Ein LKW fährt durch Edermünde-Grifte.

Hessen Verkehrschaos in Edermünde-Grifte: Google Maps lotst Fernverkehr durch marode Ortsdurchfahrt

Stand: 31.07.2024 11:19 Uhr

Jeden Tag schieben sich unzählige Fahrzeuge durch Edermünde-Grifte, auch weil Google die Route als Autobahn-Ausweichstrecke ausweist. Besonders heikel: Lkw dürfen wegen eines maroden Brückenbauwerks hier eigentlich gar nicht fahren.

Von Stefanie Küster

Osnabrück, Bielefeld, Niederlande - Autos und Lastwagen aus nah und fern fahren dicht an dicht durch den Edermünder Ortsteil Grifte (Schwalm-Eder). Viel Verkehr gibt es in dem knapp 2.000-Einwohner-Ort schon lange. Doch zuletzt ist das Aufkommen immer weiter gestiegen.  

Edermünde-Grifte kämpft gegen Verkehrschaos

Anwohnerinnen wie Petra Krieger stinkt das gewaltig. Selbst nachts donnerten die Lkw durch den Ort, erklärt sie: "Da wackelt das ganze Haus, an Schlaf ist nicht zu denken." Krieger ist Mitglied der Bürgerinitiative L3221, die sich seit Jahren gegen den Verkehr in Grifte wehrt. 

Umgehung für gesperrte Autobahnen

Die Gründe für die gestiegene Verkehrsbelastung sind Sperrungen und Baustellen auf den Autobahnen A49 und A44 rund um Kassel. Für Reisende aus dem Westen ist die Fahrt Richtung Süden auf die A7 deshalb eine Herausforderung. Ein Blick auf Google Maps zeigt eine scheinbar sinnvolle und zeitsparende Route mitten durch Grifte. Denn der Ortsteil liegt genau zwischen A49 und A7, nur gut fünf Kilometer trennt hier die eine von der anderen Autobahn. 

Die Karte zeigt die Route, die Google Maps zeigt, dazu die ausgeschilderte Umleitung über die A49.

Edermündes Bürgermeister Thomas Petrich (unabhängig) beobachtet die tägliche Fahrzeugkolonne mit wachsender Sorge. Trauriger Höhepunkt sei ein Wochenende Mitte Juli gewesen. Da hätten die Navigationssysteme den Transitverkehr wegen der Überlastung der L3221 "sogar durch die Wohngebiete in Grifte geschickt", klagt Petrich.

Bürgermeister Thomas Petrich (unabhängig) steht an der Guxhagener Straße.

"Katastrophe mit Ansage": Bürgermeister Thomas Petrich (unabhängig).

Google: Fall zur internen Bearbeitung

Google wollte sich auf hr-Anfrage nicht zu diesem Einzelfall äußern. Eine Sprecherin des Unternehmens teilte allerdings mit, dass der Fall Grifte bereits zur internen Bearbeitung vorliege. Ob die Abkürzung durch den Ort künftig nicht mehr oder nur mit einer Einschränkung für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen angezeigt wird, dazu wollte sie sich nicht äußern.

Nutzerinnen und Nutzer könnten fehlerhafte Informationen auf Google Maps jederzeit melden, so die Sprecherin. Sie betonte, dass der Online-Routenplaner nicht für LKW gedacht sei, sondern lediglich für PKW, Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV.

Uli Theis, der sich ebenfalls in der Bürgerinitiative engagiert, kann das nicht verstehen. Man könne doch nicht ganz NRW und die Niederlande durch Grifte leiten.

Fahrzeugmengen seit 2021 verdoppelt

Für den Ort besteht eigentlich ein Verbot für Lkw über 3,5 Tonnen. Denn die Durchfahrt ist keine normale Straße, sondern eine lange Brücke aus großen Betonrahmen über dem unterirdisch fließenden Pilgerbach. Deshalb wird bereits an den Autobahn-Ausfahrten auf die Beschränkung hingewiesen. Außerdem kontrolliert seit kurzem die Polizei regelmäßig an beiden Kreiseln an den Ortseingängen. Doch weder die Schilder noch die Kontrollen scheinen den gewünschten Erfolg zu bringen.

"Nach einer halben Stunde hat sich das über Funk unter den Lkw-Fahrern rumgesprochen, dann kommt erst mal keiner mehr", berichtet ein anderes Mitglied der Bürgerinitiative. Und so ändere das nur kurzfristig etwas an den Lastwagen-Mengen. Bürgermeister Petrich hält die unter Anliegern gehandelte Zahl von rund 1.000 Lkw pro Tag für realistisch.

