Künstler Atish

Hessen Weltflüchtlingstag: Wie ein schwuler Künstler in Frankfurt Zuflucht fand

Stand: 20.06.2024 12:19 Uhr

Weil er schwul ist, verbrachte der iranische Künstler Atish sein halbes Leben auf der Flucht. Derzeit sind seine Werke in Frankfurt zu sehen, aber Atish träumt von mehr.

Von Christiane Schwalm

"I am transsexual. I am alone. I am tired. I am a refugee. I want help", steht in krakeliger Kulischrift in einem Notizbuch von Mehrdad Shirazi. Geschrieben in seinen dunkelsten Momenten. Alleine, auf der Flucht, irgendwo in Griechenland. Momente, in denen der Iraner nicht viel mehr als einen schwarzen Kugelschreiber besaß, mit dem er schrieb und zeichnete. Ein Stift, der ihm die Kraft gab zu überleben.

Mehrdad hat schon immer gezeichnet und gemalt. Im Frankfurter Moya Café in Bockenheim sind seine Werke gerade in einer kleinen Ausstellung zu sehen. Es sind keine schwarzen Kugelschreiber-Zeichnungen mehr, sondern Acrylbilder in den buntesten Farben. Sie zeigen Gesichter im kubistischen Stil.

"Ohne Schnurrbart bist du kein Mann"

Auffällig: Fast alle tragen Schnurrbart. "Der Schnurrbart steht für Männlichkeit in der persischen Kultur", erklärt der 23-Jährige, der den Künstlernamen Atish trägt. "Ohne Schnurrbart bist du kein Mann." Doch bei Mehrdad schauen unter dem Schnurrbart knallrote Lippen hervor oder die Figur trägt ein Kleid. Männlichkeit und Weiblichkeit verschwimmen. Denn: "Wir sind alle gleich", findet Mehrdad. 

 So zu denken ist im Heimatland des Künstlers tödlich. Als er sich mit 14 Jahren als schwul outet, verstößt ihn seine iranische Familie. "Es ging alles sehr schnell. Innerhalb einer Woche musste ich gehen", erzählt Mehrdad. Er stockt, muss schlucken und fährt dann schnell mit einem Lächeln fort: "In manchen Momenten ist es noch schwer, aber heute ist es mir egal." 

Malen hilft beim Vergessen

Der damalige Teenager flieht allein in die Türkei und dann weiter nach Griechenland. Hier lebt er viereinhalb Jahre in Athen. "Niemand hat mich unterstützt, ich war ganz auf mich selbst gestellt", erinnert sich Mehrdad. Unaussprechliche Dinge geschehen, über die er bis heute nicht reden will. Er schlägt sich mit selbst genähten, bunt bemalten Taschen durch, die er an Touristen verkauft.

Es ist seine Kunst, die ihn in diesen schwierigen Jahren nicht nur materiell, sondern auch mental am Leben hält: "Wenn ich male, kann ich mich entspannen und all die schlimmen Dinge vergessen, die ich erleben musste." 

Seit zwei Jahren in Frankfurt

Seit fast zwei Jahren lebt Mehrdad nun in Frankfurt. Er wohnt als anerkannter Flüchtling in einem Savehouse für queere Geflüchtete der AIDS-Hilfe. Seit sehr langer Zeit hat er endlich wieder ein zartes Gefühl von Zuhause. Er träumt davon eines Tages sein eigenes Café zu eröffnen, wo es iranische Spezialitäten gibt und Kunst ausgestellt wird.

Vor allem Kunst von queeren und marginalisierten Menschen soll es sein, denn Mehrdad will ganz besonders ihnen Mut machen und Vorbild sein. "Ich will ihnen sagen: Kümmere dich nicht darum, was andere sagen. Mach was du möchtest. In dir steckt die Kraft alles zu schaffen!"

Mehrdad Shirazi hat bereits einiges geschafft. Das weiß er, wenn er morgens aufwacht und in seinem Zimmer die hunderten bunten Farbtuben sieht und nicht mehr nur einen schwarzen Kugelschreiber.