlichen Stimme zu erfassen – unter einer Stunde Material geht da nichts", so Alexander. Ein Problem sei allerdings, dass es massenhaft Videos und Audios im Internet gibt, gerade von berühmten Menschen.  

Die Lösung? – Ganz genau hinhören

"Ich denke, das Wichtigste ist es deshalb, Inhalte zu hinterfragen", sagt auch Paula Rinke. Zum Beispiel mit einer Frage wie "Kann es sein, dass Politiker X oder Promi Y solche Sätze wirklich sagen würde?" 
 
Die 27-jährige will auch nach ihrer Doktorarbeit helfen, verdächtige Stimmen oder gefälschte Aufnahmen zu entlarven – und die erstaunlichen Fähigkeiten des Gehirns einsetzen, um anderen zu helfen.