Leider zeigt es sich, dass trotz der klaren Verkehrszeichen immer noch Lkw illegaler Weise durch Grifte fahren. Auch wir ärgern uns darüber. Mit Blick auf die Belastbarkeit des Bauwerks ist jeder Lkw einer zu viel.  Marco Lingemann (Hessen Mobil)

Zählungen von Hessen Mobil hatten etwas anderes ergeben. So waren 2021 insgesamt 9.800 Fahrzeuge pro Tag gezählt worden, davon hatte die Behörde 400 Fahrzeuge des Schwerlastverkehrs, also Lkw, Busse und Landmaschinen, ermittelt. Bei einer Zählung Ende Juni waren von Hessen Mobil mehr als 20.000 Fahrzeuge festgestellt worden, davon 450 Fahrzeuge des Schwerlastverkehrs. 

"Katastrophe mit Ansage"

Grifte sei ein "extrem hoch belasteter Hotspot", resümiert Bürgermeister Petrich. Das Problem habe sich seit Start der Sommerferien noch einmal verschärft, dabei sei die aktuelle Situation eine "Katastrophe mit Ansage".  

Denn bereits 2021 hatte sich die Gemeinde gemeinsam mit der Stadt Baunatal (Kassel) in einem Hilferuf an das Hessische Verkehrsministerium gewandt und auf den baulichen Zustand der beiden Straßen aufmerksam gemacht. Die beiden Landesstraßen L3221 und L3316 seien in den Orten Baunatal-Hertingshausen und Grifte weder verkehrs- noch zeitgemäß und eine "unfassbare Zumutung".

Die Route durch die beiden Orte ist als Bedarfsumleitung für die marode Bergshäuser Brücke an der A44 klassifiziert. Beide Orte hatten die Sorge geäußert, dass sich die Bauzeit der Brücke verlängere und eine Lösung in Form von Ortsumgehungen und Lärmschutzmaßnahmen gefordert.

Das Land Hessen hatte zu dem Zeitpunkt versichert, bei der Bergshäuser Brücke im Zeitplan zu sein und diese bis 2028 fertigzustellen. Damals hatte das Ministerium unter Tarek Al-Wazir (Grüne) versprochen, dass Hessen Mobil den Zustand der Straßen im Auge habe, sollte bereits vorher eine Verschlechterung festgestellt werden. 

Hessen Mobil: Jeder Lkw ist einer zu viel

Das ist jetzt offenbar der Fall. Auf hr-Anfrage erklärte ein Sprecher von Hessen Mobil, man nehme die Situation an der Landesstraße in Grifte sehr ernst und will die Fahrbahnsanierung jetzt notgedrungen in Angriff nehmen. Durch das Alter der unsichtbaren Betonrahmen und dem erhöhten Verkehrsaufkommen vor allem auch beim Schwerverkehr habe die Belastbarkeit des Bauwerks in den vergangenen Jahren stark nachgelassen, so der Sprecher.  

Das Regierungspräsidium Kassel als zuständige Verkehrsbehörde hatte bereits im Frühjahr das bestehende Lkw-Durchfahrtsverbot verschärft und umgesetzt. Viele Lastwagenfahrer ignorieren allerdings das Verbot. Auch bei Hessen Mobil ärgere man sich darüber, so der Sprecher. Mit Blick auf die Belastbarkeit des Bauwerks sei "jeder Lkw einer zu viel". 

Geesa Theessen, Katja Stein, Petra Krieger und Günter Börner von der Bürgerinitiative L3221.

Geesa Theessen, Katja Stein, Petra Krieger und Günter Börner von der Bürgerinitiative L3221.

Vollsperrung in Grifte ab Mitte August

Für die geplagten Anwohner und die marode Brücke ist ab Mitte August ein Ende in Sicht. Denn dann wird die Guxhagener Straße voll gesperrt. Hessen Mobil wird dann mehrere Monate lang die Fugen zwischen den Betonrahmen über dem Pilgerbach reparieren. Die Zeit will man aber auch dafür nutzen, um Lösungen zu finden, wie der Lkw-Verkehr künftig aus Grifte herausgehalten werden kann. 

Anwohnerin Petra Krieger hat Hoffnung, dass es bald besser wird. Und bis dahin wird sie allen Lkw weiter den Daumen runter zeigen, auch wenn das nichts bringe. Man bekomme entweder den Stinkefinger gezeigt oder die Fahrer schauten stur geradeaus, so Krieger, "weil sie genau wissen, dass sie hier nicht durch dürfen".