Niedersachsen Deutlich mehr Menschen leben wegen hoher Wohnkosten in Armut
Eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zeigt, dass deutlich mehr Menschen in Armut leben als angenommen - wenn die Wohnkosten berücksichtigt werden. Hamburg steht an dritter Stelle, Niedersachsen liegt im Mittelfeld.
Vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen werden durch die steigenden Mieten überproportional belastet, wie der Paritätische am Freitag mitteilte. Viele Haushalte müssen demnach mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnkosten ausgeben, manche mehr als die Hälfte. An der Spitze ist laut der Studie bei Berücksichtigung der Wohnkosten Bremen mit einer Armutsquote von 29,3 Prozent. In Hamburg liegt die Quote bei 26,8 Prozent, in Schleswig-Holstein bei 22,8 Prozent.
"Wohnen entwickelt sich zum Armutstreiber"
In Niedersachsen liegt die Armutsquote laut der Studie nicht bei den bisher angenommenen 14,8 Prozent, sondern bei 21,8. Das entspricht demnach 534.000 Menschen mehr, die in Niedersachsen in Armut leben. Im bundesweiten Vergleich liegt das Land damit im Mittelfeld. Danach folgt Mecklenburg-Vorpommern mit einer Armutsquote von 21,7 Prozent. Am niedrigsten ist die wohnkostenbereinigte Quote demnach mit 16,3 Prozent in Bayern. "Wohnen entwickelt sich mehr und mehr zum Armutstreiber", sagt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. "Die Schere geht durch die steigenden Wohnkosten immer weiter auseinander." Rock fordert daher eine ambitioniertere Wohnungspolitik - insbesondere mit Blick auf die Mietpreisbremse, die 2025 ausläuft.
Viele junge Menschen und Rentner sind arm
Besonders trifft das nach Angaben des Paritätischen junge Menschen zwischen 18 und unter 25 Jahren sowie ältere ab 65 Jahren - hier liegt die Armutsquote in Deutschland bei 31 beziehungsweise 27,1 Prozent. Als Begründung nennt der Wohlfahrtsverband, dass junge Menschen häufig in Ausbildung seien und erst am Anfang ihrer Erwerbstätigkeit stünden. Bei Menschen im Ruhestand führten niedrige Renten zu Armut.
Vor allem Alleinerziehende und Alleinstehende betroffen
Außerdem sind vor allem Single-Haushalte und Alleinerziehende laut Studie von Armut betroffen: Mehr als ein Drittel der Alleinstehenden (37,6 Prozent) sei wohnkostenbereinigt arm - vor allem Frauen. Vier von zehn alleinstehenden Frauen leben den Daten zufolge in Armut. Unter den Alleinerziehenden gelten den neuen Berechnungen zufolge 36 Prozent als arm. Der Paritätische hat für die Studie Zahlen des Statistischen Bundesamts aus den Jahren 2020 bis 2023 ausgewertet. Armut wird in Deutschland über das Haushaltseinkommen und die daraus folgenden Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe definiert. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, ist von Armut betroffen.
Landesarmutskonferenz warnt vor Verlust der Demokratie
Die Landesarmutskonferenz (LAK) Niedersachsen warnt mit Blick auf die Ergebnisse vor einem erstarken der AfD bei der kommenden Bundestagswahl. Die Partei erziele regelmäßig ihre besten Ergebnisse in Vierteln mit den höchsten Armutsquoten, sagte LAK-Geschäftsführer Fabian Steenken am Freitag. Steigende Kosten für Wohnen, Ernährung und andere Grundbedürfnisse stellen laut der LAK immer mehr Menschen vor existentielle Bedrohungen. Diese Angst habe "sich längst bis in die Mitte der Gesellschaft gefressen und vergiftet das gesellschaftliche Klima", sagte der LAK-Geschäftsführer. "Wenn wir Armut nicht bekämpfen, verlieren wir auf Dauer unsere Demokratie", warnte er.
Tafeln müssen Lebensmittel rationieren
Die Zahl der in Armut lebenden Menschen wirkt sich auch auf die Tafeln in Deutschland aus. "Seit dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine verzeichnen die Tafeln im bundesweiten Durchschnitt 50 Prozent mehr Kundinnen und Kunden", sagte der Vorsitzende des Tafel-Dachverbands, Andreas Steppuhn, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Renten und Löhne seien in Deutschland nicht im gleichen Maße gestiegen wie die Lebenshaltungskosten. 60 Prozent der Tafeln müssten daher Lebensmittel stärker rationieren, so Steppuhn.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 13.12.2024 | 11:00 Uhr