Hessen Carsten Büchling: Wer ist der Mann, der für 17.000 VW-Mitarbeitende spricht?
Carsten Büchling ist Betriebsratsvorsitzender von Volkswagen in Nordhessen. Anspannung und Sorge bestimmen in der Krise seinen Alltag. Und doch sieht der 53-Jährige keinen Grund, "den Kopf in den Sand zu stecken", wie er sagt. Was treibt ihn an?
Nach der Pressekonferenz zur großen Betriebsversammlung in Halle 2 im Kasseler VW-Werk am Standort Baunatal (Kassel) bricht es aus Carsten Büchling heraus. Vor der Kamera kann er die Tränen kaum zurückhalten.
Der Grund: Er hat den eigenen Hochzeitstag vergessen. Eine Whatsapp seiner Frau hat ihn während der mehr als sechs Stunden dauernden Versammlung erreicht und ihn daran erinnert.
Aufregung vor der Rede bei der Betriebsversammlung
Vor seiner Rede hat Büchling schlecht geschlafen. Immer wieder ist er aufgewacht und hat seine Worte noch einmal gelesen und ergänzt, erzählt er. Der Anspruch an sich selbst ist hoch an diesem Dienstag. Denn er wird nicht nur vor den VWlern in Baunatal sprechen.
Arbeitsministerin Heike Hofmann und Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (beide SPD) haben sich angekündigt. Der hohe Besuch aus Wiesbaden will sich ein Bild von der brisanten Lage machen.
Büchling macht sich Sorgen um den Standort. "Wenn hier massiv abgebaut wird, dann sind wir alle irgendwann raus", sagt er. "Wie geht es weiter?" - das ist die Frage, die Büchling derzeit am häufigsten hört und die alle beschäftigt.
Er könne diese Frage nicht vollständig auflösen, so der Betriebsratsvorsitzende, "aber wir haben keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken". Das Unternehmen müsse sich "endlich einen großen Schritt auf die Beschäftigten zubewegen".
Im Fokus der Medien: Carsten Büchling bei der Pressekonferenz nach der Betriebsversammlung.
Ein Platz am Verhandlungstisch in Wolfsburg
Seit der Krise bei Volkswagen ist der Betriebsratsvorsitzende in ständiger Anspannung. Bei den Verhandlungen in Wolfsburg sitzt er mit am Tisch. In seinem Büro tauscht er sich mehrmals pro Woche mit seinen Kolleginnen und Kollegen über geplante Aktionen aus. Höhepunkte sind bisher der Warnstreik am vergangenen Montag und die Betriebsversammlung einen Tag darauf.
Büchling ist seit zwei Jahren Betriebsratsvorsitzender des weltgrößten Komponentenwerks des Wolfsburger Konzerns. 1991 hat er hier eine kaufmännische Ausbildung begonnen. Seitdem ist er in der IG Metall, bereits 1999 wird er in den Betriebsrat gewählt.
Wird der "Kasseler Weg" zum Holzweg?
Die Krise des Volkswagen-Konzerns bündelt sich bei ihm in einer Person. Vielleicht auch, weil das Verhältnis zum Management in Kassel ein anderes ist. Hier hat man immer eine Lösung gesucht. Und eine gefunden. Mit dem "Kasseler Weg” entwickelte man eine gemeinsame Standortstrategie bis 2030. Soziale Verantwortung, Wirtschaftlichkeit, Klimaschutz - auf diesen drei Säulen fußt der Kasseler Weg. Auch die Transformation soll Bestandteil davon werden.
Büchling war immer mittendrin. Jetzt sieht sich der 53-Jährige einer gewaltigen Krise und einem Scherbenhaufen gegenüber. Er ist getrieben davon, diesen so zu kitten, dass die Menschen hier bei VW in Nordhessen zuversichtlich bleiben - und damit der Kasseler Weg nicht zum Holzweg wird.
Und so will Büchling das verhindern, was mit Werksschließungen, Massenentlassungen und Gehaltseinbußen als "schlimmstes Drohszenario" im Raum steht. "Das alles wird es mit uns nicht geben", zeigt er sich kämpferisch.
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Sohn ist "extrem stolz"
Beim Warnstreik am Montag macht ein junger Mann in IG Metall-Outfit Fotos. Sein Name: Cedric. Der 28-Jährige ist der Sohn von Carsten Büchling. Auch er hat eine Ausbildung bei VW gemacht, derzeit ist er in der Freistellung - mit Wiedereinstellungszusage.
