Drei Schülerinnen und Schüler eines Integrationskurses.

Mecklenburg-Vorpommern Schule und Migration in MV: Wie sinnvoll sind Vorklassen?

Stand: 10.07.2024 13:22 Uhr

Laut Bildungsministerium werden in Mecklenburg-Vorpommern derzeit rund 7.500 ausländische Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Etwa 2.000 davon lernen in Vorklassen zunächst ausschließlich Deutsch - das hat Vor- und Nachteile.

Von Carolin Kock

An der Regionalschule "Paul Joseph Lenné" in Ludwigslust lernen 20 Schülerinnen und Schüler aus mehr als zehn Ländern jeden Tag gemeinsam Deutsch. Sie sind unterschiedlich alt, einige können kaum lesen und schreiben, andere sind hochbegabt. Bis zu zwei Jahre lang können sie in dieser Vorklasse bleiben, bevor sie in den regulären Unterricht wechseln. Für den 17-jährigen Abu aus der Ukraine hat das geklappt: Er geht in die 9A der Regionalschule und will nächstes Jahr seinen Abschluss machen: "Ich habe am Anfang in der Vorklasse ein bisschen Deutsch gelernt, bin dann direkt zur deutschen Klasse gewechselt und ich würde sagen, das war gut so."

Schulleitung: "Schüler wären im regulären Unterricht überfordert"

Dass die ausländischen Kinder zunächst unter sich in der Vorklasse Deutsch lernen, das kann sich Schulleiterin Antje Zachow momentan gar nicht anders vorstellen - vor allem aus organisatorischen Gründen: "Schon die regulären Klassen werden immer heterogener, da sind auch Förderschüler dabei und wir würden damit alle überfordern, wenn die ausländischen Schüler auch gleich dort anfangen." Unter denen sei es außerdem ein Kommen und Gehen, erklärt Antje Zachow. Die Vorklassen hätten da vor allem Ruhe hineingebracht. Laut dem Bildungsministerium in Schwerin werden derzeit rund 7.500 ausländische Schülerinnen und Schüler im Land unterrichtet, etwa 2.000 davon in Vorklassen.

Studie: Vorklassen schneiden schlechter ab

Vor zwei Jahren hat Mecklenburg-Vorpommern dieses Modell eingeführt - auch die meisten anderen Bundesländer machen das so. Doch aus den Bildungswissenschaften kommt dafür vor allem Kritik. Pia Schilling von der Universität Konstanz hat die Prüfungsergebnisse in Mathe, Deutsch, Englisch und Naturwissenschaften von Kindern im Grundschulalter untersucht, die in Hamburg solche Vorklassen besucht haben: "Im Schnitt haben die Kinder in den standardisierten Tests der 5. Klasse schlechter abgeschnitten als ihre Mitschüler, die direkt in der deutschen Klasse eingeschult wurden." Will man den "Erfolg" von Vorklassen bemessen, seien die Noten jedoch nicht das einzige Kriterium, sagt Pia Schilling. Sicherheit, soziale Interaktion und mentale Gesundheit würden ebenso eine Rolle spielen. 

Plöger: "Frustration in Vorklassen ist groß"

Solche Aspekte hat Simone Plöger von der Gutenberg Universität Mainz untersucht. Sie war dafür in Vorklassen unterwegs und hat ausländische Schülerinnen und Schüler zwischen 10 und 14 Jahren befragt. Für viele sei es frustrierend, nur auf das Deutschlernen reduziert zu werden. Beim Wechsel in den regulären Unterricht seien sie dann erst einmal verschüchtert: “Gerade dieser soziale Bruch ist extrem schwierig für die Schülerinnen und Schüler und es passiert dann natürlich, dass sie ihre Pausen dann doch eher mit den Freunden aus der Vorklasse verbringen", erklärt Simone Plöger. Die Vorklassen würden damit die Integration bremsen. 

Oldenburg: "Kein regulärer Unterricht ohne die deutsche Sprache"

Diese Kritik kennt Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke). Damit die ausländischen Schülerinnen und Schüler nicht unter sich bleiben, sei das Ziel, dass sie neben den Vorklassen auch den normalen Unterricht besuchen - beispielsweise die Fächer Musik und Sport: "Wenn die Integration gelingen soll, müssen zuerst die Deutschkenntnisse her. Deswegen der Deutschunterricht einerseits und auf der anderen Seite der gemeinsame Unterricht in nicht so sprachintensiven Fächern." 

Paralleler Unterricht klappt in der Praxis nicht immer

Die Lenné-Schule hat eine Übergangsklasse für die Schülerinnen und Schüler, die schon mehr als ein Jahr lang nur Deutsch gelernt haben. Weil aber Räume und Lehrkräfte fehlen, können sie derzeit nicht so oft in die regulären Klassen gehen, wie geplant - bei Eldar aus der Ukraine sorgt das für Frust: "Ich bin müde. Ich lerne die ganze Zeit nur Deutsch, überhaupt nichts anderes mehr. Ich würde auch gerne Mathe und Geografie lernen und alle anderen Fächer."

MV hält an Vorklassen fest

Wie vielen ausländischen Schülerinnen und Schülern es im Bundesland so geht, lässt sich nicht sagen. Mit Blick auf die Integration sei das jetzige System aber gescheitert, findet Simone Plöger. Sie fordert ein Umdenken ohne Vorklassen: "Es hat auch etwas mit Anerkennung zu tun und mit der Frage, wer dabei in Vorleistung gehen muss. Und das sollten nicht die Kinder sein, die neu ankommen." Angesichts des Lehrkräftemangels sind die Vorklassen für die Lenné-Schule in Ludwigslust aber ein guter und der einzig mögliche Weg - und den wird auch ganz Mecklenburg-Vorpommern auf absehbare Zeit weiter gehen.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 10.07.2024 | 17:40 Uhr