Am Anfang war der Fernsehturm: Jahre bevor die ersten Plattenbau-Hochhäuser auf dem Flurstück Großer Dreesch im Südosten Schwerins emporschießen, wird Mitte der 1960er-Jahre der Fernsehturm errichtet.
Bau auf, bau auf! Im November 1971 wird der Grundstein für den ersten Bauabschnitt der Großwohnsiedlung gelegt.
Das Ereignis wird mit Musik und viel Tamtam gefeiert.
Hier sollen jene Menschen wohnen, die im nur wenige Kilometer entfernt aus dem Boden gestampften Industriekomplex Schwerin-Süd arbeiten.
Im Frühjahr 1972 ziehen die ersten Familien ein.
Für damalige Verhältnisse sind die Wohnhäuser komfortabel ausgestattet.
Die Wohnungen sind bei Einheimischen und Neuzugezogenen gleichermaßen begehrt. Neben der attraktiven Lage zwischen Wäldern und dem Schweriner See punktet der neue Stadtteil mit einer gut ausgebauten Infrastruktur.
In Schwerin ist man stolz auf den neuen Stadtteil - und druckt eifrig Ansichtskarten.
Bis zur Wende 1989 wächst die Großsiedlung - mittlerweile um die Stadtteile Neu-Zippendorf (Dreesch II) und Mueßer Holz (Dreesch III) erweitert, auf rund 62.000 Einwohner an. Seinerzeit lebt annähernd jeder zweite Schweriner auf dem Dreesch.
Zeitsprung ins Jahr 2012: Auf den ersten Blick ist scheinbar vieles beim Alten geblieben.
Doch hinter der Fassade der Häuser und des Viertels bröckelt es.
Der große Stadtteil mit den über 20.000 Wohnungen befindet sich in permanentem Wandel.
Schön sind die Aussichten nur bedingt.
Die Einwohnerzahl geht rasant zurück.
Um das Jahr 2010 leben nur noch rund 24.000 Einwohner auf dem Dreesch.
Die einstige sozialistische Bilderbuch-Siedlung ist längst keine mehr.
Sie wird ein sozialer Brennpunkt mit hoher Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung und Verfall.
Ein (Kauf-) Paradies ist das Viertel lange Zeit nicht gerade.
Mit dem Zusammenbruch der maroden Industrie verlieren etliche Dreescher ihre Arbeit.
Viele ziehen weg, der Leerstand zieht ein.
Zurück bleiben verfallende Häuser.
Der Rückbau des Viertels hat bereits in den 1990er-Jahren begonnen - und geht weiter. Etliche Plattenbauten - teilweise elfgeschossig - fallen dem Abrissbagger zum Opfer.
Viele Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion finden in den 1990er-Jahren auf dem Dreesch ein neues Zuhause. Später ziehen auch viele Geflüchtete in die leerstehenden Plattenbauten ein.
Aber es entsteht auch Neues: Zwischen die Blöcke aus Stahlbeton ist eine kleine russisch-orthodoxe Holzkirche gebaut worden.
Bis 2006 werden über die Hälfte der verbliebenen Häuser mit Fördergeldern und viel Engagement der Bewohner saniert. Der Stadtumbau geht voran. So entsteht etwa die Astrid-Lindgren-Schule.
Auch Grünflächen werden neu angelegt.
Ziel: Die Menschen sollen auf dem Dreesch wieder "schöner wohnen" können.
Dazu gehören auch weitere Abriss- bzw. Abbauarbeiten. Hier wird 2019 ein Hochhaus in Neu-Zippendorf Platte für Platte mit einem Kran demontiert.
Die einzelnen Betonwände werden fein säuberlich aufeinandergestapelt.
Neben den alten DDR-Gebäuden sollen neue Mehr- und Einfamilienhäuser entstehen.