Seit seiner Geburt ist der Vater Teil der Interessensvertretung bei Volkswagen. Schon als kleiner Junge wurde er auf IG Metall-Veranstaltungen mitgenommen. "Insofern war es für mich immer ganz normal, sich für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen einzusetzen", berichtet Cedric. Seine Eltern haben sich früh getrennt, Lebensmittelpunkt des Jungen war beim Vater.
Immer wieder im Austausch: Cedric Büchling (links) mit seinem Vater Carsten.
Auf den sei er "extrem stolz". Es sei eine "unglaublich großartige Leistung", als Interessenvertreter die Stimme von 17.000 Menschen am Standort hinter sich zu vereinen, sagt er. Das Engagement zeige, wie sehr seinem Vater "die Interessen und die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen am Herzen liegen".
Vater und Sohn sind immer wieder im Austausch, auch wenn Cedric seine Heimatstadt Kassel schon lange verlassen hat. Regelmäßig telefonieren sie am Abend.
Natürlich gibt es auch mal Konflikte, in denen sein Vater "jobbedingt eine etwas strengere Gangart an den Tag legt", sagt der 28-Jährige und sieht sich in so einem Fall als Korrektiv: "Ich sage dann: 'Papa, ich bin nicht das Unternehmen, sondern wir müssen an einem Strang ziehen'".
Was Büchling antreibt
Woher nimmt Büchling die Motivation für seine Aufgaben? Der 53-Jährige schiebt das auf seine Politisierung in der Jugend. Mit 13 oder 14 Jahren habe er sich "so für Politik interessiert", dass er sich in der örtlichen Juso-Gruppe engagiert habe. Relativ früh ist er dann in die SPD eingetreten und war dort einige Jahre aktiv.
Das tolle verbindende Gefühl ist das gemeinsame Erreichen von Zielen und das Einsetzen für berechtigte Forderungen. Carsten Büchling
Seine Vision: sich gemeinsam für berechtigte Forderungen einzusetzen und gemeinsame Ziele zu erreichen. Wenn er die Möglichkeit bekommt, Politik im Betrieb zu machen - dann ist das genau das Richtige für ihn.
Dabei wollte er nach dem Abi eigentlich in den gehobenen Dienst und Bürgermeister werden. Doch ein versemmelter zentraler Test verbaute ihm diesen Weg - eine Bewerbung bei VW war hingegen erfolgreich. Er hofft, hier in Rente zu gehen, doch "die große Sicherheit, die wir bis vor kurzem hatten, gibt es nicht mehr".
Wie war die Betriebsversammlung? Carsten Büchling beim Feedback mit dem Betriebsrat in Baunatal.
Familie als Stütze
Unterstützung in dieser stressigen Zeit erfährt er von seiner Frau und den Kindern. Neben seinem erwachsenen Sohn hat der 53-Jährige zwei kleine Kinder.
Und doch hat sich der Fokus des Familienvaters verschoben. Er ist auf das gerichtet, "was bei VW passiert". Trotzdem hat er den Anspruch, ausreichend Zeit für seine Familie aufzubringen.
Das gelingt ihm nicht immer. Maximal an den Wochenenden schafft er es, gedanklich Feierabend zu machen. Um die beiden Kleinen morgens in den Kindergarten zu bringen, nimmt er am ersten Termin des Tages online teil.
Posten nie bereut
Am Tag nach der Betriebsversammlung ist Büchling schon wieder unter Druck. Am Morgen lässt er die Veranstaltung mit seinem Team Revue passieren, auf dem Schreibtisch türmen sich die Akten zum Unterschreiben. Schon am Nachmittag geht der Zug nach Wolfsburg - zur nächsten Besprechung.
Ich halte so lange durch, bis wir uns erfolgreich durchgesetzt haben. Carsten Büchling
Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht - wie lange hält Büchling noch durch? "Bis wir uns erfolgreich durchgesetzt haben", kündigt der Betriebsratsvorsitzende an. Bereut hat er seinen Posten noch nie.
Den Hochzeitstag hat Büchling mit seiner Frau dann doch noch gefeiert, abends. Aber erst, nachdem er mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom Betriebsrat eine Pizza essen war. Denn diese gemeinsame Tradition nach jeder Betriebsversammlung darf auch an einem solchen Tag nicht fehlen, sagt er.