Das Deckblatt der Dissertation des beschuldigten Arztes ist zu sehen. Sein Thema: Tötungsdelikte in Frankfurt am Main - ein Überblick von 1945 bis 2008.

Hessen Goethe-Uni Frankfurt schöpfte bei Berliner Todesarzt keinen Verdacht

Stand: 03.12.2024 13:42 Uhr

In Frankfurt promovierte er über Tötungsdelikte, in Berlin soll er acht ältere Patienten ermordet haben: Die Goethe-Uni sieht im Fall des mutmaßlichen Todesarztes keine frühzeitigen Alarmsignale - trotz teils brisanter Passagen in der Doktorarbeit.

Von Tobias Weiler-Mattes und Sophia Averesch

Die Goethe-Universität Frankfurt hat die Mordermittlungen gegen einen ihrer Absolventen im Fachbereich Medizin bestätigt. Der Mann, der zwischen 2004 und 2013 in Frankfurt studierte und promovierte, soll in verschiedenen Berliner Gesundheitseinrichtungen acht Patienten und Patientinnen unter anderem mit tödlichen Medikamentengemischen umgebracht haben.

Wie ein Sprecher der Uni auf hr-Anfrage mitteilte, hatte der zuständige Fachbereich bereits im August der Berliner Mordkommission Auskunft über den Absolventen im Studiengang Humanmedizin gegeben. Auch der Doktorvater des beschuldigten Mediziners sei dabei befragt worden. Dieser habe "keine bemerkenswerten Erinnerungen an den Doktoranden" gehabt, erklärte der Sprecher.

Dissertation über Tötungsdelikte in Frankfurt

In seiner Doktorarbeit, die dem hr vorliegt, befasste sich der heute 40 Jahre alte Beschuldigte unter dem Titel "Tötungsdelikte in Frankfurt am Main - ein Überblick von 1945 bis 2008" mit statistischen Erhebungen und Schlussfolgerungen aus gewaltsamen Todesfällen. Auch die Tötung älterer Menschen und eine hohe Dunkelziffer bei der Aufklärung wird darin erörtert.

Mit Quellenverweisen führte er an, dass Tötungen bei pflegebedürftigen Menschen nicht leicht nachzuweisen seien oder Täter bei älteren Opfern mit weniger Widerstand rechnen müssten. Bei Leichenschauen werde aufgrund unzureichender gesetzlicher Regelungen eine Fremdeinwirkung zudem häufig übersehen.

Dabei verwies der Mediziner in der Dissertation auch auf eine Altenpflegerin aus Nordrhein-Westfalen, die neun Menschen mit einem Kissen erstickt hatte und deren Tötung in der ersten Leichenschau nicht aufgefallen war.

Doktorarbeit laut Uni unauffällig

Nach Einschätzung der Goethe-Uni war die Doktorarbeit des Absolventen jedoch grundsätzlich unauffällig: Es handele sich "um eine im Wesentlichen statistische Arbeit, die auf einer Auswertung der Kartei der Frankfurter Mordkommission beruht".

Am Institut für Rechtsmedizin promovierten Studierende sehr häufig über Tötungsdelikte, teilte die Uni mit. Die fragliche Arbeit steche dabei weder heraus noch lege sie einen besonderen Fokus auf die Tötung alter Menschen. Der Aspekt sei lediglich in einem Unterkapitel behandelt worden.

Ermittlungen wegen Mord an acht Patienten

Seit Anfang August sitzt der Mediziner in Untersuchungshaft, inzwischen wegen des Verdachts des Mords an acht Patienten und Patientinnen. Zuletzt hatte er in Berlin als Palliativmediziner gearbeitet und Patienten mit schweren, meist unheilbaren Krankheiten ärztlich betreut.

Als Mitarbeiter eines Pflegedienstes soll der gebürtige Frankfurter im Juni dieses Jahres vier Patientinnen getötet und anschließend in ihren Wohnungen Feuer gelegt haben, um die Taten zu verdecken.

Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm außerdem in den Jahren 2022 und 2024 vier weitere Tötungen in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen vor. Er soll seinen Opfern unter anderem ein tödliches Medikamentengemisch verabreicht haben. Die Ermittler gehen vom Mordmerkmal der Mordlust aus.

Frankfurter Nordwest-Krankenhaus prüft Unregelmäßigkeiten

Vor seinem Wechsel nach Berlin arbeitete der Mediziner zwischenzeitlich auch im Frankfurter Nordwest-Krankenhaus im Stadtteil Praunheim.

Wie ein Sprecher dem hr mitteilte, habe die Klinik inzwischen eine externe Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, die nun prüfe, ob es im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Arzt Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Patienten gegeben habe.

Von April 2011 bis Februar 2014 hatte der Mediziner einen Teil seiner Facharztausbildung am Nordwest-Krankenhaus absolviert, anschließend war er von März 2015 bis September 2016 in der Radioonkologie der Klinik beschäftigt.

"Wir stehen im regelmäßigen Austausch mit den Ermittlungsbehörden und unterstützen rückhaltlos die Ermittlungen", betonte der Kliniksprecher.