Eine Frau in grauer Jacke und grauer Mütze steht auf einem Spielplatz (im Hintergrund unscharf spielende Kinder auf einem Karussell) und blickt ernst in die Kamera.

Hessen Verzweifelte Eltern in Hünfeld: Kita kürzt Betreuungszeiten drastisch

Stand: 03.01.2025 09:42 Uhr

Massiver Personalmangel in einer Hünfelder Kita stellt die Eltern vor ein Dilemma. Weil die Einrichtung die Betreuungszeiten drastisch kürzt, fürchtet manch eine Mutter berufliche Konsequenzen.

Von Jörn Perske

Christine Krahe ist verzweifelt. Ihre Kinder, die vierjährige Zoe und die sechsjährige Holly, besuchen die Kindertagesstätte St. Laurentius in Hünfeld-Mackenzell (Fulda). Doch die Einrichtung reduziert die Betreuungszeiten jetzt deutlich.

Nun muss die Mutter irgendwie zusätzliche Betreuung organisieren. "Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll", klagt Krahe. Wahrscheinlich werde sie notgedrungen ihre Arbeitszeiten als Verwaltungsbeamtin reduzieren müssen.

Ab Januar ist schon um 13.30 Uhr statt um 16.30 Uhr Schluss. Zudem wird jede der vier Gruppen an einem Tag pro Woche geschlossen. Und die Winterferien werden um eine Woche bis Mitte Januar verlängert.

Für Krahes Freundin Fatima Moutmir, die ihren fünf Jahre alten Sohn Saeed in der Kita hat, ist das ein "Schock", wie sie sagt. "Ich habe keine Familie hier, bin alleinerziehend. Ich weiß nicht, was ich tun soll." Sie befürchtet, dass sie im schlimmsten Fall ihre Ausbildung zur Industriekauffrau abbrechen muss.

Eine Frau in grauer Jacke steht auf einem Spielplatz (im Hintergrund unscharf spielende Kinder auf einem Karussell) und blickt ernst in die Kamera.

Fatima Moutmir sorgt sich darum, wie sie künftig ihren Sohn Saeed betreuen soll.

Kita-Wechsel ist keine Option

Die Kita zu wechseln, ist für beide Mütter keine Option. "Man muss froh, sein, überhaupt einen Platz zu haben", sagt Krahe.

Der Träger, die katholische Kirchengemeinde Heilige Maria Magdalena, und das übergeordnete Bistum Fulda bedauern die Reduzierung der Öffnungszeiten und begründen sie mit einer angespannten Personalsituation. "Wir verstehen die Sorgen und den Unmut der Eltern", versicherte das Bistum.

Hilferuf auf Transparent: "Wir sind am Limit"

Die betroffenen Eltern der rund 90 Kinder hatten ihrem Ärger vor kurzem bei einer Protestaktion Luft gemacht. Mit Transparenten, die sie an der Kita anbrachten, machten sie auf ihre Lage aufmerksam. Darauf war zu lesen: "Bitte helft uns" und "Wir sind am Limit".

Doch auch der Betreiber ist am Limit, wie er schildert. Denn die Probleme, die zur Personal-Not geführt haben, sind vielfältig. Neben dem Fachkräftemangel gebe es immer wieder schwere und langfristige Erkrankungen im Personal-Stamm. Zusätzlich habe es noch saisonbedingte Krankheitsfälle gegeben, die die Situation verschärft hätten, erklärten der Träger und das Bistum.

Krankheitsbedingte Ausfälle nehmen zu

Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung haben krankheitsbedingte Ausfälle in Kitas in Hessen und bundesweit mittlerweile ein "dramatisches" Niveau erreicht. So sind Mitarbeitende in Kitas im vergangenen Jahr in Hessen deutlich häufiger krank ausgefallen als Beschäftigte in anderen Berufen.

Mit Blick auf die Personal-Ausfälle sagt Mutter Christine Krahe: "In den letzten Wochen ist die Situation immer weiter eskaliert." Aktuell würden insgesamt fünf Erzieherinnen oder Erzieher fehlen, so Krahe.

Das Bistum machte keine Angaben zur Anzahl unbesetzter Stellen. Die Pressestelle erklärte aber: Aktuell müssten 321 Stunden pro Woche von Fachkräften abgedeckt werden, wegen Ausfällen und Personalmangel stünden derzeit aber nur etwas mehr als 171 Stunden zur Verfügung.

