HSV-Trainer Steffen Baumgart gestikuliert.

Niedersachsen Hamburg Darum steckt der HSV in der Krise - und das könnte die Lösung sein

Stand: 12.11.2024 10:50 Uhr

Drei Ligaspiele ohne Sieg mit acht Gegentoren und Tabellenplatz fünf: Fußball-Zweitligist Hamburger SV steckt in der Krise. Ein Datenvergleich der ersten neun Saisonpartien mit den jüngsten drei Spielen zeigt, woran es liegt und was Trainer Steffen Baumgart tun kann, um im Aufstiegsrennen die Kurve zu bekommen.

Von Matthias Heidrich

Im gewohnt aufgeregten Volkspark schrillen die Alarmglocken früher als in den vergangenen, verwünschten Zweitligajahren, als vor allem im Frühling die nötigen Punkte zum ersehnten Bundesliga-Aufstieg verspielt wurden.

"Wir sind in der Verantwortung, es besser zu machen", sagte der HSV-Coach nach der 1:3-Pleite bei Kellerkind Eintracht Braunschweig. Die Frage ist nur: Wie?

Nach einem guten Saisonstart ist Baumgarts HSV neben der Spur, das ist offensichtlich. Vor dem Braunschweig-Debakel gab es ein maues 1:1 gegen Nürnberg und die enttäuschende 2:4-Pleite in Elversberg (Sportvorstand Stefan Kuntz: "Wenn man aufsteigen will, muss man hier punkten").

"Expected Points"-Wert drastisch gesunken

Ein guter Indikator für den Formverfall ist der "Expected Points"-Wert. Er gibt an, wie viele Punkte eine Mannschaft basierend auf der Qualität der Chancen im Schnitt hätte erzielen sollen. In den ersten neun Spielen lag dieser den GSN-Daten zufolge bei 1,58 pro Spiel. In den jüngsten drei Begegnungen fiel der Wert drastisch auf 0,57 - ein Rückgang um 64 Prozent.

Grob gesagt ist dieser eklatante Rückgang auf die Defensivprobleme, eine ineffiziente Chancenverwertung und insgesamt gesunkene Spielkontrolle bei den Hamburgern zurückzuführen.

HSV-Gegner bekommen mehr Torchancen

Im Detail kassierte der HSV in den ersten neun Saisonspielen nur ein Gegentor im Schnitt, jetzt sind es 2,67 - ein Anstieg um 170 Prozent. Die Kontrahenten der "Rothosen" bekommen mehr Gelegenheiten, was auch der Anstieg bei der Anzahl der gegnerischen Schüsse aufs eigene Tor belegt: von 13,56 auf 16,33 pro Partie.

Einfache Rechnung: Klaut man dem Gegner den Ball, ist diese Gefahr gebannt. Darin ist der HSV aber auch schwächer geworden. Die Ballrückeroberungs-Quote in der eigenen Hälfte ist von durchschnittlich 52,11 auf 49,67 pro Spiel gefallen.

"Gott, bring bitte Glatzel zurück"

Offensiv ist der Trend ebenfalls eindeutig. Hat die Baumgart-Elf in den ersten neun Spielen im Schnitt 2,44 Tore pro Spiel erzielt, sind es nun nur noch 1,33 - ein Rückgang um 45 Prozent. Dabei ist der "Expected Goals"-Wert nur minimal von 1,9 auf 1,8 gesunken. Die gute Nachricht ist also: Der HSV kreiert weiterhin Chancen. Die schlechte: Er nutzt sie nicht mehr so effizient. Besonders eklatant ist die Abnahme bei Toren aus Standardsituationen, mit einem 63-prozentigen Rückgang.

Das "Expected goals"-Modell

"Expected goals" sind "zu erwartende Tore" und werden anhand eines Datenmodells berechnet, in das eine Vielzahl von Faktoren einfließt - unter anderem von wo auf dem Platz der Abschluss erfolgte, wie der Winkel zum Tor war und wie viele Gegenspieler noch zwischen Ball und Tor standen.
Jede Torchance erhält dabei einen Wert zwischen 0 und 1, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der der Ball von diesem Punkt aus im Tor landet. "Expected goals"-Werte sind so aussagekräftiger als die normale Torschuss-Statistik, die alle Abschlüsse gleich behandelt. GSN hat zur Berechnung mehr als 3 Millionen Tore ausgewertet.

Womit die Spur unweigerlich zu den Namen hinter den Zahlen führt und dabei zu einem ganz großen: Robert Glatzel. Der verletzte Topstürmer fehlt mit seiner Präsenz und Abschlussstärke, das ist auch ohne Datenanalyse offensichtlich.

Vier Schlüsselspieler fehlen

Aber auch die Ausfälle von Ludovit Reis (sorgte im Mittelfeld für Kreativität und Struktur), Silvan Hefti (verlorene Stabilität auf der Außenbahn) und Dennis Hadzikadunic, mit dem körperliche Präsenz und Spielübersicht im Abwehrzentrum fehlt, wiegen schwer.

Meffert, Muheim und Co. in der Formkrise

Hinzu kommt: Die Führungsspieler, die zurzeit auf dem Platz stehen können, zeigen teils eklatante Formschwäche. Jonas Meffert treibt das Spiel des HSV nicht mehr so voran wie gewohnt; seine Offensivaktionen fielen im Schnitt um 18 Prozent. Daniel Elfadlis Wert in der Kategorie "erfolgreiche Dribblings" ging um 48 Prozent zurück und für Miro Muheim ist "Effektivität" aktuell ein Fremdwort. Der Schweizer verzeichnete zuletzt 41 Prozent weniger Assists und hat eine "0" bei "Schussgenauigkeit" stehen, weil er zuletzt überhaupt keinen Abschluss aufs gegnerische Tor zustande gebracht hat.

Alle drei sorgen zudem für Defensiv-Stress, indem sie mehr Bälle verlieren als zu Beginn der Saison. Bei Muheim sind es mittlerweile zwei pro Spiel, wo es vorher 0,33 waren.

Wieder auf Normalniveau zu kommen, liegt zum großen Teil bei den Spielern selbst. Aber auch Baumgart ist gefordert und nimmt sich in die Pflicht. "Fehler passieren. Aber es kann nicht sein, dass wir dann drei, vier hintereinander machen in nur 30 Sekunden. Das ist aber auch meine Aufgabe, da Ruhe reinzukriegen. Meine Verantwortung!", sagte der HSV-Coach nach der Niederlage in Braunschweig.

Systemumstellung als "Ad hoc-Lösung"?

Taktisch könnte die "Ad hoc-Lösung" für Baumgart vor dem nächsten Spiel gegen den FC Schalke 04 (23. November, 20.30 Uhr, im NDR Livecenter) in einer Systemänderung liegen - weg vom 3-4-1-2 und hin zu einem 4-2-1-2-1.

Davie Selke wäre dabei mit seinen Glatzel-ähnlichen Qualitäten der klar definierte Zielspieler, während der bislang bei Baumgart lediglich als Beiwerk mitlaufende Immanuel Pherai die Rolle des kreativen Spielmachers einnehmen sollte. Als Doppel-Sechs könnten sich Meffert und Elfadli gegenseitig stützen und dem Team die dringend benötigte Defensivstruktur geben, um wieder in die Aufstiegsspur zu finden und den aufgeregten Volkspark zu beruhigen.

Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 15.11.2024 | 13:17 Uhr