Mecklenburg-Vorpommern Lokalzeitungen in der Krise: Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Lokalzeitungen haben einen schweren Stand. Sie werden immer dünner, Auflagen sinken und Einnahmen aus Anzeigen und Abonnements brechen weg. Welche Folgen hat das für die Menschen vor Ort?
Wie ist es um die Lokalzeitungen in Deutschland bestellt? Damit hat sich die Wüstenradar-Studie beschäftigt. Geleitet hat sie Christian Wellbrock von der Hamburg Media School.
Herr Wellbrock, wie viel Zeitungswüste haben wir aktuell schon bei uns im Norden?
Christian Wellbrock: Es kommt ein bisschen darauf an, wie man das misst. Wir haben die wirtschaftlich unabhängigen Lokalzeitungen auf Landkreisebene gezählt, und da haben wir noch keine Nachrichtenwüsten in dem Sinne, dass es gar keine Lokalzeitungen mehr gäbe in irgendeinem Landkreis. Wir haben uns den Zeitraum von 1992 bis 2023 angeschaut, und wir entwickeln eine sehr starke Versteppung. Es ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis es - zumindest stellenweise - Nachrichtenwüsten auf Landkreisebene geben wird.
In Mecklenburg-Vorpommern hat vor kurzem der "Nordkurier" in Neubrandenburg die "Schweriner Volkszeitung" aufgekauft. Mehr Redaktionsinhalte kommen jetzt also aus Neubrandenburg. Inwieweit findet das vielerorts statt, dass solche Zeitungen übernommen werden?
Wellbrock: Das ist absolut typisch. Wenn man das ökonomisch betrachtet, ist diese Konsolidierung auf dem lokalen und dem regionalen Zeitungsmarkt schon seit Jahrzehnten zu beobachten. Das führt dann zu formalen Übernahmen von anderen Zeitungen beziehungsweise Verlagen, meistens durch größere Verlagshäuser. Es gibt aber auch durchaus Fälle, wo sich zwei wirtschaftlich unabhängige Tageszeitungen darauf verständigen, dass sie über verschiedene Landkreise hinweg kooperieren und die eine Tageszeitung im Landkreis A beide Tageszeitungen mit einem Lokalteil versorgt und der andere Verlag das wiederum in dem anderen Landkreis macht. Das können wir in der Studie leider nicht zuverlässig über so einen langen Zeitraum und über das gesamte Bundesgebiet beobachten. Aber man kann im Großen und Ganzen sagen, dass das ein Beispiel dafür ist, was wir schon seit mehreren Jahrzehnten nachhaltig beobachten. Und es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich das zeitnah umkehren würde.
Auf die Region bezogen ist es also schwierig, von einer Medienvielfalt zu sprechen, oder?
Wellbrock: Absolut. Wenn man so zählt, wie wir das getan haben, ist es mittlerweile so, dass fast die Hälfte aller Landkreise sogenannte Nachrichtensteppen sind. Das ist sicherlich ein Prozess, der in der nahen Zukunft nicht aufhören wird. Wobei man sagen muss, dass es durchaus auch hauptsächlich digitale, neuere lokale und regionale Publikationen gibt, die wir leider auch nicht zuverlässig mitzählen konnten und die dementsprechend da keinen Niederschlag finden. Dennoch kann man sagen, dass sie den Rückgang des klassischen Print-Lokaljournalismus bisher in keinster Weise auffangen konnten.
Was hat das für Auswirkungen? Was bedeutet das für die Menschen vor Ort? Was bedeutet das für die politische Bildung? Was bedeutet das für unsere Demokratie, für unsere Gesellschaft?
Wellbrock: Es gibt internationale Studien aus Ländern, vornehmlich aus den USA, die sehr nachdrücklich zeigen, dass, wenn es gar keinen Lokaljournalismus mehr gibt, man recht zuverlässig und robust negative Effekte auf all die Indikatoren, die Sie gerade nannten, messen kann: Die politische Partizipation nimmt ab, es gehen weniger Leute zur Wahl, die politische Polarisierung nimmt zu und die Leute wählen extremer. Politiker geben sich nicht mehr so viel Mühe und machen gegebenenfalls mehr Schulden oder bezahlen höhere Kreditzinsen. Es geht bis hin zu Fehlverhalten in Wirtschaftsunternehmen.
Was kann man tun, um diesem Zeitungssterben etwas entgegenzusetzen?
Wellbrock: In den USA gibt es bereits Ansätze, die zu großen Teilen eher an einer infrastrukturellen Seite ansetzen, dass man versucht die Grundbedingungen für Lokaljournalismus zu verbessern, indem man mit Geld fördert: Da gibt es verschiedene Formen der sogenannten Innovationsförderung, dass man projektbasiert versucht, journalistisch tätige Unternehmen oder Neugründungen zu unterstützen bei der Suche nach neuen Produkten, nach neuen oder effizienteren Prozessen und vor allen Dingen auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen.
Es gibt aber auch Modelle, wie beispielsweise in Luxemburg oder in Kalifornien, wo journalistische Stellen subventioniert werden, in Kalifornien beispielsweise auch mit Mitteln von den großen Tech-Plattformen. Das sind ein paar Ansätze, die sicherlich hilfreich wären. Es gibt aber auch Ansätze, die sehr viel schneller umsetzbar wären und in der politischen Sphäre auch schon länger diskutiert werden, wie beispielsweise den Journalismus als gemeinnützig anzuerkennen, was steuerliche Vorteile mit sich bringen würde und die Möglichkeit für Stiftungen erleichtern würde, den Journalismus zu unterstützen.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.
Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur | Journal | 26.11.2024 | 17:15 Uhr