Krahe sieht darüber hinaus auch eine hohe Fluktuation in der Einrichtung - Personal komme und gehe in rascher Folge. "Ich habe 19 Erzieherinnen und Erzieher in den vergangenen drei Jahren gezählt", sagt sie. Da sollte man prüfen, woran das liegt, findet sie.

Bistum und Stadt wollen Lösung finden

Der Träger, das Bistum und die Stadt Hünfeld wollen sich im Laufe des Januars beraten, um einen Ausweg aus der Misere zu finden. Womöglich sollen Kinder, deren Eltern an Schließtagen keine Betreuung organisieren können, in anderen Gruppen unterkommen. Doch diese Möglichkeit wird wahrscheinlich nur begrenzt angeboten werden können.

Das Ziel fürs kommende Jahr ist laut der Kirche, die Betreuung "so schnell wie möglich wieder in vollem Umfang sicherzustellen", wie das Bistum erklärte. Wenn die Kirche dies nicht bewerkstelligen kann, muss die Stadt Hünfeld das Problem lösen. Sie kann dies aber delegieren und zum Beispiel auch an einen freien Träger übertragen.

Probleme auch an anderen Orten

Probleme wie in Hünfeld gibt es auch an anderen Orten Hessens. Im Sommer schlugen 26 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dem Main-Kinzig-Kreis Alarm und wandten sich hilfesuchend an die Landesregierung. Die Situation sei dramatisch, hieß es. Aufgrund des Personalmangels sei es fast unmöglich geworden, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz zu erfüllen. 

Das Hessische Sozialministerium in Wiesbaden erklärte auf Anfrage des hr: Es würden zwar immer mehr Plätze geschaffen, dennoch gebe es "Schwierigkeiten im laufenden Betrieb". Etwa wegen verkürzter Öffnungszeiten oder Gruppenschließungen. Das Problem lösen müssten allerdings die jeweils betroffenen und verantwortlichen Kommunen.

Wirtschaftsexpertin: Betreuungsangebote mangelhaft

Der Personalmangel in Kitas führte sogar jüngst dazu, dass sich die Chefin der "Wirtschaftsweisen", Monika Schnitzer, mahnend zu Wort meldete. Die Sachverständige zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hält die Kinderbetreuungsangebote in Deutschland für mangelhaft.

Schnitzer sagte: "Die Kitas sind viel zu wenig Stunden am Tag geöffnet, sie sind nicht zuverlässig, schließen zu viele Wochen im Jahr. Man kann sich auf die Kitas nicht verlassen." Das Betreuungssystem beruhe darauf, dass man Großeltern einbeziehe oder sich privat – wenn man es sich leisten könne – Babysitter organisiere. "Wer das nicht kann, hat keine andere Wahl, als seine Arbeitszeit zu reduzieren", sagte die Ökonomin.

Mehr Geld und Personal gefordert

Um das Kita-System zu stärken, brauche es mehr Geld und Personal, so Schnitzer. "Mit einer verlässlicheren Betreuung könnte man viel zusätzliche Arbeitszeit gewinnen. Hochqualifizierte Kinderbetreuung ist zudem extrem wichtig für die Integration."

Doch bei der Frage nach qualifiziertem Personal ergibt sich das nächste Dilemma. Denn um den Betrieb trotz dünner Personaldecke aufrechtzuerhalten, werden einer Anfang Dezember veröffentlichten Studie zufolge zunehmend Menschen ohne formale pädagogische Voraussetzungen in den Kindertagesstätten eingestellt. 

Laut den Studien-Daten gab es im Vorjahr in Hessen nur in 36 Prozent der Kita-Teams eine hohe Fachkraft-Quote, bei der mehr als acht von zehn pädagogisch Tätigen über mindestens einen einschlägigen Fachschulabschluss verfügen. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 traf dies noch auf 47 Prozent der Teams zu. Mit 11 Prozentpunkten fällt der Rückgang in Hessen etwas deutlicher aus als auf Bundesebene (minus 9 Prozentpunkte).

Und das Personal, das verfügbar ist und arbeitet, klagt über massive Überlastung. Eine Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Bertelsmann Stiftung zeigte: Fast die Hälfte der befragten Kita-Mitarbeitenden gab an, sich täglich oder fast täglich im beruflichen Alltag überlastet zu fühlen.

Doch auch Christine Krahe und Fatima Moutmir in Hünfeld berichten, dass sie und andere Eltern "erschöpft und müde" seien - von dem Versuch, Berufs- und Familienleben mit einer nicht funktionierenden Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen.